Kobanê-Verfahren: DEM kündigt Gerechtigkeitswachen an

Die DEM will mit „Gerechtigkeitswachen“ in drei Städten gegen den Ausgang des Kobanê-Verfahrens protestieren. Das Urteil sei Indikator für Stürme der Repression, die ins Haus stehen könnten, sagt Parteisprecherin Ayşegül Doğan.

Stürme der Repression befürchtet

Die Partei der Völker für Gleichberechtigung und Demokratie (DEM) will am Samstag mit „Gerechtigkeitswachen“ in drei Städten gegen den Ausgang des Kobanê-Verfahrens protestieren. Der Schritt ziele darauf ab, eine gemeinsame Stimme gegen Unrecht und Unterdrückung aufzubauen, erklärte die DEM-Sprecherin Ayşegül Doğan am Freitag in Ankara. „Was die Türkei braucht, ist Freiheit, Gleichberechtigung, Demokratie und Gerechtigkeit. Um dies zu erreichen, müssen alle, die seit Jahren zu Unrecht im Gefängnis sind und trotz verbüßter Haft nicht entlassen werden, freikommen. Andernfalls kann von einer Normalisierung im politischen und rechtsstaatlichen Bereich nicht die Rede sein“, sagte Doğan.

Über drei Jahre nach dem Prozessauftakt ist am Donnerstag in Ankara der als „Kobanê-Verfahren“ bekannte Schauprozess gegen den ehemaligen HDP-Vorstand und weitere Oppositionelle vorerst beendet worden. Zwei Dutzend der insgesamt 108 Angeklagten, darunter die früheren HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, die jeweils 42 bzw. 30 Jahre Haft erhielten, wurden im Zusammenhang mit den Protesten während des IS-Angriffs auf die kurdische Stadt Kobanê im Oktober 2014 wegen Separatismusverdachts und Terrorismusvorwürfen zu drakonischen Freiheitsstrafen verurteilt. Zwölf Personen wurden freigesprochen, im Fall aller übrigen Angeklagten wurde das Verfahren abgetrennt.

Auslöser des Verfahrens war ein Beitrag des HDP-Exekutivrats im Kurznachrichtendienst Twitter, der während einer Dringlichkeitssitzung verfasst wurde und neben Solidarität mit der von der Terrormiliz „Islamischer Staat” (IS) eingekesselten Stadt in Rojava auch zu einem unbefristeten Protest gegen die türkische Regierung aufrief, da diese ihre Unterstützung für den IS nicht beendete: „Dringender Aufruf an unsere Völker […]! In Kobanê ist die Lage äußerst kritisch. Wir rufen unsere Völker dazu auf, auf die Straße zu gehen und diejenigen zu unterstützen, die bereits auf der Straße sind, um gegen die Angriffe des IS und gegen das Embargo der AKP-Regierung zu protestieren.” | Foto: Ayşegül Doğan bei der heutigen Pressekonferenz in der DEM-Zentrale


Judikative in der Türkei hat ihre Funktion verloren

DEM-Sprecherin Ayşegül Doğan bezeichnete das Verfahren als „politischen Coup“ und Paradebeispiel dafür, dass die Judikative in der Türkei ihre Funktion verloren hat. „Die HDP, deren Nachfolge unsere Partei angetreten ist, hat in der Nationalversammlung zahlreiche Anträge für die Einsetzung einer parlamentarischen Kommission zur Untersuchung und Aufklärung der sogenannten Kobanê-Vorfälle gestellt. Ausnahmslos alle dieser Initiativen wurden mit den Stimmen der AKP und MHP abgelehnt. Gleichzeitig wurden nicht nur die angeklagten HDP-Mitglieder, sondern die Partei als ganzes vom herrschenden Block und seinen Verbündeten als Mörder jener Menschen inkriminiert, die bei den Kobanê-Protesten getötet wurden. Deshalb lautete einer der Anklagepunkte auch auf Mord, den Erdoğan auf seinen Wahlkampfveranstaltungen immer wieder aufgriff. Doch selbst ein beauftragtes und mit besonderen Befugnissen ausgestattetes Gericht, das sich das gesamte Verfahren über jenseits von Recht und Ordnung bewegte, konnte diesen Zusammenhang nicht herstellen und sprach die Angeklagten vom Mordvorwurf frei.“

Protest in Amed, Istanbul und Adana angekündigt

Das Kobanê-Verfahren sei auf Anweisung der Regierung eingeleitet worden, führte Doğan weiter aus. Sie wies auf einen Beitrag des stellvertretenden Innenministers Bülent Turan im Onlinedienst X hin, der abgesetzt worden sei, als die Urteilsverkündung noch nicht beendet war. „Der Vizeminister schrieb: ‚Wir hatten gesagt, dass wir Rechenschaft einfordern werden, und das haben wir getan‘. Dabei waren wir bei der alphabetischen Reihenfolge der Urteilsverkündung gerade erst beim Buchstaben A. Wir werden nicht müde, es zu wiederholen: Der Kobanê-Prozess ist ein Komplott des Machtapparats, das sich nicht lediglich gegen die kurdische Politik und die Demokratie-Kräfte der Türkei, gegen den Willen von Millionen Wählerstimmen richtete, sondern gegen das gesamte Land. Das Urteil ist ein Indikator für schwere Stürme der Repression, die ins Haus stehen könnten, wenn wir uns nicht vereinen und unsere Stimme erheben gegen das Unrecht – von Gezi bis Kobanê, von Can Atalay und Osman Kavala bis zur HDP“, warnte Doğan. Stattfinden sollen die Gerechtigkeitswachen in Amed (tr. Diyarbakır), Istanbul und Adana.