Nach der endgültigen Bestätigung des belgischen Kassationsgerichtshofs, dass die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) keine terroristische Organisation ist, haben sich heute Rechtsanwälte, Europaparlamentarier und die kurdischen Politiker Remzi Kartal und Zübeyir Aydar auf einer Pressekonferenz in Brüssel zu dem Thema geäußert. Der Gerichtsbeschluss habe eine Bresche in die Kriminalisierungspolitik gegen die kurdische Bewegung geschlagen, kommentierten die Beteiligten.
Der Kassationshof in Brüssel hat am Dienstag endgültig die Entscheidung des Revisionsgerichts vom März 2019 bestätigt, wonach die kurdische Arbeiterpartei PKK keine „terroristische Organisation”, sondern eine Partei in einem bewaffneten Konflikt ist. Vor zwei Wochen hatte der Generalstaatsanwalt beim Brüsseler Kassationshof bereits eine entsprechende Empfehlung ausgesprochen.
„Terrorismus-Argument“ legitimiert Unterdrückung der Opposition
Auf der Konferenz im europäischen Presseclub äußerten sich zunächst der sozialdemokratische EP-Abgeordnete Andreas Schieder, Nikolaj Villiumsen (GUE) und François Alfonsi von der Grünen-Fraktion. Villiumsen erklärte, dass die Gerichtsentscheidung Konsequenzen haben müsse. Er verwies auf die Unterdrückung der Opposition in der Türkei, insbesondere der HDP, durch das AKP-Regime, die mit Terrorismusvorwürfen begründet werde. Auch für den Einmarsch in Syrien sei das „Terrorismus-Argument“ herangezogen worden. Das Problem lasse sich jedoch nicht mit Gewalt lösen, sagte Villiumsen und rief die türkische Regierung und die PKK zu Verhandlungen über eine politische Lösung auf. Andreas Schieder erklärte, es gehe bei dem Problem nicht um Terrorismus, sondern um die Rechte einer Bevölkerungsgruppe. Für kulturelle, politische und ökonomische Rechte zu kämpfen, sei legitim.
Terrorliste verhindert politische Lösung
Anschließend ergriff wieder Villiumsen das Wort und sagte, die Listung der PKK als Terrororganisation sei ein Fehler der EU, der eine Lösung der kurdischen Frage verhindere. Das belgische Urteil könne dazu beitragen, einen politischen Prozess zu starten. Auf die Frage von ANF, wie die Erklärung des belgischen Außenministers Philippe Goffin zu dem Urteil zu bewerten sei, erklärte Villiumsen, es handele sich um eine sehr unglückliche Äußerung. Goffin hatte am Mittwoch mitgeteilt, dass sich die Einstellung der belgischen Regierung durch das Gerichtsurteil nicht ändere, die PKK gelte weiterhin als terroristische Vereinigung. Villiumsen kündigte an, das Urteil auch im Europaparlament zu thematisieren.
Der Grünen-Abgeordnete François Alfonsi bezeichnete die Brüsseler Gerichtsentscheidung als positiven Schritt gegen die Kriminalisierung der kurdischen Bewegung. Jetzt gehe es darum, den Beschluss in allen EU-Ländern durchzusetzen.
Eingriff in die Justiz durch belgischen Außenminister
Anschließend äußerten sich die vier Rechtsanwält*innen Jan Fermon, Joke Callewaert, Paul Bekaert und Luc Walleyn, die die kurdische Seite vertreten haben, zu dem juristischen Prozess und seiner Bedeutung. Paul Bekaert verwies darauf, dass die Unterdrückung durch die Terrorismus-Anschuldigung sich nicht nur gegen die PKK richte, sondern gegen alle Kurdinnen und Kurden. Jetzt stelle sich die Frage, ob die belgische Regierung den Gerichtsentscheid respektieren werde. Die belgische Justiz habe ein eindeutiges Urteil gefällt, das sich auch auf die EU-Terrorliste auswirken müsse. Jan Fermon erläuterte den Ablauf des Verfahrens und wies auf die Wikileaks-Dokumente hin, mit denen öffentlich geworden sei, dass die US-Botschaft entsprechenden Druck ausgeübt habe. Auch bei der Listung der PKK als Terrororganisation durch die EU handele es sich um eine politische Entscheidung, die revidiert werden müsse. Die Äußerung des belgischen Außenministers bezeichnete Fermon als „Eingriff in die Justiz“.
Bereit für eine politische Lösung
Zuletzt redeten Remzi Kartal als Ko-Vorsitzender von Kongra Gel und Zübeyir Aydar vom Exekutivrat des KNK (Kurdistan Nationalkongress). Die beiden kurdischen Politiker gehörten zu den Angeklagten in dem ursprünglichen Verfahren in Belgien.
Kartal brachte den Wunsch zum Ausdruck, dass das Urteil die gegen die Kurden gerichtete Kriminalisierungspolitik in Europa verändere: „Das Problem ist nicht die PKK. Die PKK wird zum Vorwand für einen Angriff auf das kurdische Volk genommen.“ Die EU rief er dazu auf, den belgischen Gerichtsbeschluss als Präzedenzurteil zu behandeln und einen neuen Umgang mit der kurdischen Frage zu finden.
Zübeyir Aydar erklärte, dass über die EU-Terrorliste die Verhaftungen, Folter und Morde des türkischen Staates legitimiert werden: „Niemand sollte sich weiterhin zum Komplizen Erdoğans machen. In Europa sind Zehntausende Menschen über die Definition der PKK als terroristische Vereinigung kriminalisiert worden. Wir sind eine Kriegspartei und treten für die Freiheit unseres Volkes ein. Wir sind dazu bereit, das Problem friedlich über einen Dialog zu lösen. Ich rufe die belgische Regierung und die EU dazu auf, sich nach dem Gerichtsurteil zu richten und die PKK von der Terrorliste zu streichen.“