Proteste gegen die Türkei am Jahrestag des Lausanner Vertrags

Vor 97 Jahren wurde zwischen der Türkei und den Alliierten des Ersten Weltkrieges der Lausanner Vertrag unterzeichnet, mit dem die Teilung Kurdistans festgelegt wurde. Das Datum nahmen Kurden zum Anlass, in Genf zweitägige Proteste einzuleiten.

In Genf hat am Freitagnachmittag der erste von zwei Aktionstagen gegen die Kriegspolitik der türkischen Regierung begonnen. Das heutige Datum, das den 97. Jahrestag der Unterzeichnung des Vertrags von Lausanne markiert, suchten sich die Veranstalter*innen der Protesttage aus, um nicht nur gegen die „in genozidaler Absicht geführten Angriffe gegen die kurdische Gesellschaft“ zu demonstrieren, sondern auch das mittlerweile seit über einem Jahr andauernde Embargo über Mexmûr anzuprangern. Das offiziell unter UN-Schutz stehende Flüchtingslager nahe der gleichnamigen Stadt im Süden von Kurdistan ist seit Juli 2019 auf Druck der Türkei einer Blockade durch die Sicherheitskräfte der südkurdischen Regierungspartei PDK (Demokratische Partei Kurdistans) ausgesetzt. Die mehr als zwölftausend Einwohnerinnen und Einwohler des Camps sind damit faktisch von der Außenwelt abgeschnitten. Mittlerweile ist die Versorgung mit Medikamenten und sauberem Trinkwasser so gut wie vollständig eingebrochen.

Der Vertrag von Lausanne legte am 24. Juli 1923 nicht nur die heutigen Staatsgrenzen der Türkei fest, sondern auch die Teilung Kurdistans. Das Abkommen wurde zwischen der Türkei sowie den Alliierten des Ersten Weltkrieges Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan, Griechenland, Rumänien und dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen geschlossen. Mit einem Federstrich wurden die Kurden zu Türken, Iranern, Irakern und Syrern. Wie sich schnell herausstellte, standen selbst die ihnen zugebilligten Bürgerrechte nur auf dem Papier. Denn tatsächlich betrieben die Regierungen aller vier Staaten gegen die kurdische Minderheit eine Politik der Umsiedlung und Vertreibung, der gewaltsamen Unterdrückung, Türkisierung und Arabisierung. Auch fast ein Jahrhundert später hält dieser Zustand vor allem in der Türkei und im Iran weiter an.

„Vereinter Kampf gegen die genozidale Besatzungspolitik des türkischen Staats“ stand auf dem Frontbanner, hinter dem die Demonstration durch Genf führte. Versammelt hatte sich die Menschenmenge zuvor am Place de la Navigation. Rund eine Stunde dauerte der kämpferische und laute Marsch, bei dem immer wieder Parolen wie „Widerstand führt zum Sieg über den Faschismus“ fielen. Eine abschließende Kundgebung wurde am Place de Neuve abgehalten. Der Platz befindet sich am Fuße des ehemaligen Schutzwalls der Stadt und gilt als Ort des Genfer Kulturlebens.

In Redebeiträgen kritisierten Vertreter*innen des Organisationskomitees, das aus dem europaweiten Dachverband der kurdischen Diaspora KCDK-E, dem kurdischen Dachverband in der Schweiz CDK-S, der Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa AvEG-Kon, der Demokratischen Alevitischen Föderation (FEDA), der Partei des sozialistischen Wiederaufbaus SYKP und der Europavertretung der westkurdischen Partei PYD besteht, die Vereinten Nationen und die irakische Zentralregierung für ihr Schweigen gegenüber den Rechtsverletzungen gegen das Camp Mexmûr. Außerdem wurde die internationale Ignoranz angesichts der Verbrechen der Türkei gegen die kurdische Bevölkerung im eigenen und der Nachbarländer gebrandmarkt, vor allem in Rojava und Başûr. Die Redner*innen riefen die Anwesenden zur Teilnahme am morgigen Aktionstag in Lausanne auf. Die dortige Demonstration führt am Samstag zum Place de la Riponne vor den Palais de Rumine - dem Gebäude, in dem der Lausanner Vertrag unterzeichnet wurde. Ab 15 Uhr findet dort eine Kundgebung statt.