Auch wenn die hohen Erwartungen des AKP/MHP-Regimes in der Türkei vom NATO-Gipfel nicht erfüllt wurden, so scheinen die Ergebnisse der Sitzung in Brüssel eine weitgehende Bestätigung der türkischen Aggressionen gegen Südkurdistan und Nordsyrien darzustellen. Während in der Abschlusserklärung die völkerrechtswidrige Besatzung Nordsyriens und der Angriffskrieg gegen Südkurdistan mit keinem Wort erwähnt werden, kündigt die NATO die Ausweitung ihrer „Sicherungsmaßnahmen“ für die Türkei an und folgt damit der Feststellung Erdoğans, die Grenze der Türkei sei die Grenze der NATO. Dass das türkische Regime diese Grenze weit überschreitet und ganze Landstriche regelrecht annektiert, scheint für die NATO irrelevant zu sein.
Inszenierte Bedrohung durch Raketen aus Syrien
Während die Türkei permanent aus den besetzten Gebieten heraus die Zivilbevölkerung von Nordsyrien und Südkurdistan (Nordirak) mit Raketen und Artillerie beschießt, ist die NATO besorgt über eine angebliche Bedrohung der Türkei durch „ballistische Kurzstreckenraketen“ aus Syrien. Dies ist ein mehr als durchsichtiger Versuch, die Unterstützung des Frontstaats zu legitimieren. Dass die Türkei bereit ist, eine angebliche Bedrohung durch ballistische Kurzstreckenraketen aus Syrien als Mittel zur Herbeiführung eines NATO-Einsatzes zu benutzen, ist auch den NATO-Strategen bekannt. Dennoch scheint dies für die NATO kein Grund zu sein, ihre Beistandsbekräftigung zu unterlassen. Stattdessen heißt es in der NATO-Erklärung: „Wir bleiben wachsam gegenüber Raketenstarts aus Syrien, die erneut die Türkei treffen oder zum Ziel haben könnten. Wir beobachten und bewerten weiterhin die Bedrohung durch ballistische Raketen aus Syrien.“
Schutzsuchende als Geiseln zur Erpressung zu benutzen wird legitimiert
Auch die Benutzung von Schutzsuchenden als Mittel zur Erpressung von Nachbarstaaten und als Siedler in Besatzungszonen ändert offensichtlich nichts an der „Wertschätzung gegenüber unserem Verbündeten Türkei für die Aufnahme von Millionen von syrischen Flüchtlingen“. Die Türkei hat Milliardenbeträge für die Unterbringung von Schutzsuchenden erhalten, aber nur ein Bruchteil von ihnen wird versorgt. Stattdessen leben die meisten Schutzsuchenden auf der Straße oder bei Verwandten und fördern als Billigstarbeitskräfte und Kinderarbeiter die türkischen Sweat-Shops und die landwirtschaftliche Exportproduktion.
„Produktives Treffen mit Biden“
Am Montagabend hat es ein Gespräch zwischen US-Präsident Biden und dem türkischen Regimechef Erdoğan gegeben. Biden sprach von einem „positiven und produktiven Treffen“. Man sei zuversichtlich, „echte Fortschritte“ zu machen. In den Gesprächen dürfte es um die Frage des russischen S-400-Raketenabwehrsystem, das eigens zum Abschuss von NATO-Flugzeugen ausgelegt ist und Erdoğan sich gegen den Widerstand der USA und der NATO beschafft hatte, sowie die kurdische Frage gegangen sein. Auch Erdoğan nannte das Gespräch „konstruktiv“, es gäbe seiner Ansicht nach keine „unlösbaren Probleme“ zwischen den Ländern. Eine Einigung hat es offensichtlich aber in beiden Fragen nicht gegeben. Erdoğan erklärte in Bezug auf Nordsyrien, die USA hielten an ihrer Logik „Guter Terrorist, böser Terrorist“ fest. Damit meint Erdoğan offensichtlich, dass er keine Zugeständnisse in Hinsicht auf die Zusammenarbeit der USA mit den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) erreicht habe.
Anerkennung des Armeniergenozids kommt nicht zur Sprache
Das in der Türkei insbesondere innenpolitisch relevante Thema der antiarmenischen Hetze und der Ablehnung des Armeniergenozids kam nicht auf den Tisch. Erdoğan hatte angekündigt, mit Biden über die Anerkennung des Armeniergenozids durch die USA zu sprechen. Das war aber dann doch kein Thema bei dem Treffen. Offensichtlich hatte Erdoğan vollmundige Ankündigung zur Aufhetzung des nationalistischen Furors ausgereicht.
Türkei biedert sich Taliban an
Auch das Thema Afghanistan kam auf die Tagesordnung. Sollten türkische Truppen in Afghanistan verbleiben, so verlangte Erdoğan Unterstützung und eine Anerkennung der Taliban als Gesprächspartner. Die Türkei steht weltweit in Verbindung zu sunnitischen Terrornetzwerken wie den Taliban und versucht, diese zur Umsetzung ihrer neoosmanischen Politik zu nutzen. Die Taliban hatten allerdings erst vor kurzem einen Abzug der türkischen Truppen verlangt. Die Türkei versucht sich nun offensichtlich den Taliban weiter anzubiedern. Ein Verbleib der Türkei in Afghanistan würde für das AKP/MHP-Regime einen Brückenkopf in Zentralasien darstellen. Insbesondere im Kaschmir-Konflikt versucht die Türkei schon seit längerem, mit Dschihadisten aus Syrien ihre pakistanischen Verbündeten zu unterstützen.
KCDK-E: NATO ebnet neuen türkischen Massakern den Weg
Der kurdische Europadachverband verurteilte die positive Haltung der NATO-Führung gegenüber dem türkischen Faschismus und bezeichnete die Abschlusserklärung des Gipfels als Versuch, die „Verbrechen Erdoğans und des türkischen Militärs zu verschleiern“. Dies bedeute nichts anderes, als „neuen Massakern den Weg zu ebnen“.
Die türkische Diktatur, die zehntausende Andersdenkende in ihre Gefängnisse sperre, die Opposition mundtot mache, die Gewalt gegen Frauen auf die Spitze treibe und die Gesellschaft verarmen und hungern lasse, werde mit dieser Entscheidung „regelrecht ausgezeichnet“.
Gipfelbeschluss verschließt Weg zum Aufbau von Demokratie in der Türkei
Weiter heißt es: „Der Gipfelbeschluss verschließt den Weg für den Wiederaufbau der Demokratie in der Türkei. Die NATO-Unterstützung wird bedeuten, dass Millionen von Menschen aufgrund ihrer Gedanken in Gefängnisse geworfen werden, der wirtschaftliche und soziale Zusammenbruch noch gravierender wird und Hunger und Elend noch zunehmen werden.“
Der KCDK-E warnt vor einer Destabilisierung des gesamten Mittleren Ostens durch den NATO-Beschluss und einer Zunahme des dschihadistischen Terrors. Der Verband appelliert an die Menschen in Europa, den Kampf für ein demokratisches Leben im Mittleren Osten zu unterstützen.