Zwei Tage nach dem Tod des Musikers Ibrahim Gökçek ist sein Leichnam in seiner Heimatstadt Kayseri eingetroffen. Am Vormittag soll er auf dem Friedhof Halef Hoca im Bezirk Talas beigesetzt werden. Die Polizei kündigte bereits an, dass die Teilnahme von Personen außerhalb der Familie nicht gestattet sei. Als Vorwand nannten die Beamten eine Ausgangssperre, die in der Türkei vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie an Wochenenden in Kraft ist.
Im Polizeikonvoi war die Leiche des Bassisten der Band Grup Yorum, der am Donnerstag im Alter von 39 Jahren in einem Krankenhaus in Istanbul an den Folgen eines 323 Tage andauernden Hungerstreiks gestorben war, nach Kayseri gebracht worden. Zuvor hatte die Polizei die sterblichen Überreste Gökçeks aus dem alevitischen Gebetshaus im Istanbuler Stadtteil Gazi verschleppt. Das Versammlungshaus war bereits in den frühen Morgenstunden belagert worden, eine Gedenkdemonstration wurde verhindert. Mit Tränengas und Gummigeschossen ging die Polizei gegen Trauernde vor, zahlreiche Menschen, darunter drei Anwältinnen, wurden festgenommen.
Nach Angaben des Istanbuler Rechtsbüros des Volkes (HHB) wird Sultan Gökçek, die seit vier Jahren inhaftierte Ehefrau des verstorbenen Musikers Ibrahim Gökçek, an der Beerdigung ihres Mannes teilnehmen. Sie habe eine Sondergenehmigung erhalten und Kappadokien bereits erreicht.
Derweil kündigten Anhänger der ultranationalistischen MHP in den sozialen Medien an, die Beerdigung Ibrahim Gökçeks angreifen zu wollen. Man werde unter keinen Umständen zulassen, dass ein „Terrorist“ in der Stadt begraben werde. Sollte es dennoch dazu kommen, wolle man die Leiche „exhumieren und verbrennen“. Die faschistische Stimmung erinnert an ähnliche Zustände vor knapp drei Jahren, als im September 2017 ein Angriff eines türkischen Mobs auf die Beerdigung von Hatun Tuğluk, der Mutter Aysel Tuğluks, weltweit Empörung auslöste. Hunderte Rassisten und Nationalisten hatten in Ankara die Beerdigung mit Steinen attackiert und Hassparolen gegen die Minderheiten der Armenier und Aleviten gerufen. Der Leichnam musste daraufhin exhumiert werden, weil der Mob angedroht hatte, die Leiche zu schänden. Erst nach Tagen konnte Tuğluk in einer anderen Stadt beigesetzt werden.