Kongress des kurdischen Europaverbands KCDK-E

Auf dem sechsten Kongress des kurdischen Europaverbands KCDK-E haben 180 Delegierte vier Tage lang über die aktuellen politischen Entwicklungen diskutiert und die eigene Arbeit selbstkritisch bewertet. Zudem wurde ein neuer Vorstand gewählt.

Der KCDK-E (Kongress der demokratischen Gemeinschaften Kurdistans in Europa) hat als größter kurdischer Dachverband im Ausland vom 4. bis 7. Juli mit 180 Delegierten seinen sechsten Kongress abgehalten. Vier Tage lang diskutierten die Delegierten der im KCDK-E organisierten Verbände und Institutionen aus verschiedenen Ländern über die aktuelle politische und gesellschaftliche Lage und werteten die eigene Arbeit aus.


Leitmotiv der Versammlung war der Aufbau selbstbestimmter Strukturen innerhalb der kurdischen Community in Europa im Sinne des von Abdullah Öcalan geprägten Paradigmas einer auf Basisdemokratie, Frauenbefreiung und Ökologie basierenden Gesellschaft. Der Kongress wurde den am 23. Dezember 2022 in Paris ermordeten Kurd:innen Emine Kara (Evîn Goyî), Mîr Perwer und Abdurrahman Kızıl sowie Fazil Botan (Ahmet Şeker), einem langjährigen Kommandanten des kurdischen Freiheitskampfes, der im Juni vergangenen Jahres an den Folgen einer Verletzung in Frankreich verstorben war, gewidmet.

Dritter Weltkrieg mit Zentrum in Kurdistan

Der KCDK-E hat heute eine Erklärung veröffentlicht, in der die wichtigsten Ergebnisse der Diskussionen auf dem Kongresses zusammengefasst werden. Zur Analyse der aktuellen politischen Situation heißt es:

„Unser Kongress fand in einer politisch sehr wichtigen Zeit statt. Auf der einen Seite geht der durch die sich vertiefende Krise des Systems der kapitalistischen Moderne ausgelöste 3. Weltkrieg im Nahen Osten weiter, mit Kurdistan als Zentrum. Auf der anderen Seite gibt es eine ernsthafte Polarisierung in der internationalen Arena, die durch den Krieg verursacht wird, der sich mit der Ukraine auf ein größeres Gebiet ausgeweitet hat. Dieser Prozess, der als 3. Weltkrieg bezeichnet wird, birgt weiterhin Ungewissheiten und Risiken für die Zukunft.

Obwohl der türkische Staat in diesem Prozess all seine Kräfte mobilisiert hat, um in dem auf einen Völkermord abzielenden Krieg gegen die Kurdinnen und Kurden Ergebnisse zu erzielen, und trotz der Unterstützung, die er international erhielt, war dieser totale Vernichtungsfeldzug erfolglos. Mit einem betrügerischen Wahlszenario, das unter der Aufsicht und Anleitung der dem Präsidialsystem angeschlossenen Institutionen durchgeführt wurde, ist eine Regierung aus AKP, MHP und Hizbulkontra gebildet worden. Dahinter steht der Plan, alle Errungenschaften des kurdischen Volkes im Nahen Osten zu beseitigen. Der türkische Staat befindet sich jedoch aufgrund seiner Kriegspolitik in einer großen Krise und im Chaos. Er hat keinesfalls die Möglichkeit, den Widerstand des kurdischen Volkes und der demokratischen Kräfte zu unterdrücken, im Gegenteil, sein Beharren auf der Kriegspolitik wird die Krise und das Chaos des faschistischen Regimes vertiefen und seinen Zusammenbruch beschleunigen.“

Schwerpunktthema: Freiheit für Abdullah Öcalan

Ein Schwerpunktthema auf dem Kongress war die ungewisse Situation des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan, der seit 24 Jahren politische Geisel des türkischen Staates ist und vollständig von der Öffentlichkeit abgeschottet wird. Der letzte Kontakt zu ihm und seinen drei Mitgefangenen auf der Gefängnisinsel Imrali war ein kurzes Telefonat mit Angehörigen im März 2021, selbst sein Anwaltsteam hat keine Informationen über den Zustand seines Mandanten. Dazu erklärt der KCDK-E:

„Unser Kongress diskutierte die Situation von Rêber Apo [Abdullah Öcalan] als gesonderten Tagesordnungspunkt. Der Kongress stellte fest, dass aufgrund der feindseligen Politik des türkischen Staates zusammen mit den Kräften der kapitalistischen Moderne gegen Rêber Apos Gedanken und das von ihm geschaffene Paradigma der Freiheit ein hohes Risiko für seine Gesundheit und sein Leben besteht. Seit 28 Monaten gibt es keine Informationen mehr von ihm. Die willkürlich verhängten Disziplinarstrafen, die Verweigerung des Kontakts zu seiner Familie und seinen Anwält:innen, der Ausschluss der Insel Imrali von allen internationalen Gesetzen und das Schweigen der zuständigen internationalen Organisationen angesichts dieser unrechtmäßigen Praktiken sind weltweit beispiellos. Und der einzige Grund dafür ist die Feindseligkeit den Gedanken von Rêber Apo und in seiner Person dem kurdischen Volk gegenüber. Die Mächte der Moderne unterstützen seit hundert Jahren die Politik der Verleugnung und Vernichtung des kurdischen Volkes durch den türkischen Staat. Doch trotz all dieser Praktiken verbreiten sich die Gedanken von Rêber Apo jeden Tag mehr und mehr in der ganzen Welt und geben den in verschiedenen Gegenden lebenden Gesellschaften und Glaubensrichtungen Hoffnung, insbesondere den Frauen.“

Bewertung und Planung der eigenen Arbeit

Ausgehend von dieser Analyse bleibt die Forderung nach Freilassung von Abdullah Öcalan ein Hauptziel des KCDK-E. Dementsprechend wurde eine Planung erstellt, die alle Arbeitsbereiche umfasst. Zudem wurden auf dem Kongress die Aktivitäten des vergangenen Jahres unter dem Gesichtspunkt des gesellschaftlichen Aufbaus bewertet. Zusammenfassend stellt der KCDK-E fest, seinem Anspruch nicht gerecht geworden zu sein: Das gewünschte Niveau bei der Schaffung einer demokratischen Gesellschaft sei nicht erreicht und die alten Auffassungen und Gewohnheiten der Vergangenheit nicht vollständig überwunden worden. Es sei nicht gelungen, die in Europa lebenden Kurdinnen und Kurden ausreichend in das System der Räte und Kommunen einzubeziehen. Vielmehr werde eine zunehmende Distanz zwischen den Strukturen des KCDK-E und der Bevölkerung wahrgenommen.

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, will der KCDK-E „Projekte in den Bereichen Bildung, Ökologie, Sport, Volksdiplomatie, Kultur und kommunale Wirtschaft“ initiieren.

Zum Abschluss des Kongresses wurden ein neuer Vorstand sowie die Mitglieder des Disziplinarausschusses und des Aufsichtsrates gewählt. Die neuen Ko-Vorsitzenden des KCDK-E sind Zübeyde Zümrüt und Engin Sever.