Reaktionen Norwegens und Deutschlands auf Südkurdistan-Invasion

Während das norwegische Außenministerium „besorgt“ über die Präsenz türkischer Truppen in Südkurdistan ist, zeigt sich die deutsche Bundesregierung weitaus zurückhaltender.

Seit dem Beginn der türkischen Invasion in Südkurdistan am 23. April wird der türkische Angriffskrieg in verschiedenen Parlamenten immer wieder zum Thema gemacht. Während in Norwegen der sozialistische Abgeordnete Freddy André Øvstegård die Regierung befragte, ob sie beabsichtige, die Invasion in Südkurdistan zu verurteilen, stellte die migrationspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Gökay Akbulut, eine ähnliche Frage in Berlin. So ähnlich die Richtung der Fragen war, so unterschiedlich fielen die Antworten aus.

Norwegen besorgt über Militärinvasion

Die norwegische Regierung, die grundsätzlich einen stark friedenspolitisch orientierten Kurs im Mittleren Osten vertritt, ließ die Außenministerin Ine Marie Eriksen Søreide antworten: „Wir sind über die zunehmende militärische Präsenz des türkischen Staats in Südkurdistan besorgt. Die Türkei gefährdet das Leben von Zivilisten, ihre Häuser und ihren Lebensraum. Wie wir auch bereits zu den Aktivitäten der Türkei in den kurdischen Regionen in Nordsyrien deutlich gemacht haben, erwarten wir von ihr, dass sie sich hinsichtlich ihrer militärischen Aktivitäten im Irak an das Völkerrecht hält. Irakische Behörden haben gegen die Angriffe, bei denen Zivilisten getötet wurden, und die Verletzung der Souveränität und des Luftraums im Irak durch die Türkei protestiert. Diese Botschaft wurde von den irakischen Behörden nach dem türkischen Luftangriff auf das Mexmûr-Camp am 6. Juni wiederholt.“

Bundesregierung spielt Unwissende

Während die norwegische Regierung kenntnisreich die Situation darlegt, scheint das Agieren der Türkei für die deutsche Bundesregierung auf einem fremden Planeten stattzufinden. Die linke Abgeordnete Gökay Akbulut hatte die Bundesregierung gefragt, wie sie angesichts der Vertreibung von mehr als 1500 Menschen aus 22 Dörfern, der Verbrennung von Tausenden Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche und den Verletzten unter der Zivilbevölkerung die Angriffe der türkischen Armee auf Südkurdistan beurteile.

Akbulut: „Skandalöser Zustand“

Die Bundesregierung antwortete, als wüsste nichts über die Lage und hätte keine eigenen Kräfte im Irak. Sie stellt fest, ihr lägen keine Erkenntnisse über einen Bericht des „Christian Peacemakers Team - Iraqi Kurdistan“ vor. Akbulut bezeichnet gegenüber ANF diese Aussage als „skandalös“ und erklärt: „Aus der Antwort der Bundesregierung geht hervor, dass sie über kein vollständiges Lagebild der Situation in Südkurdistan verfügt, oder sie will nähere Informationen aus Geheimhaltungsgründen nicht preisgeben. Das überrascht mich nicht, denn die Bundesregierung hat in vielen Angelegenheiten entweder keine Ahnung, keine Meinung oder beantwortet einfach nicht die Fragen unserer Fraktion. Dies ist ein skandalöser Zustand!“ Die Bundesregierung scheint Unkenntnis vortäuschen zu wollen, um sich eines Urteils über die völkerrechtswidrigen Angriffe als enge Verbündete Erdoğans enthalten zu können.

Bundesregierung kolportiert Kriegshetze Erdoğans

Weiter wird die Bundesregierung in ihrer Antwort nicht müde darauf hinzuweisen, die PKK sei auch in der Europäischen Union als Terrororganisation gelistet. Die Türkei müsse bei ihren militärischen Operationen „völkerrechtskonform und verhältnismäßig“ vorgehen. Weiter betet die Bundesregierung die Legitimation der Türkei nach, der türkische Staat berufe sich auf das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen sowie auf Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu Bekämpfung des internationalen Terrorismus.

Die Fragestellerin wirft der Bundesregierung vor, hier Argumentationen des türkischen Regimes aufzugreifen. Akbulut erklärt: „Die Bundesregierung benutzt immer häufiger ähnlich lautende Argumentationen wie Erdoğan. Als ob sie dazu verpflichtet wäre, erläutert sie bei jeder, sogar unpassenden, Gelegenheit, dass die PKK als Terrororganisation gelistet sei. Das macht sie zum Beispiel bei Fragen zur Friedensdelegation oder auch bei Angriffen gegen die zivile kurdische Bevölkerung. Sie versucht jede rechtswidrige Handlung gegenüber Kurdinnen und Kurden damit zu erklären. Der Dank aller Bundestagsfraktionen an den heldenhaften Widerstand und Sieg der kurdischen Guerilla gegen den IS währte leider nur kurz. Heute zeigt sich, auf welche Bundestagsfraktionen man sich verlassen kann. Wie wir sehen können, hat die Bundesregierung wieder ihre von Erdoğan produzierten Scheuklappen angezogen.“

Es gibt keine völkerrechtliche Grundlage für die Invasion“

Akbulut stellt fest, dass es keine völkerrechtliche Grundlage für die Invasion gibt, und erklärt: „Dabei ist es eindeutig, dass es für die Türkei keine völkerrechtlich hinreichende Selbstverteidigungslage gibt. Es ist mehrfach dazu gekommen, dass die türkische Regierung Gründe für Angriffe auf Kurdinnen und Kurden in Rojava und Südkurdistan selbst erschaffen hat. Ich möchte daran erinnern, dass der türkische Geheimdienst-Chef Hakan Fidan damals angekündigt hat, dass er ‚wenn nötig vier Leute nach Syrien schicken und acht Raketen in die Türkei abfeuern lassen würde‘. So handelt der NATO-Partner Deutschlands, u.a. auch mit deutschen Waffen. Damit wird der Angriffskrieg der Türkei mit deutscher Beihilfe geleistet.“

Bundesregierung „mahnt zur Zurückhaltung“

Allein im letzten Absatz versucht die Bundesregierung sich argumentativ mit dem bei jeder schriftlichen Frage zum Vorgehen der Türkei wiederholten Satzbaustein zu retten: „Die Lage in Nordirak ist regelmäßig Gegenstand von Gesprächen der Bundesregierung mit allen beteiligten Akteuren, auch mit der Türkei. Dabei mahnt die Bundesregierung Zurückhaltung, Achtung des humanitären Völkerrechts sowie den Schutz der Zivilbevölkerung an. Die Bundesregierung hat Verständnis für die wiederholte Aufforderung Iraks an die türkische Regierung, seine Souveränität zu respektieren. Die Stabilität Iraks darf nicht weiter gefährdet werden.“

Konsequenzen statt zahme Worte“

Akbulut fordert Konsequenzen statt zahmer Worte: „Statt die Augen zu verschließen und nur mit zahmen mahnenden Worten an die türkische Regierung sollte die Bundesregierung endlich ihre wirtschaftlichen Beziehungen zur Türkei nutzen, um auf die Einhaltung des Völkerrechts, Demokratieprinzips, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten mit Nachdruck hinzuweisen. Dazu gehört auch keine Neuauflage des EU-Türkei-Deals zur Fernhaltung von Flüchtlingen von der EU. Denn diesen EU-Türkei-Deal nutzt Erdoğan immer wieder, um Deutschland und die EU zu erpressen. Dadurch hat er den Mut, nicht nur offen mit Gewalt zu drohen, sondern auch anzuwenden, sei es innerhalb des eigenen Staates oder auch außerhalb mit Unterstützung seiner dschihadistischen Handlanger. Diese Verbrechen müssen international verurteilt werden! Die Bundesregierung soll aufhören, wegzuschauen und sich damit nicht mehr weiter indirekt an den Verbrechen zu beteiligen.“