Kongress in Istanbul: „Jetzt ist HDP-Zeit“

Beim vierten Kongress der HDP Istanbul bewiesen Parteiführung und Basis auf eindrückliche Weise ihren Willen zur Demokratie und bekräftigten, dass sie am „Dritten Weg“ festhalten wollen. Die beeindruckende Zusammenkunft wird lange in Erinnerung bleiben.

Es war eine beeindruckende Zusammenkunft, die lange in Erinnerung bleiben wird. Tausende Mitglieder waren am Sonntag gekommen, um zum vierten ordentlichen Kongress des Istanbuler Provinzverbands der Demokratischen Partei der Völker (HDP) restlos volle Reihen in dem Veranstaltungssaal im Stadtteil Küçükçekmece zu füllen. Sowohl die Parteiführung als auch ihre Basis bewiesen auf eindrückliche Weise ihren Willen zur Demokratie und bekräftigten, dass sie am „Dritten Weg“ festhalten werden.

Der Kongress stand unter dem Motto „Jetzt ist HDP-Zeit“. Bevor der Ko-Vorsitzende Mithat Sancar als Hauptredner auf die Bühne trat, hielt Esengül Demir eine Begrüßungsansprache. Die Politikerin ist Ko-Sprecherin des Demokratischen Kongress der Völker (HDK), dem Organisierungsgremium hunderter Gruppen und politisch Handelnder, aus dem die HDP 2012 hervorgegangen ist. In ihrer Rede erinnerte sie zuerst an die im Juni beim Anschlag auf die HDP-Zentrale in Izmir ermordete Mitarbeiterin Deniz Poyraz sowie die politische Gefangene Garibe Gezer, die vor wenigen Tagen in türkischer Haft Selbstmord beging.

Türkei in einem sozialen, politischen und ökonomischen Krisenmodus

Im weiteren Verlauf thematisierte Demir das vor dem türkischen Verfassungsgerichtshof anhängige Parteiverbotsverfahren gegen die HDP und bezeichnete es als „aussichtslos“, da der Kampf der Völker gegen Faschismus erst dann beendet werden könne, wenn das Ziel eines gemeinsamen und gleichberechtigten Lebens auf Grundlage des dritten Weges erreicht worden sei. Die Türkei befinde sich in einem „sozialen, politischen und ökonomischen Krisenmodus“, der im nationalistischen Verständnis begründet sei. „Sie hat mit ihrer Prämisse ‚eine Nation, eine Sprache und eine Flagge‘ ihren eigenen nationalstaatlichen Status quo geschaffen und setzt das kurdische Volk, das sich diesem Verständnis widersetzt, einer repressiven Verleugnungs- und Assimilationspolitik aus.“

Bei der Gründung der HDP kamen die demokratischen und linken Kreise in der Türkei mit der kurdischen Bewegung zusammen, um als ein Demokratie-Bündnis einen neuen Pol in der türkischen Politik zu bilden. Ziel war und ist es, sich nicht auf der Seite eines der bestehenden Machtblöcke positionieren, sondern einen „dritten Weg“ auf der Grundlage von Demokratie, universellem Recht und freier Politik einzuschlagen und den Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung voranzutreiben, die Pluralismus, Demokratie, Frauenbefreiung, Geschlechterparität und Ökologie zur Grundlage hat. Die HDP stellt in diesem Sinne einen Gegenentwurf sowohl gegen den islamistisch-konservativen und nationalistischen Block, der vom Bündnis aus AKP und MHP dargestellt wird, dar, als auch gegen den laizistischen-nationalen Block, der durch die CHP repräsentiert wird. | Das Foto zeigt Esengül Demir (vorne).

Sancar: Nur mit der HDP kann es Frieden und Demokratie geben

Der HDP-Vorsitzende Mithat Sancar erklärte, die AKP verfolge eine Politik des Ausnahmezustands, schärferer Sicherheitsvorkehrungen und Restriktionen. Ihre Ideologie habe Monismus, Unterdrückung und Ausbeutung zur Grundlage, die politische Existenz werde gesichert durch einen kriegerischen Militarismus. „Die HDP dagegen ist das genaue Gegenmodell zu diesem autoritären und faschistischen Block. Sie ist der Weg zur Demokratie. Deswegen ist sie den Herrschenden ein Dorn im Auge“, so Sancar. Unfähig das Land zu regieren und aus den Krisen zu führen, kanalisiere der Machtblock alle Kräfte und Energien gegen die HDP, führe aufwendige Diffamierungskampagnen durch, kriminalisiere Abgeordnete und Mitglieder.

Der Ko-Vorsitzende der HDP Mithat Sancar. Auf der Leinwand im Hintergrund sind Titelseiten pro-kurdischer Zeitungen zu sehen.

„Aus diesem Grund ist die Verteidigung des dritten Wegs von großer Bedeutung. Die Völker dieses Landes sehnen sich nach einem großen Frieden und einer starken Demokratie. Die Bedürftigen und Werktätigen brauchen Nahrung, Arbeit und Wohlstand. Die Unterdrückten und Opfer des Systems haben ein Recht auf Gerechtigkeit und ein Leben in Würde. Dafür ist HDP da. Die HDP existiert für Freiheit, Frieden, Demokratie, Brot, Arbeit und Ehre. Wir versprechen, dieses Land schon bald zu diesen Prinzipien zu verhelfen und den Neuanfang, den Aufbau eines würdigen Lebens und einer gerechten Ordnung in jedem Fall zu realisieren.“

Erreicht werde dies mit der „unendlichen Begeisterung“ der vielen jungen Menschen an der Seite der HDP, ihrem Mut und ihrer Hoffnung, führte Sancar weiter aus. „Wir sagen: Nur mit uns kann es Frieden und Demokratie geben. Das werden die Herrschenden akzeptieren müssen, ob sie nun wollen oder nicht. Wir haben es diesem Land, seinen Völkern, seiner Jugend und am meisten seinen Frauen versprochen, und wir werden uns daran halten: Das unterdrückerische Regime wird fallen, wir alle werden gemeinsam gewinnen.“

Neue Spitze der HDP Istanbul gewählt

Begleitet wurde der Kongress von einem musikalischen Bühnenprogramm mit den Bands Bajar und Koma Ma. Zum Abschluss fand die Wahl der neuen Ko-Vorsitzenden des Provinzverbands statt. Das aus Elif Bulut und Erdal Avcı bestehende bisherige Duo an der Spitze der Istanbuler HDP wird abgelöst von der stellvertretenden HDP-Vorsitzenden Ilknur Birol und dem ehemaligen Parlamentsabgeordneten Ferhat Encü, der vor zehn Jahren beim Massaker von Roboskî seinen Bruder und 26 weitere Verwandte verloren hat.

Ferhat Encü (m.) tanzt mit festlich gekleideten Frauen in ihren bunten kurdischen Kleidern den traditionellen Govend.