Im November begann vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart der Prozess gegen den kurdischen Aktivisten Ali E. Die Anklage beschuldigt den 72-Jährigen, sich als Mitglied der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) seit September 2011 bis zu seiner Festnahme im März 2022 in Deutschland als Leiter verschiedener „PKK-Gebiete bzw. -Räume“ betätigt zu haben. Die für eine strafrechtliche Verfolgung erforderliche Ermächtigung wurde vom Bundesjustizministerium – in Absprache mit dem Bundeskanzleramt sowie dem Bundesinnenministerium und Auswärtigen Amt – generell für die sogenannte Kaderebene am 6. September 2011 erteilt.
Auch dieser Prozess neigt sich dem Ende zu, wie der Kölner Rechtshilfefonds AZADÎ mitteilt. Für die Verhandlung am Dienstag, 23. Mai 2023, ist demnach geplant, dass sowohl die Generalstaatsanwaltschaft als auch die Verteidigerin von Ali E., Rechtsanwältin Anna Busl, ihre Plädoyers halten. Nach jetzigem Stand ist die Verkündung des Urteils für Dienstag, 30. Mai 2023, vorgesehen. Beide Verhandlungen beginnen jeweils um 9:30 Uhr vor dem OLG, Olgastraße 2 in Stuttgart.
Mit diesem Verfahren wird der dritte „Terrorismus“-Prozess in diesem Monat beendet. So wurde Özgür A. (49) am 10. Mai vom OLG Koblenz zu einer ungewöhnlich hohen Haftstrafe von fünf Jahren und Abdullah Ö. (59) vom OLG Frankfurt am Main einen Tag später zu viereinhalb Jahren verurteilt. „Es bleibt abzuwarten, was das OLG Stuttgart dem 72-jährigen Ali E. noch zumuten wird“, so Monika Morres von AZADÎ.
Ali E. wurde nach dem Militärputsch vom September 1980 vom 1. Militärgericht von Adana wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation“ zu einer Freiheitsstrafe von 17 Jahren und neun Monaten verurteilt. Während der Haft war er schweren Misshandlungen und Folterungen ausgesetzt. Nach seiner vorzeitigen Haftentlassung war er gezwungen, die Türkei zu verlassen. Er reiste Ende Dezember 1988 ins Bundesgebiet ein und wurde als politisch Verfolgter anerkannt. Seit Juni 2001 verfügt er über die deutsche und türkische Staatsbürgerschaft.
Im Jahre 2007 hatte die türkische Justiz per Interpol-Fahndung („Red notice“) die deutschen Behörden um Auslieferung von Ali E. ersucht, doch lehnte das Bundesamt für Justiz seinerzeit den Vollzug eines Haftbefehls ab. Während eines Aufenthalts in England wurde der Kurde im März 2011 erneut aufgrund einer internationalen Fahndungsnotierung aus der Türkei in London festgenommen. Wegen ungenügender Beweismittel lehnte auch das dortige Gericht eine Auslieferung ab.
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