Ramazan Demir: Europarat drückt bei der Türkei beide Augen zu
Der EGMR hat die Türkei im Fall der ehemaligen HDP-Vorsitzenden Figen Yüksekdağ und weiterer Abgeordneter verurteilt. Rechtsanwalt Ramazan Demir kommentiert das Urteil und die Folgen.
Der EGMR hat die Türkei im Fall der ehemaligen HDP-Vorsitzenden Figen Yüksekdağ und weiterer Abgeordneter verurteilt. Rechtsanwalt Ramazan Demir kommentiert das Urteil und die Folgen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat sein Urteil in der Klage der ehemaligen Ko-Vorsitzenden der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Figen Yüksekdağ, und zwölf weiteren HDP-Abgeordneten gesprochen. Der EGMR entschied, dass die Verhaftung von Yüksekdağ und ihren Kolleg:innen am 4. November 2016 grundlegende Rechte wie das Recht auf freie Meinungsäußerung und das passive und aktive Wahlrecht verletzt hat. Wie schon im Urteil der Klage von Selahattin Demirtaş entschied der EGMR, dass ihre Verhaftung politisch motiviert war und gegen Artikel 18 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen habe. Das Gericht verurteilte die Türkei zur Zahlung von 184.600 Euro Entschädigung.
Folgende HDP-Abgeordnete hatten gegen die Türkei geklagt: Figen Yüksekdağ, Idris Baluken, Besime Konca, Abdullah Zeydan, Nihat Akdoğan, Selma Irmak, Ferhat Encü, Gülser Yıldırım, Nursel Aydoğan, Çağlar Demirel, Burcu Çelik, Leyla Birlik und Ayhan Bilgen, der nach seiner Verhaftung aus der HDP austrat.
Einer der Anwälte der Abgeordneten, Ramazan Demir, kommentierte das Urteil des EGMR gegenüber ANF.
Rechtsanwalt Ramazan Demir
„Gemäß Artikel 90 der türkischen Verfassung hat die Türkei bereits 1988/89 festgeschrieben, dass die Europäische Menschenrechtskonvention und Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für sie bindend sind. Das ist unbestritten. Die Türkei setzt schließlich auch andere gegen sie ergangene Urteile tagtäglich um", so Demir.
Das Urteil kann auch auf andere HDP-Abgeordnete übertragen werden
Der Rechtsanwalt erklärt, dass die in Punkt 18 der Entscheidung des EGMR bestätigte politische Motivation zur Verhaftung sehr wichtig sei: „Das Urteil ist eine Entscheidung, die die Operation vom 4. November 2016 sowohl bloßstellt, als auch zu Fall bringt. Der EGMR hat seine Grundsätze bereits im Urteil zur Klage von Selahattin Demirtaş deutlich gemacht. Er hat seine Ansicht in dieser Sache nun auch auf andere Abgeordnete übertragen."
Das Urteil ist verbindlich, wird aber nicht umgesetzt
Demir erinnert daran, dass die Türkei drei Urteile des EGMR in diesem Bereich aus politischen Gründen nicht umgesetzt hat: „Es gibt drei Urteile, die von der Türkei bis heute nicht umgesetzt wurden. Eins davon ist die Xenides-Arestis-Entscheidung, in der es um die griechischen Zyprioten geht. Die anderen Entscheidungen betreffen die Klagen von Selahattin Demirtaş und Osman Kavala. Alle drei sind politische Fälle. Die Türkei nutzt die Narrenfreiheit, die sie im Europarat genießt, um die Freilassung dieser Menschen zu verhindern. Genauer gesagt, nutzt sie in gewisser Weise die Trägheit der Mechanismen des Rates aus. Am Ende wird sie diese Urteile aber schließlich umsetzen müssen.
Das aktuelle Urteil sowie die Urteile für Demirtaş und Kavala haben folgendes gemeinsame Merkmal: Als Staat hat die Türkei die Pflicht, die vor der vom Gericht festgestellten Rechtsverletzung vorhandene Situation wieder herzustellen. Nach Artikel Artikel 46 der EMRK ist die Türkei dazu verpflichtet. Es gibt keine Debatte darüber, ob das Urteil verbindlich ist oder nicht. Die eigentliche Debatte dreht sich um die Frage, ob die Urteile umgesetzt werden oder nicht. Die Türkei behauptet, sie hätte die Urteile des Gerichts sowohl im Fall Demirtaş als auch im Fall Kavala bereits umgesetzt, da sie die Haftbefehle im Rahmen der jeweils ersten Anklage bereits aufgehoben habe. Der EGMR jedoch sagt wie im Demirtaş-Urteil, nein, sie haben ihn zum zweiten Mal mit denselben Beweisen verhaftet.“
Auch der Europarat drückt beide Augen zu
Die Türkei bringt immer wieder die gleichen Argumente und der Europarat unternimmt in dieser Hinsicht nichts, erläutert Demir: „Die Regierung dreht sich hier im Kreise. Sie sagt immer wieder das Gleiche. Dies könnte dazu führen, dass die Türkei ihren Status und ihre Rechte im Europarat verliert oder die Mitgliedschaft ausgesetzt wird. Die Türkei ist Mitglied des Europarates. Der EGMR ist ein Organ des Rates. Die Türkei hält sich nicht an die Urteile des EGMR und sagt das auch offen. Dann hat sie im Europarat nichts zu suchen. Bedauerlicherweise ist der Europarat selbst in dieser Angelegenheit sehr schwach. Er kann nicht wirklich mal kräftig auf den Tisch hauen, weil er letztlich auch nur eine politische Struktur ist".
Das Urteil zum Nachlesen: https://hudoc.echr.coe.int/fre?i=001-220958