In Nürnberg trafen sich Kurd:innen und solidarische Menschen am Freitag vor dem Gewerkschaftshaus zum Protest gegen die Folgen des Abkommens von Lausanne vor 101 Jahren. Der Vertrag sah nach dem Verfall des Osmanischen Reiches nicht nur die Gründung neuer Staaten vor, sondern auch die Aufteilung der kurdischen Siedlungsgebiete zwischen der Türkei, dem Irak, Iran, und Syrien. Dem kurdischen Volk wurden Status und Identität abgesprochen. Der damalige imperialistische Schachzug kann als Beginn der sogenannten „kurdischen Frage“ gesehen werden und geht bis heute einher mit Krieg, Vertreibung und Versuchen der Assimilation.
Über 100 Jahre und viele Aufstände später kämpfen Kurd:innen noch immer um die Annullierung des Schandflecks von Lausanne. Mittlerweile gut organisiert (und vielerorts kriminalisiert), findet der Kampf der Freiheitsbewegung um Anerkennung und Selbstbestimmung nicht mehr nur in Kurdistan statt. Aufgrund von Verfolgung und Vertreibung leben Kurd;innen auf der ganzen Welt verstreut, hauptsächlich in Europa. Unterstützt von vielen Internationalist:innen und bekannten Persönlichkeiten prangern sie die fortwährenden Angriffe des türkischen Staates auf die kurdische Freiheitsbewegung an und fordern eine Wiederaufnahme des politischen Dialogs mit Abdullah Öcalan, dem Begründer der PKK, der von seinem Volk isoliert auf der Gefängnisinsel Imrali weggesperrt wurde.
Aktuell eskaliert das Erdoğan-Bahçeli-Regime den Krieg in Südkurdistan. Gegen die PKK-Guerilla in Zap, Metîna und Avaşîn werden verbotene Chemiewaffen eingesetzt. Im Juni begann das türkische Militär mithilfe von Söldnern des sogenannten Islamischen Staates eine Offensive in der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak (KRI). Mit Zustimmung der Erdoğan-hörigen Kollaborateure der Partei des Barzani-Clans PDK wird eine Annexion vorbereitet.
In Nord- und Ostsyrien (Rojava) fliegt die türkische Luftwaffe immer wieder Angriffe gegen die zivile Infrastruktur. Selbst die Natur Mesopotamiens macht die Türkei zur Waffe. Durch die Errichtung von Staudämmen wird die Wasserzufuhr von Euphrat und Tigris gedrosselt, um Zugeständnisse der irakischen Regierung zu erpressen. Ökologische Verwüstungen und Ernteausfälle sind die Folge. Man nennt dies auch Ökozid.
Die europäischen Staaten und ihre Medien ignorieren die Kriegsverbrechen und Annexionspläne des NATO-Mitglieds Türkei. Sie glauben der türkischen Propaganda, die vom „Kampf gegen den Terror“ spricht, und hüten sich, angesichts der angespannten Lage in der Region das Regime in Ankara zu brüskieren. Wieder einmal wird verkannt, dass der türkische Staat permanent zu den Fluchtbewegungen beiträgt, die Europa mit immer unmenschlicheren Maßnahmen der Abschottung verhindern will.
Auf der Kundgebung in Nürnberg wurde versucht, die Öffentlichkeit auf diese – sicher komplizierte Gemengelage – hinzuweisen. Als wichtigste Forderung wurde immer wieder skandiert: „Türkische Armee raus aus Kurdistan!“ In Redebeiträgen wurde die Freilassung des PKK-Begründers Abdullah Öcalan verlangt, denn nur mit ihm ist eine Rückkehr an den Verhandlungstisch möglich. An die deutsche Regierung gerichtet war der Vorschlag, ausnahmsweise nicht die Rolle eines Kriegstreibers einzunehmen, sondern die eines Vermittlers.
Wo die Sympathien der Teilnehmer:innen der Kundgebung lagen, war unschwer zu erkennen an den Liedern und Parolen, die die Redebeiträge begleiteten: „Bijî Berxwedana Gerîla!“