Massenschlägerei in Amsterdamer Wahllokal

Am letzten Tag der Stimmabgabe in den Niederlanden für die Türkei-Wahl ist es in einem Amsterdamer Wahllokal zu einer Massenschlägerei gekommen, zwei Menschen wurden verletzt. Die Polizei rückte mit Hunden an, um das Gebäude zu räumen.

Am letzten Tag der Stimmabgabe in den Niederlanden für die türkischen Parlaments- und Präsidentenwahlen ist es am Sonntagabend in Amsterdam zu einer Massenschlägerei in einem Wahllokal gekommen. Offenbar gerieten gegen 21 Uhr zunächst zwei Wahlbeobachter der Grünen Linkspartei (Yeşil Sol Parti, YSP) und der Erdoğan-Partei AKP in einen Streit, nachdem ein nicht-registrierter Wähler zur Wahl zugelassen werden wollte. Das berichtet die Target-Plattform. Auslöser der Diskussion sei demnach gewesen, dass sich eine Helferin der türkischen Arbeiterpartei TIP weigerte, dem Mann einen Stimmzettel auszuhändigen. Der AKP-Helfer habe dazu gedrängt, ihm trotz fehlender Registrierung die Stimmabgabe zu ermöglichen. Daraufhin gerieten zunächst zwei Wahlhelfer aneinander, dann eskalierte die Situation zu einer Massenschlägerei mit etwa 300 Beteiligten.

„Chaotische Lage“ vorgefunden

Die Amsterdamer Bereitschaftspolizei rückte mit Hunden in dem Wahllokal im Messe- und Kongresszentrum RAI an und setzte Schlagstöcke ein, um die Lager zu trennen. Sie sei vom Organisator der Stimmabgabe alarmiert worden, „dass die Situation außer Kontrolle gerät“.  Vor Ort hätten die Einsatzkräfte eine „chaotische Lage“ vorgefunden, mindestens zwei Menschen wurden verletzt. Es werde wegen möglicher Straftaten ermittelt, erklärte die Polizei. Auch mehrere Krankenwagen fuhren vor und ein Polizeihubschrauber kreiste stundenlang über dem Messekomplex in Amsterdam-Zuid. Zu Festnahmen im Wahllokal kam es wohl nicht, allerdings wurden auf der nahegelegenen Rooseveltlaan Platzverweise gegen mehrere türkeistämmige Niederländer ausgesprochen. Die Gruppe wollte wohl bei der Schlägerei mitmischen. Erst gegen Mitternacht konnte das Gebäude vollständig geräumt werden.

AKP/MHP-Helfer mit Osmanen-T-Shirts

„Die ganze Woche über herrschte in dem Wahllokal im RAI eine angespannte Atmosphäre. Uns ist es gelungen, teils äußerst hässliche Provokationen immer wieder abzuwenden. Doch am letzten Wahltag eskalierte es“, äußerte ein YSP-Helfer gegenüber Target. Freiwillige der in der Türkei regierenden Koalition aus der AKP und ihrem ultranationalistischen Bündnispartner MHP hätten immer wieder provoziert und versucht, Auseinandersetzung mit den Helferinnen und Helfern aus dem gegnerischen Lager herbeizuführen. Einige der AKP/MHP-Freiwilligen hätten T-Shirts getragen, auf denen die Logos des Dezernats für Sondereinsätze der türkischen Polizei (PÖH) – die für „Terrorismusbekämpfung“ in den kurdischen Gebieten zuständig ist – und der „Osmanlı Ocakları“ (dt. Osmanen-Herde) abgebildet gewesen seien. Diese Anfang der 2000er Jahre entstandene Gruppe ähnelt in Organisationsform und Anhängerschaft der rechtsextremen Bewegung „Graue Wölfe“, führt aber den politischen Diskurs deutlich islamistischer und sieht sich vor allem Erdoğan gegenüber verpflichtet.

Übergriffe auch in anderen Ländern

Auch in anderen Ländern kam es in den vergangenen Tagen zu Auseinandersetzungen in Wahllokalen. In Bremen wurde ein 21 Jahre alter Kurde am 1. Mai am Kopf verletzt, als er ein Handgemenge zwischen einem AKP-Anhänger und einem Wachmann schlichten wollte. Am Wochenende zuvor (29./30. April) wurden in Belgien Wahlbeobachter der Opposition von Leibwächtern eines AKP-Politikers zusammengeschlagen. Der Bürgermeister von Emirdağ in der türkischen Provinz Afyonkarahisar, Serkan Koyuncu, hatte ein Wahllokal in Antwerpen besucht und versucht, Stimmberechtigte zu beeinflussen. Weil sich Protest dagegen entzündete, ließ Koyuncu seine Security-Leute auf die Helfer:innen los. Ein Wahlbeobachter der YSP wurde dabei ernsthaft verletzt.

Auch in Frankreich kam es am letzten April-Wochenende zu Schlägereien. „Eine Gruppe von AKP- und MHP-Anhängern hat die vor dem türkischen Konsulat in Marseille wartenden Wähler der Grünen Linkspartei als Terroristen beschimpft und anschließend verbal und physisch angegriffen“, berichtete der türkischsprachige TV-Sender Yol TV und postete ein Video dazu. „Diese Leute sind aus Deutschland gekommen und sie hatten laut der Polizei von Marseille in ihren Autos Schlagstöcke und Messer. Die Gegend ist zu einem Schlachtfeld geworden. Offenbar wurden einige von ihnen festgenommen“, schrieb der kurdische Journalist Deniz Babir auf Twitter. Auch er ging davon aus, dass es sich bei den Angreifern um Anhänger der AKP und der rechtsradikalen MHP handelte. Regierungsnahe türkische Medien hingegen behaupteten, die Gewalt sei von „PKK-Anhängern“ ausgegangen.

Zuletzt kam es auch in der Türkei im Wahlkampf zu Gewalt. Der Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu (CHP), der im Fall eines Wahlsiegs der Opposition türkischer Vizepräsident werden soll, wurde am Sonntag in Erzurum von einem Mob attackiert, sein Bus mit Steinen beworfen. Ebenfalls am Vortag, allerdings in Mersin, wurde ein Lautsprecherwagen der YSP von einem MHP-Mob attackiert. Dabei wurden fünf Menschen leicht verletzt. In Edirne erlitt eine 60-Jährige vor knapp einer Woche nach einem rassistisch motivierten Angriff auf einen Wahlstand der YSP einen dreifachen Armbruch und musste operiert werden.

Deutsche Wahllokale bis Dienstag geöffnet

In der Türkei wird am 14. Mai ein neues Parlament und ein neuer Präsident gewählt, im Ausland können türkische Staatsangehörige schon seit Ende April abstimmen. In den Niederlanden schlossen die Wahllokale am Sonntag, in Deutschland sind sie noch bis zum morgigen Dienstag (9. Mai) geöffnet.

Foto: BEELD ANP / HOLLANDSE HOOGTE / INTER VISUAL STUDIO