Proteste für die Verschwundenen

Im Rahmen der Woche für die in Haft Verschwundenen haben in verschiedenen Städten Protestaktionen stattgefunden. Noch immer ist das Schicksal von etwa 17.000 Menschen in der Türkei und Nordkurdistan ungeklärt.

Vom 17. bis zum 31. Mai findet die Kampfwoche für die in Haft Verschwundenen statt. In den 1990er Jahren sind Schätzungen zufolge etwa 17.000 Menschen in der Türkei und Nordkurdistan nach ihrer Verschleppung durch staatliche Kräfte „verschwunden“. Das bedeutet, sie wurden ermordet und an unbekannten Orten verscharrt, in Brunnen geworfen oder in Säure aufgelöst. Im Rahmen der aktuell stattfindenden Woche für die in Haft Verschwundenen fanden am Dienstag Protestaktionen statt, unter anderem in Istanbul, Basel und Berlin. Angehörige und solidarische Aktivist:innen forderten die Aufklärung des Schicksals der Verschwundenen.

Istanbul: Anzünden von Kerzen für die Verschwundenen wird verboten

Offenbar sind für die Verschwundenen entzündete Kerzen dem erneut gewählten AKP/MHP-Regime bereits zu viel. So wurde eine Niederlegung von Blumen und das Entzünden von Kerzen für die Verschwundenen am Cami-Platz in Istanbul-Şişli von der türkischen Polizei verhindert. Aufgerufen zu der Aktion hatten der Menschenrechtsverein IHD und das Istanbuler Vorbereitungsgremium der Aktionswoche sowie die Initiative der Samstagsmütter. Die Gruppe von Aktivist:innen wurde eingekesselt und abgedrängt. Daraufhin blieb den Menschen nur übrig, das Gedenken in den Räumen des IHD-Istanbul abzuhalten.


Die Vorsitzende des Istanbuler IHD-Büros, Gülseren Yoleri, erinnerte an die seit 948 Wochen andauernden Proteste der Samstagsmütter: „Wir werden dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit weiterhin bei jeder Gelegenheit thematisieren. Jede Woche werden wir sie daran erinnern, dass sie dieses Verbrechen begangen haben, wer die Täter sind, wer diejenigen sind, die dieses Verbrechen verschleiern. Wir werden unsere kämpferische Haltung und unsere Entschlossenheit niemals aufgeben.“

Hanım Tosun, eine Angehörige, protestierte mit den Worten: „Niemand hat die Macht, uns am Protest zu hindern. Vielleicht sperren sie die Plätze für uns, aber niemand wird uns von der Suche nach unseren Verschwundenen abhalten können. Der Kampf wird weitergehen, bis die Täter vor Gericht gestellt werden.“

Berlin: Protest für die Verschwundenen


In Berlin hatte ICAD (International Comittee against Disappearances) zur Kundgebung ans Kottbusser Tor mobilisiert. Die Aktivist:innen forderten die Aufklärung des Verschwindenlassens. Dies sei von besonderer Bedeutung, „weil die Staaten, die diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt haben, diese vertuschen und die Täter unter einem Panzer der Straflosigkeit schützen“.

Basel: Unterstützungsaktion für die Samstagsmütter

In Basel versammelten sich Aktivist:innen unter dem Motto „Wir werden weiterhin Rechenschaft für die Verschwundenen in Haft verlangen“. In der Erklärung von ICAD wurde an die Verschwundenen erinnert: „Von Hitler-Deutschland bis Lateinamerika, von der Türkei bis Sri Lanka, von Pakistan bis Irak, von Syrien bis Kolumbien, von Mexiko bis Belutschistan, von Ägypten bis Marokko sind Menschen, die aktiv gegen das System der Unterdrückung und Ausbeutung kämpfen, in Haft verschwunden.“ Diese Methode solle ein Klima der Angst schaffen und die gesellschaftliche Opposition zum Schweigen bringen.


Die Aktivist:innen solidarisierten sich mit den Forderungen der Samstagsmütter nach Aufklärung des Schicksals der Verschwundenen und einem Ende der Straflosigkeit für die Täter. Damit niemand mehr verschwindet, solle der türkische Staat das Übereinkommen der Vereinten Nationen (UN) zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen unterzeichnen, ratifizieren und umsetzen. Außerdem müsse das Protestverbot am Galatasaray-Platz in Istanbul, an dem sich die Samstagsmütter wöchentlich versammeln, aufgehoben werden.

Diejenigen, die verschwinden lassen, werden verlieren“

Von den Samstagsmüttern nahm unter anderem die Menschenrechtsaktivistin Münevvver Iltemur an dem Protest teil. Sie geht seit dem 27. Mai 1995 wöchentlich mit den Samstagsmüttern auf die Straße und versucht, am Galatasaray-Platz zu protestieren. Gegenüber ANF erklärt Iltemur: „Schon damals wurden wir jede Woche festgenommen. Trotz des Urteils des Verfassungsgerichts hat der faschistische türkische Staat den Galatasaray-Platz seit langer Zeit für die Samstagsmütter gesperrt. In den letzten fünf oder sechs Wochen wurde versucht, die Samstagsmütter und ihre Geschwister, die Samstagsleute, mit Festnahmen einzuschüchtern. Doch das ändert nichts daran: Die Verschwundenen müssen gefunden, Rechenschaft muss abgelegt werden. Diejenigen, die verschwinden lassen, werden verlieren.“

Die Aktion endete mit Appellen an die internationale Solidarität.