Lüneburg: „Herzensangelegenheit“ unter Strafe gestellt

Vor dem Landgericht Lüneburg hat ein weiterer Prozess gegen einen kurdischen Aktivisten stattgefunden. In der Urteilsbegründung würdigte der Richter, dass das Eintreten für die kurdische Sache für den Angeklagten eine Herzensangelegenheit sei.

Wieder einmal stand ein kurdischer Aktivist in Lüneburg vor Gericht. In einer scheinbar unendlichen Geschichte war diesmal ein 68-Jähriger aus der Region Hannover angeklagt. Wie in vielen anderen Verfahren wurde ihm von der Staatsanwaltschaft Lüneburg vorgeworfen, als „Unterstützer für die PKK“ tätig geworden zu sein und so gegen das Betätigungsverbot der PKK in der BRD verstoßen zu haben. Laut der Staatsanwaltschaft Lüneburg habe der Mann „durch Aufbewahrung, Verteilung und Verkauf der PKK-Zeitung, durch Sammlung und Weiterleitung von Spenden sowie durch Teilnahme an PKK-Veranstaltungen dazu beigetragen, die illegalen Strukturen der PKK zu stärken beziehungsweise zu festigen“. Diese Vorwürfe finden sich immer wieder wiederholend in den Anklageschriften gegen Kurdinnen und Kurden.

Legaler Verein der PKK zugeordnet

Auch diese Anklage ging zurück auf die martialische Razzia im Demokratischen Gesellschaftszentrum der Kurdinnen und Kurden in Hannover (NAV-DEM e.V.) im April 2018, in deren Rahmen Fahnen, Flyer, Plakate sowie Infomaterialien und Computer beschlagnahmt wurden. In der Folge wurden diverse Ermittlungsverfahren eingeleitet. So auch gegen den am 25. Januar 2022 in Lüneburg vor dem Landgericht stehenden Kurden.

Bei der Durchsuchung im kurdischen Verein fanden die Polizeibeamten damals eine Liste mit Aufgabenbereichen und über 60 zugeordneten Namen. Aus dieser Liste machte die Polizei dann einfach die organisatorische Struktur der PKK und ordnete die Decknamen einigen Personen zu, die sie als PKK-Aktivist:innen in Hannover ansahen. Ein andere Wertung dieser Liste kam ihnen nicht in den Sinn. Doch schon die Überschrift auf dem Blatt oder ein Blick in das Vereinsregister hätte schnell aufgezeigt, des es sich vielmehr um einen Zuständigkeitsplan des Hannoveraner Volksrats, einem Zusammenschluss der kurdischen Gesellschaft und kurdischer Vereinigungen in Hannover handelte. Der Volksrat arbeitet in verschiedenen thematischen und lokalen Kommissionen und versucht die kurdische Gesellschaft zu organisieren und ihr eine Stimme in der Stadt und Region Hannover zu geben. NAV-DEM Hannover ist dabei die Dachorganisation und arbeitet völlig legal und ist im Vereinsregister eingetragen.

Polizei verharrt in geistigem Stillstand

Der Prozess in Lüneburg machte erneut deutlich, dass die Polizei grundsätzlich davon ausgeht, dass jegliche Aktivität für die kurdische Sache eine PKK-Aktivität ist und somit verfolgt werden muss. Die Aussagen der Zeugen der Polizei aus Hannover waren dann geprägt von Formulierungen wie „das ist so“, „das war schon immer so“, „das sehen wir so“ oder „das ist PKK“. Über Jahre wurde hier ein Bild von der kurdischen Freiheitsbewegung und ihrer Strukturen und Arbeitsweisen konstruiert, was weder Veränderungen in der Geschichte der PKK berücksichtigt noch mit der Realität in Übereinstimmung ist. Die Polizei verharrt hier seit Jahren in einem geistigen und zeitlichen Stillstand.

Doch sobald die Darstellungen der Polizei auch nur leicht hinterfragt werden, zeigt sich schnell ein ganz anderes Bild. So wurden zum Beispiel beim Angeklagten „Spendenquittungen“ gefunden. Für die Polizei war sofort klar, dass es sich hier um Quittungen über Spenden an die PKK handelte. Bei genauerer Betrachtung wurde offensichtlich, dass die Polizei gar nicht mit Bestimmtheit sagen konnte, dass es Quittungen der PKK waren. So sagte der Zeuge G. aus, das ihm solche Quittungen „noch nicht untergekommen seien“, er nur ähnliche gesehen hat. Laut dem anderen Zeugen B. seien auf den „PKK-Quittungen“„üblicherweise PKK-Symbole abgebildet“. Auf den bei dem Angeklagten gefundenen Quittungen waren allerdings keine Symbole abgebildet. Das Spenden auch für andere Dinge gesammelt werden, zum Beispiel für Hilfsgüter für die Menschen in Efrîn, spielt für die Polizei keine Rolle. Für sie gehen sämtliche Spenden an die verbotene PKK.

Getreu der Arbeitsdirektive „Alles ist PKK und irgendwie verboten“

Für die beiden geladenen Polizeibeamten stand dann auch von vornherein fest, das mit den Bezeichnungen „M1“ und „M2“ die „Räume“ Hannover-Stadt und Hannover-Land des PKK-Gebiets gemeint sein müssen. Eine andere Bedeutung war für sie nicht denkbar. Dass aber auch legale kurdische Vereine solche Bezeichnungen für ihre Strukturen nutzen, kam bei den Ermittlungen nicht zum Tragen. Getreu der Arbeitsdirektive „Alles ist PKK“.

Absurd wurde es in der Beweisaufnahme, als es um eine vermeintliche „PKK-Veranstaltung“ ging, an der der Angeklagte teilgenommen haben soll. Dabei soll es sich um ein Treffen von „PKK-Kadern“ aus dem Organisationsgefüge des Gebiets Hannover gehandelt haben. Doch keiner der beiden Zeugen der Polizei konnte zu diesem brisanten Treffen irgendetwas sagen. Sie waren weder damit beschäftigt, noch konnten sie den Ort der Versammlung nennen. Auch ohne konkretes Wissen führte es zu Ermittlungen und fand Niederschlag in der Anklage. Für sie und die Staatsanwaltschaft ist alles PKK und irgendwie verboten.

Wie in der Türkei: Politisches Handeln wird kriminalisiert

Sicher waren sich die beiden Polizisten dann aber in ihren Beschuldigungen gegenüber dem kurdischen Verein in Hannover, der als „PKK-Propagandazentrum“, in dem „PKK‘ler ein- und ausgehen“ würden, bezeichnet wurde. Für den Zeugen B. sei „NAV-DEM Hannover für die PKK tätig“. Mit solchen Aussagen wird weiter an den eigenen Konstrukten gebastelt und die immer weitergehende Verfolgung der Kurdinnen und Kurden in Hannover legitimiert. Scheinbar geht es auch um die Sicherung der eigenen Arbeitsplätze im Staatsschutzkommissariat.

Der Prozess in Lüneburg offenbarte auf ein Neues den Verfolgungswillen des deutschen Staats gegenüber allem, was er als PKK einstuft. Der kurdischen Bewegung soll keine Chance gegeben werden, hier politisch aktiv zu werden. Dabei werden dann keinerlei Unterscheidungen vorgenommen und wie in der Türkei auch hier legale Strukturen ins Visier genommen. Solange das seit 1993 bestehende PKK-Verbot in Deutschland besteht, werden kurdische Menschen und kurdische Kultur hier weiter verfolgt und kriminalisiert. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg fällt dabei durch ihren besonderen Eifer auf.

Kurzer Prozess: Kein eindeutiger PKK-Bezug

Der Prozess, für den zunächst vier Verhandlungstage angesetzt waren, endete dann schon am Mittag des ersten Tages mit einem Schuldspruch. Der Angeklagte wurde wegen dem Verteilen der Zeitung Serxwebûn zu einer Geldstrafe auf Bewährung verurteilt. Dass er diese Publikationen weitergegeben hat, hatte er zu Beginn der Verhandlung eingeräumt.

Bei den anderen Anklagepunkten konnte die Strafkammer des Landgerichts keinen eindeutigen PKK-Bezug feststellen und sah deshalb keine Verstöße gegen des Vereinsgesetz und keine Zuwiderhandlung gegen das PKK-Verbot. Der Vorsitzende Richter kritisierte durch die Blume die Polizei, bei der ein Bild vorherrschen würde, dass alle kurdischen Aktivitäten mit der PKK zu tun haben würden. Doch das Eintreten für die kurdische Sache ist hier nicht verboten.

In der Urteilsbegründung würdigte der Richter, dass das Eintreten für die kurdische Sache für den Angeklagten eine Herzensangelegenheit sei und er aus Solidarität und in großer emotionaler Verbundenheit zu den Menschen in seiner alten Heimat Rojava gehandelt hat.

Da das Gericht davon ausgeht, dass der verurteilte Kurde sich auch weiterhin für die kurdische Sache betätigen wird, gab der Richter ihm mit auf den Weg, dass er „straffrei handeln“ und um alles, was mit der PKK zu tun haben könnte, „einen Bogen machen“ müsse. Mit diesen Worten endete der Prozess und beschrieb den Zweck des PKK-Verbots: Die Stimme des Friedens und der Freiheit soll isoliert und zum Verstummen gebracht werden.

Antifaschistische Aktion: PKK-Verbot aufheben

Die Antifaschistische Aktion Lüneburg / Uelzen, die den angeklagten Aktivisten heute im Gericht begleitete und seit bald 30 Jahren an der Seite der kurdischen Freiheitsbewegung steht, erklärte nach der Urteilsverkündung, dass es keinen Grund gibt, um den globalen Kampf für Frieden und Freiheit einen Bogen zu machen. Vielmehr sei es Zeit, die Solidarität mit der kurdischen Freiheitsbewegung zu verstärken und das Verbot der PKK aufzuheben: „Das Verbot der PKK ist eine Einschränkung von Grundrechten in Deutschland und jeder Prozess gegen kurdische Aktivist:innen stellt eine direkte Unterstützung für das faschistische Regime Erdogans und den Krieg gegen die Kurd:innen dar. Das muss beendet werden!“

Im März stehen die nächsten Prozesse gegen kurdische Aktivist:innen aus Hannover an. Auch sie sollen das Verbot der PKK nicht beachtet haben.