Das Solidaritätsbündnis Antifa Ost hat eine Stellungnahme zur Entwicklung der Repression nach §129 StGB in Deutschland abgegeben. Wie das Bündnis, das den Prozess gegen die Antifaschistin Lina E. und ihre Mitangeklagten in Leipzig solidarisch begleitet, am Dienstag mitteilte, hat das Landgericht Potsdam vergangene Woche eine Beschwerde von „Letzte Generation“ abgelehnt und damit einen Anfangsverdacht der Staatsanwaltschaft Neuruppin bestätigt: Bei „Letzte Generation“ könne es sich um eine „Kriminelle Vereinigung“ nach §129 StGB handeln.
„Die deutsche Strafverfolgung hat ihren SUV in den nächsten Gang geschaltet“, erklärt das Solidaritätsbündnis: „Schon lange bevor sich Genoss:innen an Bilderrahmen geklebt haben, ist auch die Klimabewegung ins Visier geraten. Im Frühjahr 2022 wurde Ella zu 21 Monaten Gefängnis verurteilt, von denen Ella bereits 1,5 Jahre Untersuchungshaft verbracht hatte. Grund: Während der Räumung des Dannenröder Forsts soll Ella einen vollgerüsteten SEK-Beamten, der in schwindelerregenden Höhen an Ella herumzerrte, getreten haben. Fast ein Jahr später wiederholte sich das brutale Vorgehen in Lützerath, wobei mehrfach das Leben von Aktivist:innen gefährdet wurde. Nun sind lügende Cops keinen Absatz wert. Doch markiert Ella einen der ersten Fälle der jüngeren Vergangenheit, bei denen in Deutschland mit langen Haftstrafen gegen Klimaaktivist:innen vorgegangen wird. Für eine Blockadeaktion am Braunkohlekraftwerk Jänschwalde mussten zwei Genoss:innen unter skandalösen Haftbedingungen vier Monate hinter Gitter, in Heilbronn genügte das Festkleben auf einer Straße dem Gericht für zwei und drei Monate ohne Bewährung.“
Dank neuer Polizeiaufgabengesetze lasse sich die Repression in verschiedenen Bundesländern sogar vor die eigentlichen Straftaten verlagern: „Im August 2022 wurden bei den Protesten in Lützerath erstmals Klimaaktivist:innen für sieben Tage in Präventivhaft genommen. Genau wie mit der Kategorie ,Gefährder:in' wurde damit der feuchte Traum deutscher Innenminister in Recht gegossen: Die Vorverlagerung von Strafe, ohne eine konkrete Beschuldigung oder dringenden Tatverdacht. Seither wurden mindestens 13 Klimaaktivist:innen für bis zu 30 Tage in Präventivhaft genommen – die meisten in Bayern. Diese Form der Repression wurde bisher vor allem gegen rassistisch Verfolgte und Islamist:innen eingesetzt. 2017 wurde erstmals ein Genosse als ,Gefährder' für die Dauer des G20-Gipfels inhaftiert. Jetzt ist die Klimabewegung Versuchslabor für die Ausweitung auf linke Bewegungen.
Dieser Prozess verläuft auch umgekehrt, wie das §129-Verfahren gegen ,Letzte Generation' zeigt. Hier ist das Antifa Ost-Verfahren Wegbereiter für eine vereinfachte Verurteilung einer ,Kriminellen Vereinigung', die juristisch seit 2017 möglich ist. Wir rechnen mit einem Urteil, das eine solche erstmals ohne harte Kriterien konstruiert. Geilhorn von der Bundesanwaltschaft unterstrich in ihrem Abschlussplädoyer im Antifa Ost-Verfahren, dass eben keine Mitgliederliste und keine Gruppenkasse mehr nötig sei. Eine gemeinsame Ideologie, Kennverhältnisse und die Verbindung Einzelner zu konkreten Aktionen sollen genügen.
Mit elf Hausdurchsuchungen wurde der Anfangsverdacht der Staatsanwaltschaft Neuruppin im Dezember 2022 bekannt. Auslöser war hier übrigens, dass Aktivist:innen eine Erdöl-Pipeline zugedreht und damit wohl das Kapital verärgert hatten. §129 wurde auch in den letzten Jahrzehnten oft und gerne genutzt, allerdings als Schnüffelparagraph. Nun sollen Haftstrafen folgen. Ein Prozess, der genau genommen schon seit Jahren im Gang ist: Meistens ungesehen werden kurdische, türkische, tamilische und palästinensische Linke nach §129b verfolgt, inhaftiert und abgeschoben. Jetzt, für den novellierten §129 sitzen vier Antifaschist:innen auf der Anklagebank, ihr Urteil wird auch eines gegen die Klimabewegung sein.
Großbritannien ist bereits den nächsten Schritt gegangen: Im April diesen Jahres wurde ein Gesetz zur Verfolgung von ,egoistischen Demonstranten' geschaffen. Verdächtige können nicht nur anlasslos durchsucht und Personen von Protesten ausgeschlossen werden. Für Blockaden und Sich-anketten wurden auch direkt hohe Haftstrafen in Aussicht gestellt. Zwei Aktivist:innen hat es dort noch im gleichen Monat getroffen: Für eine Abseilaktion auf einer Londoner Brücke wurden sie zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Der Slogan auf ihrem Banner: ,Just stop oil'.
Wir solidarisieren uns mit den vielen Gruppen, Aktionsformen und mutigen Aktivist:innen der Klimabewegung. Denn gemeint sind wir alle!“
Das Solidaritätsbündnis Antifa Ost ruft zum Tag X nach der Urteilsverkündung gegen Lina E. und ihre Mitangeklagten zu einer Demonstration in Leipzig auf. Die Bundesanwaltschaft fordert für Lina E. acht Jahre Freiheitsstrafe. Nach aktuellem Zeitplan wird das Urteil am 31. Mai verkündet und Tag X wird am 3. Juni stattfinden. Am Tag der Urteilsverkündung sind dezentrale Demos angekündigt. Weitere Informationen sind auf soli-antifa-ost.org/x zu finden.