Seit dem 7. November des vergangenen Jahres protestiert die kurdische Politikerin Leyla Güven mit einem Hungerstreik gegen die Isolation des PKK-Gründers Abdullah Öcalan. Ihrer Forderung schlossen sich bisher etliche Menschen an. Neben hunderten Kurdinnen und Kurden in der Türkei, Europa, Australien und Kanada sind es auch rund 7.000 politische Gefangene aus PKK- und PAJK-Verfahren an, die sich an der von Leyla Güven initiierten Hungerstreikbewegung beteiligen und die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen fordern.
Abdullah Öcalan gilt der kurdischen Freiheitsbewegung als legitimer Repräsentant. Mit dem Hungerstreik werden Bedingungen für ihn gefordert, in denen er als Vorsitzender einer Befreiungsbewegung leben und arbeiten kann, um so zur Lösung der kurdischen Frage beizutragen. Seit seiner völkerrechtswidrigen Verschleppung im Februar 1999 aus der griechischen Botschaft in Nairobi / Kenia befindet sich Öcalan auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali. Elf Jahre war er der einzige Häftling auf der Insel – bewacht von mehr als tausend Soldaten. Der letzte Besuch seiner Anwälte fand am 27. Juli 2011 statt. Somit wird ihm seit fast acht Jahren jeglicher Rechtsbeistand verwehrt. Öcalan hält so den „Europa-Rekord“ für Haft ohne Zugang zu Anwälten.
Seit April 2015 befindet er sich faktisch in Totalisolation. Nach dem letzten Familienbesuch am 11. September 2016 war sein Bruder Mehmet Öcalan erstmalig wieder am 12. Januar 2019 für ein 15-minütiges Gespräch auf Imrali. Dieser genehmigte Kurzbesuch wird von den Hungerstreikenden als taktisches Manöver der türkischen Regierung gewertet, um den Protest zu brechen. Eine Aufhebung der Isolation ist damit nicht erreicht.
„Beendet nicht euer Leben, stärkt den Widerstand“
Um der Forderung der Hungerstreikenden „Nachdruck zu verleihen“, beendeten innerhalb einer Woche die politischen Gefangenen Zülküf Gezen, Ayten Beçet und Zehra Sağlam aus Protest gegen die anhaltenden Haftbedingungen auf Imrali ihr Leben. Vor wenigen Tagen erlag auch der kurdische Aktivist Uğur Şakar seinen schweren Verletzungen, die er sich Ende Februar bei seiner Selbstverbrennung vor dem Gebäude des Krefelder Gerichts hinzugezogen hatte. Leyla Güven hat nun an die Hungerstreikenden appelliert und fordert das Ende der Selbsttötungen. In einer Audiobotschaft der Politikerin heißt es: „Freundinnen und Freunde, unser Widerstand hat eine neue Phase erreicht. Es dauert nicht mehr lange, bis wir Ergebnisse erzielen. Mit Hoffnung und Willensstärke sollten wir die Hungerstreikenden umschließen. Der Sieg ist nah, wir werden in jedem Fall erfolgreich sein. Ich wünsche auch, dass unsere Freundinnen und Freunde, die ihre Aktionen in den Gefängnissen ausführen, ihre Handlungen moralisch, enthusiastisch und friedlich fortsetzen. Diejenigen, die sich nicht im Hungerstreik befinden, sollten einen Kreis um ihre Freund*innen bilden, die an diesem Protest teilnehmen.
Ich verneige mich mit Respekt vor den Aktionen von Zülküf, Ayten und Uğur. Sie alle wollten das Schweigen mit dem Geist der Opferbereitschaft durchbrechen. Aber dennoch möchte ich sagen: Jede Freundin und jeder Freund, die/der ihrem/seinem Leben ein Ende setzt, nimmt mir auch ein Stück meines Körpers, meines Geistes und meines Herzens.
Wir befinden uns bereits in einer Aktion und stehen kurz vor dem Ziel. Wir sollten unsere Plätze neben den Aktivist*innen einnehmen, statt weitere Protestformen einzuführen. Selbstopferungen sind wahrhaftig von unschätzbarem Wert, über die auch nichts gesagt werden kann. Allerdings wurden solche Handlungen auch vom kurdischen Repräsentanten [Öcalan] verurteilt. Er sagte: ‚Nicht der Tod, sondern das Leben sollte richtungsweisend für euch sein. Für ein Leben in Würde müsst ihr den Widerstand stärken, statt eure Leben zu beenden‘.
Freundinnen und Freunde, wir müssen unsere Kräfte vereinen und den Hungerstreik überall auf der Welt Gehör verschaffen, um Ergebnisse zu erreichen. Das ist unser Ziel. Aus diesem Grund habe ich bisher mit hoher Moral und Begeisterung an meiner Aktion festgehalten. Doch wichtiger ist es, die Moral unserer Freund*innen in den Gefängnissen zu steigern. Wir benötigen diese Kraft. Aus diesem Grund strenge auch ich mich an; um zu leben, unser gemeinsames Leben fortsetzen zu können, und die Isolation zu durchbrechen. Lasst uns diesen Tag alle zusammen feiern. Dafür achte ich auf mich selbst und auf mein Leben. Von euch erwarte ich keine Selbstopferungsaktionen, sondern die Stärkung der Hungerstreikbewegung. Solche Aktionen rauben meine Kraft. Ganz gleich, was ich auch tue, zerreiße ich emotional. Auf meinen Schultern macht sich eine schwere Last breit. Auf diese Weise kann ich meinen Weg nicht fortsetzen. Ich wünsche mir, dass meine Freundinnen und Freunde den meinen Weg einschlagen und unsere Aktion zum Erfolg führen“.