Der Wahlkampf zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei wird von Gewalt und Provokationen überschattet. Im Fokus der Übergriffe stehen Oppositionsparteien, allen voran die Grüne Linkspartei (Yeşil Sol Parti, YSP). Der letzte bekannte Angriff gegen die YSP, unter deren Banner die von einem Verbot bedrohte Demokratische Partei der Völker (HDP) zur Wahl antritt, ereignete sich am Dienstag in der Großstadt Edirne nordwestlich von Istanbul.
Mehrere Unbekannte griffen einen auf der zentralen Einkaufsmeile Saraçlar aufgestellten Wahlstand der YSP an. Nach den Schilderungen der Betroffenen und ansässigen Geschäftsinhaber setzten die Angreifer zunächst zu Hasstiraden von rassistischen und sexistischen Beleidigungen an und forderten die Schließung des Stands. Weil sich die YSP-Mitglieder weigerten, wurde es schnell handgreiflich. Ein Aktivist wurde mit einer Stichwaffe leicht verletzt und kam zur Behandlung in ein Krankenhaus.
Der Politiker Serdal Zımba, Kandidat der YSP im Wahlkreis Edirne, und die 60 Jahre alte Parteihelferin Sare Ay wurden beim Versuch, die angespannte Lage zu deeskalieren, zu Boden gestoßen. Aus der Gruppe heraus sei auf die beiden am Boden liegenden YSP-Mitglieder eingetreten und eingeschlagen worden, hieß es. Im Krankenhaus wurden sowohl bei Ay als auch Zımba Armbrüche sowie Schwellungen, Hautabschürfungen und diverse Hämatome diagnostiziert. Im Fall von Ay war sogar eine Operation notwendig, da der Arm an drei Stellen gebrochen war. Ohne den Eingriff könnten die Trümmer- und Splitterbrüche nicht komplikationslos ausheilen, so die Ärzte.
Die nach dem Angriff auf den Wahlstand verständigte Polizei nahm noch am Ort des Geschehens fünf Personen fest. Noch im Laufe des Abends stieg die Zahl der Festnahmen auf sieben an. Nach Angaben des Provinzverbands der YSP in Edirne handelte es sich dabei jedoch ausschließlich um Mitglieder der Partei, die den attackierten Wahlstand betreuten. Sechs von ihnen seien nach einer polizeilichen Befragung wieder auf freien Fuß gesetzt worden, gegen einen siebten namens Süleyman H. verhängte ein Gericht Untersuchungshaft. Der Grund: Körperverletzung. Er soll zurückgeschlagen haben, als sich der Übergriff auf den Stand ereignete. Ermittlungen gegen die Angreifer soll es laut der YSP nicht geben.
„Sie waren kaltblütig“, sagt Sare Ay rückblickend. Mehrere Minuten habe die Tortur gedauert, sogar gegen ihren Kopf sei getreten worden, so die siebenfache Mutter. „Obwohl wir die Opfer des unprovozierten Angriffs sind, gehen die Behörden mit uns um, als seien wir die Täter. Ich rufe die Öffentlichkeit auf, sich für unser Recht einzusetzen.“ Ays Rechtsanwältin Eren Keskin, die Ko-Vorsitzende des Menschenrechtsvereins IHD ist, will am Montag Strafanzeige gegen Unbekannt und die Polizei stellen.