In Rojhilat läuft seit Sonnabend in zahlreichen Orten ein zweiter Generalstreik. Die meisten Geschäfte in rund 20 Städten, darunter Seqiz, Ûrmiye, Şino, Bane, Serdeşt, Merîwan, Mahabad, Pîranşar, Sine, Bokan und Dîwandere sind geschlossen. Damit protestieren die Teilnehmenden im Rahmen der nach dem staatlichen Femizid an Jina Mahsa Amini durch die Sittenpolizei ausgelösten Volksrevolte gegen Angriffe der iranischen Revolutionsgarden (IRGC) auf Camps und Einrichtungen ostkurdischer Parteien in Südkurdistan.
Am Mittwoch hatten iranische Drohnen und Raketen nach neuesten Erkenntnissen mindestens 16 Menschen getötet und mehr als 50 verletzt. Bilder von Kindern, die sich hinter Felsen in Sicherheit brachten, sorgten für weiteres Entsetzen, denn die Attacken, die Ziele im Großraum von Silêmanî und Hewlêr trafen, galten nicht nur militärischen Zielen, sondern der zivilen Infrastruktur. Betroffen von den Angriffen waren vor allem die Demokratische Partei Kurdistans-Iran (PDK-I und die Freiheitspartei Kurdistans (PAK). Sie treten für einen föderalen Iran mit Autonomierechten für die rund zehn Millionen Kurdinnen und Kurden ein und sind sowohl mit ihren Kampfverbänden als auch zivilen Einrichtungen in Südkurdistan präsent. In ihren Camps versorgen sie Geflüchtete aus Iran beziehungsweise Rojhilat und unterhalten dort auch Einrichtungen wie Schulen und Altenheime. Einige der von Iran abgefeuerten 73 Raketen schlugen unter anderem in einer Grundschule bei Koye ein.
Iran: „Weitere Angriffe, bis Präsenz aller Feinde der Revolution beendet ist“
Schon kurz nach dem gewaltsamen Tod der 22-jährigen Kurdin Jina Mahsa Amini, der die seit mehr als zwei Wochen andauernde Revolte in Rojhilat und Iran auslöste, bombardierten Revolutionsgarden immer wieder Stellungen ostkurdischer Parteien im Grenzgebiet zum Süden sowie zivile Siedlungsgebiete. Die Attacken vom Mittwoch allerdings waren die schwersten seit Langem. Für das Regime in Teheran gelten die PDK-I und PAK, aber auch die Komala und die Partei für ein freies Leben in Kurdistan (PJAK), deren Basislager in den vergangenen Tagen ebenfalls einige Male angegriffen worden waren, als „antirevolutionäre Terroristen“ und „aus dem Ausland gesteuerte Feinde der Islamischen Revolution“, die Iran so lange bekämpfen werde, bis ihre Präsenz im Irak beendet sei.
Dörfer in Çoman wegen andauernden Bombardements evakuiert
Auch heute feuerten Revolutionsgarden wieder Artillerie auf Gebiete in Südkurdistan. Vornehmliches Ziel waren wieder Ausläufer des Berbizina-Gipfels sowie der Çiyayê Helgurd in Balekayetî. Aus Çoman werden seit zwei Tagen massive Angriffe auf mehrere Dörfer in der Region gemeldet, die Ortschaft Werdê wurde am Sonntag mit Kamikaze-Drohnen bombardiert. Menschen wurden nach bisherigen Informationen nicht verletzt, jedoch entstand durch die Attacken massiver Sachschaden in Anbauflächen der ansässigen Bevölkerung. Fünf weitere Dörfer in Çoman sind am Samstag geräumt worden. Die Bewohner:innen evakuierten sich auf eigene Faust, da von der politischen Führung in Hewlêr keine Unterstützung geleistet wird.
IHR: Bisher mindestens 133 Todesopfer bei Antiregimeprotesten
Indes gehen die Proteste in Iran und Rojhilat nach dem Tod von Jina Mahsa Amini auf der Straße, in den Universitäten des Landes und an Arbeitsplätzen unvermindert weiter, auch Forderungen nach Streiks in der wichtigen Ölindustrie werden lauter. Täglich steigen die Zahlen derjenigen, die getötet oder verletzt wurden, und einmal mehr füllen sich auch die Gefängnisse des Landes. „Jin, Jiyan, Azadî“, also „Frauen, Leben, Freiheit“ – der Leitspruch des Volksaufstands, verbindet politische, soziale und wirtschaftliche Forderungen zu einer umfassenden Revolte gegen das gesamte System der Islamischen Republik Iran. Jedoch steigen täglich die Zahlen derjenigen, die getötet oder verletzt wurden, und einmal mehr füllen sich auch die Gefängnisse des Landes. Nach Angaben der kurdischen Menschenrechtsorganisation Hengaw wurde vergangene Nacht mit Mokhtar Ahmadi aus Merîwan ein weiterer Demonstrant gezielt von iranischen Sicherheitskräften erschossen. Die Organisation Iran Human Rights (IHR) mit Sitz in Oslo meldete am Sonntag, dass es bei den Protesten bisher 133 Todesopfer gegeben hat. Mindestens 41 Tote habe demnach allein die gewaltsame Niederschlagung der Proteste vom Freitag in der Stadt Zahedan in der Südostprovinz Sistan-Belutschistan gefordert. Zu den Protesten dort war es nach Berichten unter anderem gekommen, wonach ein örtlicher Polizeichef ein 15-jähriges Mädchen vergewaltigt haben soll, das der belutschischen Bevölkerung angehört. Im Vorfeld der Proteste hatte es beim Freitagsgebet Solidaritätsbekundungen der belutschischen Gemeinschaft mit dem Aufstand gegen das Regime gegeben. Die ersten Schüsse iranischer Trupps waren auf Gläubige in der Makki-Moschee in Zahedan gefallen.