Ohne Entwicklung der Opposition kein Ende der Kobanê-Verfahren

Im Interview spricht die im Kobanê-Verfahren verurteilte ehemalige HDP-Politikerin Zeynep Karaman über das Verfahren und die Bedingungen für einen grundsätzlichen Wandel in der Türkei.

Zeynep Karaman

Während einerseits das Echo der immens hohen Haftstrafen gegen Politiker:innen der HDP noch nicht verhallt ist, wird auf der anderen Seite vom AKP/MHP-Regime ein Diskurs einer angeblichen „Normalisierung“ der Zustände verbreitet. Das Kobanê-Verfahren ist Ausdruck der Tradition, Politik in den Gerichtssälen zu gestalten und damit Botschaften an die Gesellschaft zu senden. Was bedeuten diese Urteile im Schatten des „Normalisierungs“-Diskurses zwischen der bei den Kommunalwahlen massiv unterlegenen Regierung und der CHP? Warum ist die Zusammenarbeit zwischen der kurdischen Freiheitsbewegung und den sozialistischen und demokratischen Kräften so gefürchtet? Wie haben die Menschen im Gefängnis die Urteile im Kobanê-Verfahren interpretiert? Was erwarten sie von der Außenwelt? All diese Fragen hat die Tageszeitung Yeni Özgür Politika der im Kobanê-Verfahren zu 18 Jahren wegen „Zerstörung der Einheit des Staates“ verurteilten Zeynep Karaman, ehemaliges Mitglied des Zentralen Exekutivkomitees der HDP, gestellt.

Sie und Ihre Kollegen wurden im Kobanê-Prozess verurteilt. Wie interpretieren Sie das Urteil politisch?

Bevor ich Ihre Fragen beantworte, grüße ich alle Kräfte des sozialen Widerstands, insbesondere die Samstags- und die Friedensmütter, und alle unsere Menschen, die für Demokratie, Gleichheit und Freiheit kämpfen. Die 94-jährige Nora Cortinas, eine der Gründerinnen der Mütter von der Plaza de Mayo, deren Angehörigen in der Haft des diktatorischen Regimes in Argentinien verschwunden sind und die für Informationen über ihr Schicksal kämpfen, ist gestorben. Der Widerstand der Mütter der Plaza de Mayo inspirierte die Samstagsmütter hier und wird im Kampf für Erinnerung, Gerechtigkeit und Wahrheit weiterleben. Als eines der Kinder dieser widerständigen Mütter, sage ich: Eure Realität ist unsere Realität. Berfo und Nora werden in unserem Trillern weiterleben. Vergessen tötet, Erinnern befreit. Wir werden nicht vergessen, wir werden nicht zulassen, dass man sie vergisst.

Ich grüße hier aus der Gefangenschaft das kurdische Volk, insbesondere die Frauen, die Sozialist:innen und die Demokrat:innen, die Menschen, die ein Gewissen haben, die sich nicht der Mentalität und den Strukturen des Faschismus und der Vernichtung unterwerfen und die darauf beharren, ein Leben in Freiheit aufzubauen, und ich sage, dass niemand daran zweifeln sollte, dass wir den Kampf weiterführen werden. Ich glaube, dass die Freund:innen, die ebenfalls in unserem Verfahren angeklagt waren und freigesprochen und freigelassen wurden, den Kampf für Demokratie und Freiheiten draußen an unserer Stelle führen werden, und ich sende meine Liebe nach draußen.

Gegenwärtig finden im Gefängnis Aktionen statt. Wir kämpfen dafür, dass das am längsten andauernde und festgefahrenste Problem der Türkei, die Frage nach der Gleichberechtigung des kurdischen Volkes und seiner universellen Rechte als Nation, durch Dialog, Politik und Recht gefunden wird und nicht wie seit hundert Jahren durch Stillstand, Verleugnung und Vernichtung verhindert wird. Wir sagen, dass alle Hindernisse, die dem im Weg stehen, ausgeräumt werden müssen, und dass der kurdische Repräsentant Abdullah Öcalan seine Rolle für den Frieden spielen und seine Friedensarbeit frei leisten kann. Deshalb fordern wir ein Ende der seit Jahren bestehenden Isolation. Wir fragen nicht, ob Herr Öcalan freigelassen wird, sondern wann. Die Verweigerung seines Rechts auf Familien- und Anwaltsbesuche, Telefongespräche und alle anderen Arten der Kommunikation richtet sich gegen den sozialen Frieden und verstößt gegen die Menschenrechte. Die Politik der Totalisolation von Herrn Öcalan und der auf eine Person zugeschnittenen Sondervollzug stellen sowohl eine klare Diskriminierung als auch ein Mittel dar, den sozialen Frieden permanent zu beeinflussen. Gegenwärtig wirkt sich die Praxis des personalisierten Vollzugs gegen Herrn Öcalan direkt auf das Leben der gesamten türkischen Bevölkerung aus. Die Isolation, das Festhalten an der Vernichtungs- und Verleugnungspolitik in Bezug auf die kurdische Frage und die auf der Diskriminierung von Kurd:innen aufgebauten Struktur der hundertjährigen Republik haben zu einem schrecklichen Degenerationsprozess geführt.

Letztlich ist die Konstruktion und das Urteil im Kobanê-Verfahren nicht unabhängig von dieser hundertjährigen Realität zu betrachten. Das Kobanê-Verfahren baut auf der vom faschistischen Regierungsbündnis aus AKP und MHP geschaffenen Grundlage auf.

Inwiefern hängt das Kobanê-Verfahren auch mit dem gemeinsamen Kampf von Sozialist:innen und der kurdischen Freiheitsbewegung zusammen? Worin besteht die Furcht davor?

Ob Gezi in der Türkei oder Kobanê in Kurdistan, diese Verfahren wurden vom faschistischen Machtblock konstruiert, um die demokratischen, freiheitlichen Dynamiken in der Türkei und in Kurdistan durch Exempel zu liquidieren. Es handelt sich um symbolische Prozesse. Die AKP/MHP sprechen als momentane Herrscher über den Staat das Urteil. Vor Gericht stehen die demokratischen und freiheitlichen Werte der Völker der Türkei und ihr wachsender Wille zum Zusammenleben. Sie sind die grundlegende Dynamik der demokratischen Nation. Und natürlich ist es der türkische ethnische Nationalismus, der über den kurdischen demokratischen Willen zu einer Lösung aburteilt.

Wie werden sich die Urteile in diesem Verfahren Ihrer Meinung nach auf die Demokratie des Landes auswirken? Der endgültige Ausgang solcher Verfahren wird oft durch den Kampf von außen bestimmt. Was erwarten Sie als jemand, der im Gefängnis kämpft, von „außen“?

Wie Sie in Ihrer Frage dargelegt haben, wird der organisierte und sich kontinuierlich verbreiternde Massenkampf der demokratischen Dynamiken den endgültigen Ausgang solcher Verfahren bestimmen. Ohne diesen Kampf wird es immer neue Kobanê-Verfahren geben. Schließlich handelt es sich um symbolische Prozesse für diese politische Phase. Entweder werden diese Prozesse durch demokratischen Kampf und starken Widerspruch mit einem Freispruch enden, oder der herrschende Block wird die Nation weiterhin mit seiner Tyrannei zum Krieg hetzen. Die Gesetze der Natur und die Gesetze der Gesellschaft stimmen nicht immer überein. Man kann warten, bis ein reifer Apfel vom Baum fällt, er wird schließlich fallen. Aber auf den gesellschaftlichen Wandel, selbst auf den Regierungswechsel, kann man nicht warten.

In der Wirtschaft ist das bereits sichtbar, es gibt eine fürchterliche Korruption. Das Leben dieser Regierung ist vorbei. Aber man kann sich trotzdem nicht einfach hinstellen und warten, weil sie ohnehin fallen wird. Es gibt historisch viele Beispiele für Regierungen, die alle Mittel eingesetzt haben, um sich an der Macht zu halten.

Wie sie wissen, hat der Justizminister mit dem Verweis auf die Berufung alle in Erwartung versetzt. Diejenigen, die ihre eigene Verfassung nicht anerkannt haben, haben auch die Urteile des EGMR nicht anerkannt. Es geht darum, Zeit zu gewinnen, um sich zu verschanzen. Deshalb wundert es mich auch, dass es keine Stimmen für vorgezogene Neuwahlen gibt. Mit kleingeistigem Machtkalkül kann man die entscheidenden Probleme dieser Gesellschaft nicht lösen. Das gilt auch für die CHP.

Worin liegt Ihrer Meinung nach das Hauptzögern der CHP, keine vorgezogenen Wahlen zu fordern? Ist die CHP bereit, eine Gründungspartei einer demokratischen Republik zu sein?

Nun gibt es Zeitfenster, die vergeudet werden, wenn sie nicht richtig zum Wohle der Gesellschaft genutzt werden. Das hinterlässt Verzweiflung und großes Leid und Hoffnungslosigkeit. Die Geschichte dieses Landes ist voll von solchen verpassten historischen Chancen. Wenn es viele davon gibt, dann wird das Leben zu einer Wüste.

Solche Zeitfenster kommen nur einmal in einem Jahrhundert. Wir durchlaufen gerade eine solche Zeit. Leider ist die demokratische und freiheitliche Dynamik in der Türkei nicht in der Lage gewesen, die Führungstärke zu zeigen, um auf einer solchen Welle zu reiten. Aus diesem Grund sind alle Augen auf die CHP gerichtet, die noch keine einzige Lösung für die Probleme der demokratischen Republik, der kurdischen Frage, der Freiheit der Frau und der Arbeit formuliert hat und kein Programm hat. Es ist, als ob die demokratische Führung in der Türkei den Wandel auf einen anderen Frühling verschoben hat. Alles steht nur auf dem Papier. Aus diesem Grund steht der kurdische demokratische Wille beim Aufbau eines gemeinsamen Lebens, einer demokratischen Republik und einer demokratischen Nation fast alleine da.

Wie ich schon sagte, war es ein Meer von verpassten Chancen für die Völker. Auch die politische und soziale Geschichte der Türkei ist so. Leider ist die staatlich gelenkte politische Geschichte in der Türkei außerordentlich geschickt darin, sehr wertvolle Menschen, Ideen und Strukturen zu zerstören und in die Wüste zu schicken. Schauen Sie sich die Geschichte des Nahen Ostens, einschließlich der Türkei, an, wo alle demokratischen Strömungen, die für die Gesellschaft von Vorteil gewesen wären, noch bevor sie keimten abgeschnitten, beschnitten oder mit einer schrecklichen physischen Zerstörung im Vorfeld eliminiert wurden. Die Gesellschaft ist zu endlosen Wintern verurteilt.

Wir sprechen hier über ein hundert Jahre altes Problem. Vor der Republik gab es einen Prozess, der mit der Tanzimat-Modernisierung begann. Liegt in diesem Prozess die Ursache der heutigen Probleme?

Ein buntes soziales Gefüge aus Kulturen und Identitäten wurde in eine Wüste verwandelt. Zurück blieb ein homogener, monistischer Nationalstaat. Eine dem sunnitisch-türkischen Rassismus geopferte Gesellschaft wurde geschaffen. Das Finanzkapital der kapitalistischen Moderne baute auf der Grundlage der vergötterten türkischen Staatstradition einen auf Homogenität und Monismus beruhenden Nationalstaat auf. Viele große und kleine Völkermorde wurden begangenen, insbesondere an der kurdischen Nation. Auch das nicht-sunnitische Türkentum wurde ins Visier genommen. Authentische Kulturen wurden mit dem Bulldozer überrollt. Religiöse Gruppen, Konfessionen, Ethnien und Lebensweisen, die nicht zum Türkentum gehörten, wurden entweder physisch eliminiert oder es wurde versucht, die Überlebenden in das sunnitische Türkentum zu assimilieren. Wäre der Tanzimat-Prozess jedoch richtig bewertet worden, hätte er die Grundlagen für eine demokratische Nation schaffen können. Die kurdische Frage tauchte im Anschluss an diese Probleme auf, als die Republik 1924 die Kurden ausschloss. Die kurdische Nation war die erste, die mit dem Tanzimat entsorgt wurde. Die Kurden waren die ersten, die in den Status einer politisch rechtlosen Nation gedrängt wurden, und ihre eigene Kultur, einschließlich ihrer Muttersprache, wurde zum Gegenstand der Verleugnung und Vernichtung. Der Tanzimat-Modernismus missachtete die Kurden, die seit Hunderten von Jahren mit besonderen Rechten und Status im [osmanischen] Reich lebten, als Nation und verübte die ersten großen Massaker am kurdischen Volk. Während des Zerfalls und der Besetzung des Reiches waren dieselben Kurden die ersten, die Widerstand gegen die Besatzung leisteten. Hat Mustafa Kemal, inspiriert durch diesen Widerstand, nicht die Rolle des Führers übernommen und sich dabei vor allem auf den Widerstand in der Region Kurdistan gestützt und verlassen? Hat er nicht hieraus seinen Mut geschöpft? Als sich der Staub gelegt hatte, wurde das Gerede von einer gemeinsamen Heimat ad acta gelegt, die Kurden wurden von der Gründung der Republik ausgeschlossen und mit der Verfassung von 1924 offiziell aus der Republik verstoßen.

Die demokratische Gesellschaft, die demokratische Republik, ist zu einem Traum geworden, und wir sind zu einem Regime verurteilt, das auf einer Geschichte von Putschen beruht und nicht einmal im Kern eine Republik genannt werden kann. Der Aufbau einer homogenen, uniformen Gesellschaft ist in vollem Gange. Den Kurde wurde alles genommen und die Gesellschaft in der Türkei ist ethnisch homogenisiert worden. Bis heute wurde jede Periode, in der die Forderungen nach Demokratie in der Türkei, kurdischen nationalen Rechten in Kurdistan, Freiheit, Gleichheit und Demokratie aufkamen, mit Putschen beantwortet. Die Geschichte der Putsche zeigt uns bereits, dass die Unabhängigkeit von Legislative, Exekutive und Judikative nie nach dem Prinzip der Gewaltenteilung im eigentlichen Sinne geregelt wurde.

Während die Kurden aus der Republik ausgeschlossen wurden (sie waren zuvor auch aus dem Tanzimat ausgeschlossen worden), wurde gleichzeitig die mickrige Opposition in der türkischen Gesellschaft liquidiert. Das Gleiche erleben wir heute, obwohl seitdem ein Jahrhundert vergangen ist. Die Kobanê- und Gezi-Verfahren sind Ausdruck dessen. Im gleichen Zeitraum werden auch alle Rechte, die Frauen durch den demokratischen Kampf errungen haben, zurückgenommen, und es wird ein multidimensionaler Angriff auf Frauen mit politischer Identität und ihre organisierten Strukturen entwickelt. Der Angriff auf das politische Modell der Frauen ebnet den Weg für Femizide und macht den Tätern Mut.

In der Türkei herrscht ein Krieg gegen die Existenz und das Leben der Frauen. Faschistische Führer pflegten zu sagen, dass Frauen zuerst erschossen werden sollten. Ob Hitler, Mussolini oder Franco, heute geschieht das Gleiche. Ist es ein Zufall, dass der Austritt aus der Istanbul-Konvention mit den Angriffen zusammenfällt? Diejenigen, die gestern Opferliteratur geschrieben haben, haben heute durch den Missbrauch der grundlegendsten sozialen Werte ihre Paläste gebaut, und als sie merkten, dass ein Zerfallsprozess eintrat, haben sie nun selbst zum Putschmechanismus gegriffen.

Sowohl das Gezi-Verfahren als auch das Kobanê-Verfahren sind das Ergebnis dieses Putsches. Der faschistisch, religiös-nationalistische Machtblock der AKP/MHP hat durch diese beiden Verfahren das Fundament seines Bündnisses gestärkt. Es soll den demokratischen Aufbau der Republik verhindern und den eigenen Weg durch religiösem Nationalismus ebnen. Ob die allgemeine Konjunktur das zulässt, ist eine andere Frage ...

Diese Entscheidungen wurden getroffen, während das Regime einen „Normalisierungsdiskurs“ in Bezug auf die CHP verbreitet. Viele verstehen dies als Normalisierung unter Ausschluss der Kurd:innen. Was ist Ihre Meinung dazu?

Zur „Normalisierung“ unter „Ausschluss der Kurden“ muss man noch weitere Ausschlüsse hinzufügen, nämlich den Ausschluss der Frauen, der Sozialisten, der Dynamik der demokratischen Gesellschaft, der Werktätigen. Die Verhaftungen und geforderten Strafen im Zusammenhang mit den 1. Mai-Feierlichkeiten zeigen dies.

Zunächst möchte ich zum Ausdruck bringen, dass für uns Frauen, für uns Kurden, für uns nicht-staatliche, nicht-palastorientierte und nicht-herrschende soziale Identitäten, weder in den letzten tausenden Jahren, ganz zu schweigen von den letzten zweihundert Jahren, von einer Normalisierung, einer normalen Situation und einem normalen Geschehen gesprochen werden kann! Selbst wenn Sie eine politische kurdische Mutter fragen, wird sie Ihnen sagen, von welcher Normalisierung man denn hier nach 5.000 Jahren Palast- und Staatsherrschaft sprechen möchte. Auch wenn man gerade in die jüngste Geschichte schaut, beginnend mit der Totalisolation von Herrn Öcalan, die das Ergebnis des Beharrens auf der Nichtlösung der kurdischen Frage ist, dem Verbot der Muttersprache, wie ungeborene kurdische Kinder in den Staatsarchiven registriert werden, wie Kurden ermordet werden, weil sie trillern oder kurdisch sprechen, dann wird das klar. Tagtäglich werden Frauen massakriert, von welcher Normalisierung will man da sprechen angesichts des Austritts aus der Istanbul-Konvention? Erst hieß es Milderung und dann Normalisierung. Angesichts dessen hat die Tatsache, dass das Treffen zwischen dem CHP-Vorsitzenden Özgür Özel und Präsident Erdoğan nicht öffentlich gemacht wurde, dass es geheim gehalten wurde, und dass das aufgezeichnete Protokoll des Treffens mit Özels Aussage „Ich werde es dem nächsten Vorsitzenden übergeben“ kombiniert wurde, natürlich die von Ihnen erwähnten Kommentare auf die Tagesordnung gebracht. Im Kobanê-Verfahren wurden Hunderte von Jahren Haft verhängt, und in der gleichen Nacht wurden die im Putschverfahren vom 28. Februar verhafteten Paschas mit Begnadigung durch den Präsidenten freigelassen. Ich kann das entweder als eine Geste der Regierung an die CHP-Mitglieder oder als ein Zuckerbrot betrachten. Dieses Bild hat sich nicht nur den Kurden, sondern allen offenbart. Ich sagte mir, dass Milderung und Normalisierung wahrscheinlich wieder unter Ausschluss der Kurdinnen und Kurden stattfinden würden.

Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass diejenigen, die ähnliche Probleme haben, sei es aufgrund ihres Alters oder ihrer Gesundheit, nicht im Gefängnis bleiben dürfen. Das Hauptproblem ist, dass der Präsident diese Möglichkeit bisher nicht für politische Gefangene genutzt hat. Die Särge von Dutzenden kurdischer politischer Gefangener kommen aus den Gefängnissen. Hunderte von politischen Gefangenen, die im Gefängnis nicht überleben können, Gefangene, die vielleicht draußen behandelt werden und wieder gesund werden könnten, werden ganz bewusst sterben gelassen.

Aysel Tuğluk, eine unserer ehemaligen Ko-Vorsitzenden, wurde im Kobanê-Verfahren freigesprochen. Sie hat eine schreckliche und unmenschliche Zeit durchgemacht, die in der Türkei aber zur Tagesordnung geworden ist. Wir wurden Zeugen eines grausamen Rassismus, als der Leichnam ihrer verstorbenen Mutter aus dem Grab gerissen und die Bestattung verweigert wurde. Ihr schönes Herz und ihr Geist konnten diese Grausamkeit nicht ertragen. Verurteilt wurde sie jedoch nur, weil sie eine kurdische Politikerin war. Hätte das 22. Hohe Strafgericht ihre schwere Krankheit berücksichtigt und rechtzeitig über ihren Antrag auf Freilassung entschieden, wäre ihre Krankheit vielleicht nicht so weit fortgeschritten und sie hätte eine Chance gehabt, wieder gesund zu werden. Auch der Freispruch für Aysel Tuğluk ist nicht gerecht. Selbst wenn die Richter, die Staatsanwälte, die politische Macht, diejenigen, die die Kobanê-Verfahren angelegt haben, alle einzeln freigesprochen hätten, wäre kein gerechtes Urteil zustande gekommen. Ich sage, dass man Aysel die größte Strafe auferlegt hat, indem man sie ihres gesunden Lebens und ihres Gedächtnisses beraubt hat. Ich kann es auch nicht als Strafe bezeichnen, denn es gibt keinen anderen Ausdruck für dieses Verfahren als Rache und Feindschaft, eine Feindschaft, die auf ethnischer Diskriminierung beruht, ist Rache.

Es gibt nichts Billigeres als ein Menschenleben in diesem Land. Aber wenn es um das kurdische Volk geht, dann sind Leben nicht einmal mehr billig, es gibt kein Recht auf Leben ... Aus diesem Grund sage ich, dass das Ignorieren und der Ausschluss des kurdischen Volkes die Normalität der hundertjährigen autokratischen Republik ist. Die wichtige Frage ist, werden die politischen Parteien und Institutionen, einschließlich der CHP, gemäß dieser Normalität der hundertjährigen Republik weitermachen, werden sie diese Politik machen, oder werden sie eine hundertjährige Abrechnung vornehmen, zum Guten oder zum Schlechten?

Oder wird es Treffen hinter geheimen Türen geben, bei denen darüber diskutiert wird, dass die inhaftierten Kurd:innen nicht einmal ihre Mütter sehen sollten?

Wir wissen nicht, was der CHP-Vorsitzende Özel und der Präsident im Geheimen abgesprochen haben. Auch wenn es nicht um die Frage der kurdischen Mütter ging, so ist diese Herangehensweise doch zutiefst antidemokratisch. Es widerspricht dem Grundsatz von offener Politik. Keine Partei, die von sich behauptet, aufgebrochen zu sein, um die politischen Probleme der Gesellschaft zu lösen, kann eine solche geheimniskrämerische Haltung gegenüber der Gesellschaft vertreten.

Dann wird die Gesellschaft feststellen: Da ihr euch vor uns versteckt, stellt ihr nicht das Wohl der Gesellschaft in den Mittelpunkt der Politik, sondern andere Interessen und Prioritäten. Der politische Stil derjenigen, deren Priorität die Gesellschaft ist, wäre offen, es ginge dabei um das Eintreten für das Wohl der Gesellschaft und nicht für Macht und Etatismus. Ansonsten sind Özgür Özels Kommunikationen mit der HDP während der Wahlen, seine offene und pro-demokratische Haltung im Kobanê- und Gezi-Verfahren in Hinblick auf die Urteile, eine Wiedergutmachung für seine vergangenen Fehler während der Einsetzung eines Zwangsverwalters über Wan gewesen, es waren Verhaltensweisen, die eine Normalisierung in der demokratischen Politik ausdrücken.

Nun sollte der grundlegende Maßstab, das Maß dafür, ob eine Haltung in der türkischen Politik normal ist oder nicht, an der Herangehensweise an die kurdische Frage und den demokratischen Willen der Kurdinnen und Kurden gesucht werden. Dies ist im Wesentlichen der Indikator und das Maß.

Wenn Sie mich nach der Norm einer Gesellschaft im Allgemeinen und der Norm für eine Politik für die ganze Welt fragen, würde ich sagen, dass mein klares Kriterium die Herangehensweise an die Frauenbefreiungsfrage ist. Wenn Sie mich auf der Grundlage des Nahen Ostens fragen, würde ich meine Herangehensweise an die kurdische und palästinensische Frage zugrunde legen.

Der herrschende AKP/MHP-Block, der die CHP zur Normalität von hundert Jahren Abnormität einlädt, will in Wirklichkeit die Zukunft der gesamten Gesellschaft in der Türkei durch die CHP in Ketten legen.

Ich kann nicht einmal sagen, dass der Demokratieanspruch der CHP, die über kein klares Lösungsprogramm für die kurdische Frage verfügt, wirklich nach vorne treibt. Die Gründerschaft einer demokratischen Republik zeigt sich im Programm, das zur kurdischen Frage auf der Grundlage von Freiheiten und Gleichheit vorgelegt wird. Dies ist im Wesentlichen das, was die ganze Öffentlichkeit in der Türkei erwartet. Nur dann werden die Haltungen der „Normalität“ und der „Normalität der Anormalitäten“ einen sinnvollen Platz haben.

Wenn die Normalisierung auf der Grundlage von „Kurden sollen ihre Mütter nicht mehr sehen“ aufrechterhalten werden soll, bedeutet dies die Fortsetzung der Normalität von hundert Jahren Abnormalität, es ist das Beharren auf Verleugnung und Vernichtung.

Einigen Einschätzungen zufolge will Erdoğan Sie und Ihre Genoss:innen bis zu den Wahlen 2028 im Gefängnis behalten. Würden Sie dieser Einschätzung zustimmen? Der Justizminister sagte, es gäbe noch den Obersten Gerichtshof und das Berufungsverfahren. Was steht hinter dieser Botschaft?

In der Tat haben sowohl die demokratische Öffentlichkeit in der Türkei als auch die Regierung selbst bei jeder Gelegenheit deutlich gemacht, dass es sich um eine politische Angelegenheit handelt. Denn die Regierung hat bei jeder Gelegenheit das Kobanê-Verfahren genutzt, um daraus politisches Kapital zu schlagen und so ihre Macht, ihr Bündnis mit der MHP und ihr eigenes Überleben, sicherzustellen.Natürlich handelt es sich meiner Meinung nach um einen Fall von politischer Vernichtung .

Es handelt sich um eine staatliche Operation zur Liquidierung und Zerstörung des Willens des kurdischen und des türkischen Volkes, frei und demokratisch zusammenzuleben. Das ist sehr gefährlich,

Die Akteure dieser gefährlichen Operation haben ihr Programm nicht aufgegeben. Diese Mentalität und die grundlegenden Strukturen innerhalb des Staates sind die aktuellen Versionen von M. Esat Bozkurt, der nicht einmal solche Visionen eines gemeinsamen Lebens und einer gemeinsamen Zukunft tolerieren konnte. Wir sind politische Geiseln. Genau wie der Justizminister hat auch die Delegation des 22. ordentlichen Gerichts dasselbe gesagt. Als wir die eklatante Rechtswidrigkeit und die Unregelmäßigkeiten im Gericht zum Ausdruck brachten, wiesen die Richter selbst den Weg zur Berufung, zum Obersten Berufungsgericht usw. Mit anderen Worten, sie sagten, dass wir diese Strafen haben, egal was wir tun ...

Jede Instanz der Justiz wird von uns feindlich gesinnten Strukturen gehalten. Es handelt sich um Kader der AKP, MHP, Mafia, Bürokraten und Sekten. Jeder von ihnen hat seinen Platz erhalten. Gestern wurde der leitende Staatsanwalt dieses Verfahrens Mitglied des Kassationsgerichts, wo unser Verfahren erneut verhandelt werden.

Wird er sich selbst bestätigen oder widersprechen? Als ob sie sich über den menschlichen Verstand lustig machen wollten, verweisen sie auf das Berufungsgericht.

Diejenigen, die diese Akte der Justiz vorgelegt haben, sind diejenigen, die die endgültigen Entscheidungen treffen und über das weitere Vorgehen entscheiden werden. Diejenigen, die das Verfassungsgericht ignorieren, diejenigen, die die verbindlichen Urteile des EGMR nicht umsetzen, diejenigen, die den gesamten Strafvollzug mit einer Paralleljustiz von Vollzugsausschüssen überziehen, verweisen uns auf die nächste Instanz.

So werden beispielsweise in fast allen Gefängnissen, auch im des Frauengefängnis Sincan, politische Gefangene, die für eine Bewährung in Frage kommen, weiterhin inhaftiert. Sie werden aufgrund willkürlicher Urteile der Vollzugsausschüsse in Haft gehalten. Sie wenden sich an die Vollstreckungsrichter in Ankara, um ihre Rechte einzufordern, und es wird ihnen gesagt, dass die Entscheidung des Vollzugsausschusses ausschlaggebend ist. Dann wenden sie sich an die Gerichte, auch dort sind die Türen verschlossen, und man sagt ihnen, dass die Entscheidung des Vollzugssausschusses entscheidend ist.

Können wir von Gefängnisleitungen, die mit MHP-Kadern besetzt sind, ein Gesetz im Sinne der kurdischen politischen Gefangenen erwarten? Keiner unserer Freundinnen hat Bewährung erhalten, ihnen wurden die Rechte genommen. Niemand sollte sich über unseren Verstand lustig machen und so tun, als gäbe es ein Gesetz, als gäbe es eine unabhängige Justiz.

Solange sich keine starke demokratische Volksopposition entwickelt, werden wir weder den Freispruch erhalten, den wir verdienen, noch wird dieses Land eine gute Zukunft aufbauen können.

Wie haben Sie reagiert, als Sie die Urteile gegen Sie im Kobanê-Verfahren Prozess hörten?

Wie haben wir das Urteil aufgenommen? Natürlich mit unserem Trillern. Wir winkten denen zu, die gehen konnten, und wir winkten denen zu, die geblieben waren. Während wir den Kobanê-Widerstand erneut mit Jin, Jiyan, Azadî feierten und mit unserem Trillern unsere Haltung zum Ausdruck brachten, waren diese Rufe auch ein Ausdruck unseres Fluchs auf den Völkermord. Unsere Stimmen, die aus jedem Raum, aus jedem Herzen, aufstiegen, bekamen Flügel und flogen in den Himmel. Unsere Schreie wurden zu unseren Flügeln der Freiheit. Weder Mauern, Eisentore noch scharfe Drähte konnten ein Hindernis sein. Wie Forough sagte: „Lasst uns immer an den Flug denken“, lasst uns einander Flügel verleihen. Jin, Jiyan, Azadi ...