Das Zentralkomitee der Arbeiterpartei Kurdistans PKK (Partiya Karkerên Kurdistanê) hat sich zum Urteil des Kassationshofs in Brüssel geäußert, der Anfang der Woche endgültig die Entscheidung des Revisionsgerichts bestätigte, wonach die PKK keine „terroristische Organisation”, sondern eine Partei in einem bewaffneten Konflikt ist. Ohne Zweifel sei die Entscheidung des obersten Gerichts Belgiens von „historischer Bedeutung für die Kurden und demokratische Öffentlichkeit” und habe das Potenzial, die gesamte europäische Politik zu beeinflussen, heißt es in einer Stellungnahme der PKK, die das Urteil als juristische Ahndung des internationalen Komplotts gegen Abdullah Öcalan wertet.
Als internationales Komplott bezeichnet die kurdische Gesellschaft die Phase vom 9. Oktober 1998 bis zum 15. Februar 1999. Im Verlauf dieser Zeitspanne wurde der PKK-Gründer Abdullah Öcalan, der als Vordenker der kurdischen Befreiungsbewegung und wichtigster politischer Repräsentant der Kurdinnen und Kurden gilt, zunächst in Syrien zur persona non grata erklärt, und durchlebte anschließend eine Odyssee durch verschiedene Länder Europas, um schließlich aus der griechischen Botschaft der kenianischen Hauptstadt Nairobi verschleppt und völkerrechtswidrig an die Türkei übergeben zu werden.
„Wir hoffen, dass sich das Urteil in der EU im Sinne einer demokratisch-politischen Lösung der kurdischen Frage durchsetzen wird. Damit könnte Europa das tun, was es vor 21 Jahren verpasst hat. Abdullah Öcalan stellte vor mehr als zwei Jahrzehnten die Möglichkeit in Aussicht, die kurdische Frage im Rahmen der Demokratie zu lösen - Europa nahm diese Chance nicht wahr. Wie damals ist Öcalan auch heute für eine friedliche Verhandlungslösung für die kurdische Frage bereit. Konsequent richtet er Gesprächsangebote an die verantwortlichen Stellen und signalisierte im vergangenen Mai einmal mehr seine Bereitschaft, für Gespräche über eine politische Lösung der kurdischen Frage zur Verfügung zu stehen. Nun liegt es an Europa und den verantwortlichen Kräften dieses Konflikts, die die kurdische Frage stets in eine Sackgasse manövrieren. Doch angesichts des belgischen Urteils und des Widerstands für Freiheit, der sich in Kurdistan entwickelt, wird es für diese Kräfte schwierig, an ihrem bisherigen Ansatz festzuhalten.”
PKK-Verfahren in Belgien
Das Urteil des belgischen Kassationshofs, wonach die PKK keine „terroristische Organisation”, sondern eine Partei in einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt ist, und daher nicht durch das nationale Antiterrorgesetz verurteilt werden kann, ist bereits von März 2019. Die Entscheidung ist nun endgültig und für alle beteiligten Verfahrensparteien bindend bestätigt.
Hintergrund war ein Verfahren gegen insgesamt 40 Kurden, denen Spendensammlung, Propaganda und Rekrutierung für die PKK vorgeworfen wurde. Im Jahr 2010 hatte die Polizei deswegen mit einem Großaufgebot die Studios des Satellitensenders Roj TV, die Räumlichkeiten des Kurdistan Nationalkongresses (KNK) und anderer legaler kurdischer Institutionen in Belgien durchsucht und mehrere KNK-Repräsentanten festgenommen. In einem zweiten Fall wurde einem Kurden aus Nordsyrien vorgeworfen, Kommunikationsgeräte nach Hewlêr (Erbil) in Südkurdistan/Nordirak exportiert zu haben, die laut Staatsanwaltschaft an die kurdische HPG-Guerilla weitergereicht worden seien.
Gegen heftige Widerstände der Staatsanwaltschaft hatte die Verteidigung von Beginn an die Frage in den Mittelpunkt der Verfahren gestellt, ob es sich bei der PKK überhaupt um eine „terroristische“ Organisation handelt und das belgische Anti-Terror-Gesetz zur Anwendung kommen könne. Dieses hat den Vorbehalt, dass es nicht auf bewaffnete Kräfte innerhalb eines Konfliktes nach internationalem Recht anwendbar ist. Die Regelung wurde 2003 im Zuge der europäischen Rahmenvereinbarung über Terrorismus buchstabengetreu in belgisches Recht übernommen und sollte eigentlich als Grundlage der Anti-Terror-Gesetze in den meisten europäischen Staaten gelten.
Nach Auffassung der Verteidigung ist der Konflikt in der Türkei zwischen Kurd*innen und der türkischen Armee selbstverständlich keine Terrorismusangelegenheit, sondern ein Bürgerkrieg zwischen einem Staat und einer Gruppe, die es als notwendig erachtet, sich mit Gewalt gegen Diskriminierung und Unterdrückung zu verteidigen. Der Konflikt habe eine hinreichende Intensität, um als Krieg angesehen zu werden und nicht als terroristische Aktivität oder bewaffnete Zwischenfälle.
Die kurdische Guerilla HPG sei hinreichend organisiert und strukturiert, um als bewaffnete Kraft und nicht nur als eine irreguläre Gruppe bezeichnet zu werden. Deshalb müsse das Kriegsrecht und nicht das Anti-Terror-Gesetz angewendet werden. So könnten Angriffe auf militärische Ziele nicht als kriminelle Handlungen bewertet werden.
Während das Revisionsgericht dieser Einschätzung im Wesentlichen zugestimmt hatte, widersprach die Anklage beim Obersten Gerichtshof. Dieser hob zwar die vorherige Entscheidung auf, allerdings nicht in den zentralen Punkten. Deshalb mussten die Verfahren wieder vor dem Revisionsgericht in Brüssel verhandelt werden.