Prozess gegen Demirtaş wird fortgesetzt

Seit mehr als zwei Jahren sitzt Selahattin Demirtaş im Gefängnis. Heute wird das Hauptverfahren gegen den ehemaligen Ko-Vorsitzenden der HDP fortgesetzt.

Vor dem 19. Schwurgericht Ankara wird heute das Hauptverfahren gegen den Politiker Selahattin Demirtaş fortgesetzt. Der ehemalige Ko-Vorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP) sitzt seit November 2016 in Untersuchungshaft im Hochsicherheitsgefängnis von Edirne. Für die Verhandlung wird ein Raum auf dem Gelände des Gefängniskomplexes Sincan genutzt.

Gegen Demirtaş laufen insgesamt 33 Verfahren. Wegen des Vorwurfs der „Gründung und Leitung einer Terrororganisation“, „Terrorpropaganda“, „Volksverhetzung” und „Billigung und Belobigung von Straftaten“ drohen dem 45-Jährigen bis zu 142 Jahre Haft. Am 20. November verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Türkei aufgrund der unrechtmäßigen Untersuchungshaft von Demirtaş und ordnete seine Freilassung an. Staatspräsident Erdoğan reagierte prompt und sagte, das Urteil sei nicht bindend. „Es gibt viel, was dagegen unternommen werden kann. Wir machen eine Gegenoffensive und erledigen die Sache“, sagte Erdoğan. Einen Tag später hieß es in einer Ansprache auf einer Versammlung mit Ortsvorstehern: „Der EGMR hat gestern ein Urteil gegen unser Land verkündet. Um was ging es dabei? In einem Prozess gegen den ehemaligen Vorsitzenden einer Partei, die mit der Terrororganisation PKK in Verbindung steht, soll die Türkei das Recht auf Freiheit, Sicherheit und Wahlen verletzt haben. Wenn Sie heute in irgendeine Stadt in Europa gehen, dort bewegen sich die Anhänger der Terrororganisation völlig gelassen, unseren Staatsbürgern hingegen, die ihr Land und ihre Nation lieben, wird keine Luft zum Atmen gelassen. Wo bist du, EGMR? Siehst du diese Dinge? Hast du dazu auch ein Urteil gefällt?“

Erdoğan: Europa ist verliebt in den Terror

Im weiteren Verlauf seiner Rede bezeichnete der türkische Staatschef Europa und europäische Institutionen als „Terror-verliebt“ und sein eigenes Regime als eine „wirksame Demokratie“, wie sie nur wenige Länder der Welt vorzuweisen hätten. Darauf, dass die Türkei als Mitglied des Europarats EGMR-Urteile umsetzen muss, ging er nicht ein. Vergangene Woche reagierte dann die türkische Justiz auf das Urteil aus Straßburg zur Freilassung von Selahattin Demirtaş und bestätigte die Haftstrafe gegen Demirtaş. Damit muss Demirtaş im Gefängnis bleiben, auch wenn er im Hauptverfahren aus der Untersuchungshaft entlassen werden sollte. Die HDP kritisiert das Urteil als „gänzlich politisch”. Die Justiz habe ein weiteres Mal Politik gemacht und sei dem Druck der Exekutive gefolgt, hieß es in einer Stellungnahme.

Fall Demirtaş auf Tagesordnung im Europaparlament

Das Europaparlament hat den Fall des ehemaligen HDP-Vorsitzenden auf die Tagesordnung genommen. Aus EU-Kreisen wurden besorgte Stimmen laut, dass die Ablehnung der Einhaltung der europäischen Menschenrechtskonvention durch die Türkei dazu führen könne, dass sich weitere Staaten von den Grundprinzipien des Europarats entfernen und daraus ein zulässiger Umgang entstehe. Zusammen mit dem Fall Demirtaş wurde auch über die Situation aller weiteren politischen Gefangenen in der Türkei beraten.