Nach Hanau: „Kein Fußbreit dem Faschismus”

Bundesweit sind am Donnerstagabend viele Menschen auf die Straße gegangen, um ein Zeichen gegen den faschistischen Anschlag in Hanau zu setzen und ihrer Trauer und Wut Ausdruck zu verleihen.

In Hanau hat ein Rechtsextremist am Mittwoch neun Menschen bei einem rechtsterroristischen Anschlag getötet, bevor er anschließend seine eigene Mutter und sich selbst erschoss. Unter den Toten und Verletzten befinden sich auch mehrere Opfer kurdischer Herkunft. 

Bundesweit haben am Donnerstagabend in mehr als 70 Städten Demonstrationen, Kundgebungen und Mahnwachen stattgefunden, um den Toten zu gedenken und ein Zeichen gegen Faschismus zu setzen. In Hanau selbst fand ab 18 Uhr eine öffentliche Gedenkfeier für die Opfer des rassistischen Anschlags statt. Die Menschen waren zu Tausenden gekommen, schwankten zwischen Tränen, Wut und Trauer. Unter den Rednern waren Bundespräsident Steinmeier und Ministerpräsident Bouffier. Dessen Rede wurde von wütenden und lauten Zwischenrufen „NSU“ und „Gebt die NSU-Akten frei!“ gestört. Die interventionistische Linke (iL) kommentierte bei Twitter: „Die politischen Repräsentanten lassen weder die Opfer zu Wort kommen, noch nennen sie die Tat beim Namen: Rassismus. Aber es redet Bouffier, der seine schützende Hand über den NSU legte. Die Staatsmänner treten von der Bühne ab. Es folgen wütende Rufe. Für die Würde der Angehörigen gibt es nur Respektlosigkeit. Unglaubliches was hier wieder passiert.“

Celle

In Celle versammelten sich nach einem Aufruf der örtlichen Kampagne #Riseup4Rojava unter dem Motto „Solidarität und Protest - Gemeinsam gegen Faschismus“ um 18 Uhr spontan um die 90 Menschen auf der Stechbahn. Die Teilnehmer*innen betonten, dass dieser Anschlag kein Einzelfall ist, sondern mit anderen Anschlägen, unzähligen Angriffen und der immer stärker werdenden Präsenz von Rassismus und rechtem Gedankengut in Verbindung steht.

Die Solidarität mit den Betroffenen und die Trauer wurde durch eine Schweigeminute ausgedrückt.

In Redebeiträgen wurde darauf hingewiesen, dass Faschismus überall ein großes Problem darstelle. Ein Redner äußerte trocken „Und wieder ist es passiert und wieder nur Betroffenheit...“ und nahm damit Bezug auf die traurige Tradition, die Rassismus und Faschismus auch in der Region Celle haben. So existiert seit vielen Jahren der Nazihof in Eschede, der im vergangenen Jahr von der NPD gekauft wurde. Auch sind Migrant*innen in Celle aber auch anderswo immer wieder rassistischen Anfeindungen ausgeliefert und es kommt immer häufiger zu Brandanschlägen und Morden.

„Traurigerweise gibt es hier in Celle auch immer wieder offenen Bezug zu faschistischer Ideologie. Vor zweieinhalb Wochen hing am Thaersplatz ein Banner von Gerüstbau Niewerth, worauf unverhohlen der Schriftzug „Blood & Honor“ zu lesen war. Dieser bezieht sich klar auf die verbotene und faschistische Gruppierung „Blood & Honour“, in deren Idee und Methoden Anschläge wie der in Hanau passen“, äußerte eine Teilnehmerin wütend.

„Es muss klar sein, dass rassistisches und menschenverachtendes Gedankengut immer mehr zum Erklärungsmuster für Armut, Zerstörung und Probleme jeglicher Art werden. Deshalb kann sich eine Partei wie die AFD etablieren, aber auch Mehrheitsparteien machen Rassismus und Ausgrenzung salonfähig. Das sehen wir an der Außenpolitik und rassistischer Medien-Mache, die gesellschaftliche Zustände verzerrt und oftmals die wahren Hintergründe verschleiert. Es wird zu wenig darüber geredet, was die wirklichen Probleme sind. So sind zum Beispiel Profitgier und Egoismus Ursachen, die zu Armut oder Flucht führen. Daran muss sich etwas ändern“, äußerte eine Aktivistin.

Unter den Teilnehmenden waren auch einige Kurd*innen, denn unter den Opfern des Anschlags sind auch einige Mitglieder aus dem kurdischen Verein in Hanau. „Wir als Kurd*innen sind überall mit Faschismus und Tod konfrontiert. In unserer Heimat wird ein Krieg gegen uns geführt und hier in Europa müssen wir mit Behörden um unsere Rechte kämpfen, werden kriminalisiert und sind gleichzeitig Opfer von rassistischen Übergriffen und Morden, wie gestern in Hanau.“

Für die Kundgebungsteilnehmer*innen war klar: Hanau ist kein Einzelfall. #Riseup4Rojava Celle forderte: „Es ist notwendig, dass sich die Menschen dieser Realität bewusst werden, sich Hetze entgegenstellen und Rassismus und Faschismus keinen Raum bieten.”

Hamburg

In Hamburg gedachten 4.000 Menschen der Opfer von Hanau. Die Demonstration startete mit einer Kundgebung auf dem Platz vor dem #noAfD-Büro. Die Parole des Protests lautet: „Alle zusammen gegen den Faschismus!“

Nürnberg

Mehr als 800 Menschen aus zahlreichen Organisationen, Parteien, aber auch Einzelpersonen versammelten sich heute in Nürnberg zu einer spontan einberufenen antifaschistischen Kundgebung gegen den rechten Terror. Nach einer Schweigeminute für die Opfer des Anschlags in Hanau wurden etliche Reden gehalten. Neben der Anteilnahme und dem Mitgefühl für die Hinterbliebenen war die politische Botschaft eindeutig: Der zweitgrößte rechte Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik komme nicht aus dem Nichts. Das faschistische Gedankengut dringt immer mehr in die Gesellschaft ein, Rechtsradikale verstehen sich als militärischer Arm einer völkischen Bewegung, rufen zur Gewalt auf, sie bewaffnen sich und sie schlagen zu. Sie fühlen sich ermuntert durch die AfD und die rechtspopulistische und rassistische Rhetorik aus der „bürgerlichen Mitte“, die durch Leute wie Innenminister Seehofer oder FDP-Chef Christian Lindner den Rechtsruck mitbefördert wird.

In Richtung des türkischen Außenministers Mevlüt Çavuşoğlu, der heute die Ermordeten von Hanau als „seine Bürger“ bezeichnete, entgegnete ein Vertreter des Medya Volkshaus e.V.: „Die Opfer sind die Kinder derer, die aus der Türkei fliehen mussten, weil sie Kurden, Demokraten und Linke sind. Die Instrumentalisierung der Toten von Hanau durch einen Staat, der selbst ein Terror-Regime ausübt, ist empörend.“

Nach der Kundgebung folgte ein spontaner Demonstrationszug durch die Nürnberger Innenstadt. Immer wieder erschallte die lautstarke Parole: „Alle gegen den Faschismus“.

Auch in der Nachbarstadt Fürth haben ca. 300 Menschen ein überwältigendes Zeichen der Solidarität gesetzt. Ein Redner von der Linken: „Wir müssen dafür sorgen, dass die verletzbaren Gruppen unserer Gesellschaft, die im tödlichen Fokus der Nazis stehen, Schutz bekommen, um sicher und angstfrei in diesem Land leben zu können.”

Gießen

In Gießen kamen fast 500 Menschen zu einer Mahnwache an den Kirchenplatz. Unter den Teilnehmenden waren unter anderem die kurdische Community, Omas gegen rechts, Vertreter*innen von Kirche und dem DGB. Nach einer Schweigeminute spielten die Blechbläser vom Stadttheater. Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz sagte: „Hanau ist überall. Und es kann überall passieren.“

Bielefeld

In Bielefeld versammelten sich am frühen Abend hunderte Menschen vor dem Rathaus und zogen mit einer rund anderthalb stündigen Demonstration durch die Innenstadt. Am Kesselbrink endete der Protestmarsch mit einer Abschlusskundgebung.

Zahlreiche Organisationen, Verbände und Parteien sprachen den Angehörigen der Todesopfer des Anschlags von Hanau ihr Beileid aus. Eine kurdische Aktivistin verlas im Namen der kurdischen Studierendenverbände YXK und JXK eine Rede: „Voller Trauer und Wut stehen wir hier heute gemeinsam und gedenken den Menschen, die Opfer eines widerlichen und faschistisch motivierten Verbrechens wurden. Wir denken derer, die gestern Nacht aus dem Leben gerissen wurden und fragen uns: Wie kann es sein, dass Nazis zu Waffen greifen und gezielt auf Menschen schießen? Wie kann es sein, dass sich Nazis nach all den Jahrzehnten problemlos organisieren, Hass schüren und Leben auslöschen? Wie kann es sein, dass wir rechten Terror nicht mal aus dem Augenwinkel betrachten, ihn gewähren lassen und dabei zuschauen, wie Parteien, Organisationen und Menschen der Öffentlichkeit gnadenlos Menschenhass fördern?

Die Antwort kennen wir alle und auch stehen wir alle in der Verantwortung für dieses Verbrechen!

Dass gezielt auf junge Menschen mit Migrationshintergrund geschossen wurde, ist kein Zufall. Und ein unbeschreibliches Gefühl von Unwohlsein macht sich breit, wenn wir sehen, wie die Öffentlichkeit auf diesen rechten Terroranschlag reagiert.

Lasst uns nach Halle sehen, wo noch vor wenigen Monaten aus rechter Motivation heraus Menschenleben ausgelöscht wurden. Lasst uns nach Thüringen sehen, wo sich Liberale von Rechten an die Spitze haben wählen lassen. Lasst uns Statistiken ansehen und einen Blick in unseren Alltag werfen, der uns beweist: Deutschland hat ein massives Problem mit rechtem Terror!

Unseren gemeinsamen Verlust rückgängig zu machen, ist nicht möglich. Aber alle Täter und Mittäter ins Scheinwerferlicht zu stellen und solche Taten in der Zukunft unmöglich zu machen - das liegt in unserer Hand!

Zur Verantwortung gezogen gehört unsere Gesellschaft, die durch ihre laue Politik erst ermöglicht, dass diese Art von Terroranschlägen überhaupt geplant und ausgeführt werden können.

Wundern wir uns über rechten Zuwachs, wenn Rechtsradikale im Bundestag sitzen? Nein! Wundern wir uns über rechte Gewalt, wenn uns rechte LehrerInnen bilden, wenn die Politik erlaubt, dass sich Nazis organisieren, Faschismus und Rassismus reproduziert wird und linke Strukturen oder wir kurdischen Jugendlichen ins staatliche Visier rücken, während die tatsächliche Gewalt doch für alle deutlich erkennbar von Rechten ausgeht?

Woher kommt diese Gemütlichkeit? Diese Gleichgültigkeit und dieses tödliche Schweigen über diese organisierte Verbrechen? Woher kommt diese eiskalte Mentalität von Töten, Hassen und Verurteilen?

Wir verurteilen diese legitimierende gegenwärtige Kriegspolitik, dieses Schweigen und dieses abscheuliche Verbrechen aufs Schärfste! Die Opfer sind unsere Freunde und die Täter unsere Gesellschaft! Geschossen haben sie auf wenige von uns - gemeint sind wir aber alle!

Und deshalb ist unsere Forderung: Lasst keinen Faschismus zu!”

München

In München nahmen 2.000 Menschen an einer Mahnwache auf dem Odeonsplatz teil.

Stuttgart

In Stuttgart versammelten sich am Abend ebenfalls zahlreiche Menschen, um bei einer Kundgebung auf dem Schlossplatz in der Innenstadt ein Zeichen gegen den Terror von rechts zu setzen. Viele Teilnehmende hielten Plakate mit Aufschriften wie „#Hanau. Schulter an Schulter gegen Faschismus” in der Hand. Zu der Kundgebung hatte das Bündnis „Stuttgart gegen Rechts” aufgerufen.

Dresden

In Dresden kamen mehr als 400 Menschen zu einer Kundgebung auf dem Neumarkt zusammen.

Berlin

In Berlin zeigten mehr als 5.000 Menschen Flagge bei einer Demonstration zum Hermannplatz. Immer wieder fiel die Parole „Yallah Yallah Antifascisti!” Auf einer Abschlusskundgebung sagte unteilbar-Sprecher Ario Mirzaie: „Nicht nur Dammbrüche beklagen, sondern neue Dämme gegen Rassismus und Nazis bauen!”

Mannheim

In Mannheim fand eine Kundgebung auf dem Marktplatz statt, an der sich mehrere hundert Menschen beteiligten.

Titelfoto: Bündnis unteilbar