Dass die deutsche Bundesregierung immer schon fest an der Seite der Türkei steht, ist lange bekannt. Zu exponiert ist die geostrategische Lage der Türkei als NATO-Bollwerk am Tor zum Mittleren Osten und als Wächter über Flüchtlingsströme, die nicht nach Europa gelangen sollen. Zu wichtig sind die Absatzmärkte – insbesondere für Rüstungsgüter - und die Interessen der über 7.000 deutschen Unternehmen, die in der Türkei aktiv sind. Vergessen werden darf auch nicht die türkisch-stämmige Community; den Statistiken nach mehrheitlich treue Erdogan-Anhänger, nicht wenige davon dürfen demnächst an den Bundestagswahlen teilnehmen.
Innerhalb der EU vertritt Deutschland am entschiedensten die Interessen der türkischen Regierung – egal was sich die türkische Politik im In- und Ausland leistet. Über die gelegentlichen Entgleisungen des türkischen Präsidenten schaut man in Berlin geflissentlich hinweg, rollt den roten Teppich für Staatsbesuche aus und leistet regelmäßig Wahlkampfhilfe für die Regierungspartei AKP und ihren faschistischen Koalitionspartner MHP. Kein Wort zu den völkerrechtswidrigen Angriffen der Türkei in den Nachbarländern, Schweigen zu den aktuellen und international geächteten Giftgaseinsätzen im Nordirak, zu Besatzung, ethnischer Säuberung, Plünderung der Natur... die Liste ließe sich fortsetzen.
Weil die deutschen Medien fast keine Berichte über das Ausmaß der türkischen Expansion durch Krieg und Vertreibung bringen, da sie entweder keine Korrespondenten vor Ort haben oder schlicht nicht interessiert sind, was „weit hinten in Kurdistan“ passiert, bemühen sich Aktivist:innen, immer wieder die deutsche Öffentlichkeit aufzuklären über das wahre Gesicht des Bündnispartners am Bosporus. Das sind dann keine Bilder von einladenden Stränden und türkischer Gastfreundschaft, wie sie gerade jetzt wieder in vielen Zeitungen den Urlaubshungrigen präsentiert werden. Es sind Bilder von Vergewaltigungen, von Folteropfern, von Waldbränden und zerstörter Infrastruktur. Das Problem ist, dass sich das nicht so gut verkauft.
Das Bild der Türkei jenseits von Sonne, Strand und Billigurlaub stört das Geschäft mit den Touristen, stört Deutschlands außenpolitische Interessen. So wird der Druck auf alle erhöht, die unermüdlich aufklären und handfeste Beweise liefern über die innen- und außenpolitischen Verbrechen der türkischen Regierung, über die schmutzigen Propagandaschlachten, über die mafiösen Strukturen innerhalb der türkischen Regierung und ihre Verbindungen auch nach Deutschland.
Die Aktion der Bundespolizei, die Ausreise einer Friedensdelegation ins südkurdische Hewlêr (Erbil) zu verhindern, ist der jüngste Versuch, den aktuellen Krieg, den der NATO-Staat Türkei seit April im Norden des Irak gegen die kurdische Freiheitsbewegung und die Zivilbevölkerung führt, möglichst nicht zu thematisieren. Die Politiker:innen – deutsche, türkische und Schweizer Staatsangehörige, darunter die Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft und Vorsitzende der Linksfraktion Cansu Özdemir – wollten sich vor Ort ein Bild machen, mit verschiedenen kurdischen Politiker:innen sprechen und dann hier darüber berichten. Die Ausreisesperre hatte „staatsschutzrelevante Gründe“, wie man dann erfährt. Die Friedensdelegation könne die Sicherheitsbelange der Bundesrepublik im Ausland nachhaltig beschädigen. Offensichtlicher geht die Unterstützung des türkischen Aggressors kaum.
Es ist die gleiche Begründung, die der deutsche Staat seit Jahren auffährt, wenn es um die Kriminalisierung der kurdischen Freiheitsbewegung geht mit regelmäßigen Razzien und Verhaftungen, mit Verboten von Demos, mit der Zensur von Literatur oder aufenthaltsrechtlichen Schikanen gegen kurdischstämmige Oppositionelle. Es geht immer um „Gefährdung“ deutscher Interessen.
Wir haben verstanden: das deutsche Interesse besteht darin, eine Diktatur zu stützen, die die Opposition wegsperrt oder gleich ermorden lässt und völkerrechtswidrige Kriege führt. Schade, dass diese Diktatur nicht Belarus, Russland oder China heißt. Wie viel Heuchelei verträgt die Öffentlichkeit?