Politischer Vernichtungsfeldzug gegen Kurden in Deutschland

Ähnlich wie in der Türkei wird auch in der Bundesrepublik ein politischer Vernichtungsfeldzug gegen gegen Kurden und ihre Institutionen geführt.

Kurdische Kulturvereine werden unter fadenscheinigen Begründungen gestürmt, kurdische Bücher werden beschlagnahmt, geteilte Beiträge in den sozialen Medien werden als „Beweismittel“ vorgeführt, deutsche solidarische Kreise sind aufgrund ihrer Solidarität mit den Kurden von Repression betroffen.

Es ist im Grunde nichts Neues, dass Deutschland gegen die Freiheitsbewegung der kurdischen Gesellschaft an der Seite der Kolonialstaaten steht. Auch ist bekannt, dass Deutschland, welches seine Außenpolitik an lukrativem Handel und Exportüberschüssen ausrichtet, dem türkischen Staat in schweren Zeiten zur Hilfe eilt. Die Spannungen und Krisen zwischen beiden Staaten haben uns in den letzten Monaten noch einmal mehr gezeigt, dass es sich um innenpolitische Spielchen handelt. Beispielsweise hat die deutsche Bundesregierung trotz der schweren Menschenrechtsverletzungen im besetzten Efrîn durch den türkischen Staat und den heftigen Reaktionen der Öffentlichkeit ihre Waffenlieferungen an die türkische Armee fortgesetzt. Darüber hinaus wurde sogar die Modernisierung der Panzer unternommen, die für die Besatzung Efrîns vorbereitet wurden.

Auch auf internationaler Arena hat Deutschland diese Rolle während der Angriffe auf Efrîn, die einen Bruch mit dem internationalen Recht bedeuteten, nicht verlassen. Die Kanzlerin Merkel beließ es bei Lippenbekenntnissen und es wurden keinerlei Sanktionen gegen die Türkei eingeleitet.

Während die Bundesregierung in diesem Jahr indirekt die Verbrechen der Türkei in Kurdistan unterstützte, fühlte sie sich gestört von den breiten Solidaritätsbekundungen für den Widerstand in Efrîn und versuchte, Kundgebungen zu verhindern sowie die Verbote von kurdischen Symbolen auszudehnen. Welches Konzept verfolgt Deutschland, das in letzter Zeit den Operationen des politischen Genozids der Türkei ähnliche Operationen umsetzte, gegen die kurdische Freiheitsbewegung?

Die Rolle Deutschlands

Das für seine historisch tiefen Beziehungen mit der Türkei und dem Osmanischen Reich bekannte Deutschland hat nach dem Beginn des bewaffneten Kampfes der PKK am 15. August 1984 auf internationaler Ebene die Verantwortung für die Unterdrückung der kurdischen Freiheitsbewegung übernommen. Diese Rolle hat sie zum einen aufgrund der in ihrem Land lebenden kurdischen Bevölkerung, zum anderen aufgrund ihrer wichtigen Rolle innerhalb der NATO während des Kalten Krieges übernommen.

Das Konzept der NATO zur Unterdrückung von Freiheitsbewegungen wurde Ende 1984 bzw. Anfang 1985 gegen die PKK eingesetzt. Ziel war es, die internationale Unterstützung für den in Kurdistan begonnenen Widerstand zu brechen. Wichtige Standbeine dieses Konzeptes waren die nicht nur in Deutschland, sondern in einer Vielzahl von europäischen Ländern umgesetzten Operationen gegen die PKK in den 1980er Jahren sowie die starke militärische Unterstützung für den türkischen Staat.

Anfang der 1990er Jahre hat die Regierung um Helmut Kohl angesichts der Tatsache, dass die Anzahl der kurdischen Bevölkerung in Deutschland aufgrund der Fluchtwelle stieg, nach neuen Methoden Ausschau gehalten. Um die kurdische Freiheitsbewegung international zu ersticken und die nach Deutschland gekommenen Kurden vom Widerstand zu lösen, wurden jegliche Aktivitäten der PKK verboten. Am 26. November 1993 wurde das Betätigungsverbot erlassen.

In dem vom damaligem Innenminister Manfred Kanther vorbereiteten 53-seitigen Schreiben wurden die Kundgebungen der Kurden – mit dem Ziel, die Geschehnisse in Kurdistan an die Öffentlichkeit zu tragen – kriminalisiert, während mit keinem Satz auf die Verbrechen des türkischen Staates in Kurdistan eingegangen wurde. Am Tage des PKK-Verbots wurden mit dem selben Beschluss auch die Nachrichtenagentur KURD-HA, die Zeitschrift Berxwedan, die Föderation FEYKA-Kurdistan und genau 30 Vereine und Informationszentren geschlossen und die entsprechenden Publikationen eingestellt. Die kurdische Gesellschaft stand jedoch trotz der Repression und Gewalt hinter ihren Institutionen.

Kurze Zeit später wurden neue Institutionen eröffnet. Bis zu 70 Vereine sollten sich in der bundesweiten kurdischen Organisation YEK-KOM (Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland) wiederfinden.

Neue Operationen als eine Wiederholung des alten Konzepts

Gegen diese starke Organisierung der kurdischen Freiheitsbewegung wurden in jeder Phase neue Konzepte und Verbote eingeleitet. Im Jahr 2012 wurde die PKK vom Bundesverfassungsgericht in die Liste der „ausländischen Terrororganisationen“ aufgenommen. Mit dieser Entscheidung sollten die Verfahren gegen Kurden nun noch einfacher und ohne Beweise bzw. Begründung eröffnet werden können.

Mit den bekannten „129b“-Verfahren sollten gegen Dutzende kurdische Politiker Verfahren eingeleitet werden. Bedrettin Kavak, Mehmet Demir, Mustafa Çelik, Kenan Baştu, Ali Özel, Ahmet Çelik, Ali Hıdır Doğan, Zeki Eroğlu ve Muhlis Kaya sind nur einige, gegen die Gefängnisstrafen zwischen zwei und dreieinhalb Jahren verhängt worden sind.

Während im Rahmen des PKK-Verbots zwischen den Jahren 2004 bis 2017 4.5000 Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden, wurden gegen 240 Personen Verfahren wegen der „Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung“ eröffnet. Von 1992 bis heute wurden fast 100 Personen mit dem Vorwurf, Verantwortliche der PKK zu sein, zu schweren Haftstrafen verurteilt.

Das Ziel Deutschlands, die kurdischen Politiker zu inhaftieren und so vom Widerstand zu lösen, ist dasselbe wie das der „KCK-Operationen“ des türkischen Staates in Nordkurdistan. Als auch dieses Konzept nicht griff, wurde der Rahmen der Maßnahmen für die deutschen Sicherheitsbehörden weiter ausgedehnt.

Alleine im Jahr 2017 wurden gegen 130 Kurd*innen aufgrund des PKK-Bezugs Verfahren eröffnet. Im Jahr 2013 betrug diese Anzahl noch 15, 2014 und 2015 noch 20. Im Jahr 2016 stieg die Zahl der Verfahren merklich auf 40. Einen Anstieg wie im Jahr 2017 gab es aber in zehn Jahren nicht. Zwischen den Jahren 2007 und 2017 wurden gegen 240 kurdische Politiker*innen und Aktivist*innen 180 Verfahren eingeleitet. Die Zahlen vom Jahr 2017 hingegen erreichen fast die Gesamtzahl der letzten zehn Jahre. Das ist ein klares Indiz für die Zusammenarbeit Deutschlands mit dem Erdoğan-Regime, gemeinsam gegen die kurdische Freiheitsbewegung.

Ein ähnlicher Anstieg ist auch in den ersten beiden Monaten des Jahres 2018 zu beobachten. Im Kontext der kurdischen Freiheitsbewegung wurden im Januar und Februar 50 neue Verfahren eröffnet. Die Bundesregierung machte diesen Anstieg an der gestiegenen Anzahl kurdischer politischer Flüchtlinge fest, die aufgrund des „Kriegs zwischen der PKK und dem türkischen Staat“ nach Deutschland gekommen seien. Die vor dem Erdoğan-Regime geflohenen Kurden werden in gewissem Sinne von Deutschland überwacht.

Zunahme der Repression mit dem Januar-Rundschreiben

Es lässt sich auch eine Gewalt der deutschen Polizei gegen kurdische Demonstranten beobachten, die den 1990er Jahren in nichts zurücksteht. Die Intoleranz der deutschen Polizei gegen Demonstrationen, auf denen Bilder der kurdischen Führungspersönlichkeit Abdullah Öcalan und Fahnen der PYD, YPG und YPJ getragen werden, dauert an. In einem Rundschreiben des deutschen Innenministeriums vom 2. März 2017 an die Länder wurde das Verbot einer Vielzahl kurdischer Parteien und Einrichtungen wie der PYD, YPG und YPJ gefordert.

Am 29. Januar 2018 wurde ein neues Rundschreiben des Innenministeriums veröffentlicht. In diesem sechsseitigen Schreiben, dessen Duktus der Handschrift von AKP-Beamten ähnelt, wird eine striktere Umsetzung des PKK-Verbots von den Ländern gefordert. In diesem Rundschreiben werden alle Symbole, Schriften und Slogans mit PKK-Bezug verboten. Auch die Verbannung Abdullah Öcalans aus der öffentlichen Wahrnehmung wird ausdrücklich formuliert. Nach diesen Rundschreiben nahmen die Operationen des politischen Vernichtungsfeldzuges gegen Kurden in Deutschland an Fahrt auf. Kundgebungen in Solidarität mit dem Widerstand in Efrîn und gegen die Verbrechen des türkischen Staates wurden verboten. Dieses Vorgehen war und ist mit der gelobten deutschen Rechtstaatlichkeit nicht konform. So war einer derjenigen, die diese Gesetzlosigkeit gegen die Kurden öffentlich scharf kritisierten, Gerhart Baum, der ehemalige Bundesminister des Innern (1978-1982). Der FDP-Politiker kritisierte das Rundschreiben des Innenminisierums vom 29. Januar 2018, mit dem ein Verbot von Versammlungen erlaubt wird, wenn ein Verdacht auf PKK-Propaganda besteht: „Das sind übereifrige Überinterpretationen des PKK-Verbots. Entweder man verbietet die Vereinigung der syrischen Kurden, dann wäre man konsequent. Das kann man aber nicht, weil es keinen Anlass dazu gibt. Dann kann man auch nicht Leute bestrafen, die dieses Symbol benutzen. (…) Das geht absolut zu weit. Wir haben ein weitgehendes, sehr weit gehendes Demonstrationsrecht in Deutschland. Selbst wenn von einer Demonstration Gewalt zu befürchten ist, muss sie genehmigt werden. (…) Von vorne herein zu sagen, wir unterstellen, dass das Verbot missachtet wird, das geht nicht. Das ist verfassungswidrig.“

Eine Auflistung der jüngsten „Operationen des politischen Genozids“:

Beschlagnahmung von kurdischen Büchern: Am 8. März wurde der Buchverlag Mesopotamien und Mir Multimedia von der deutschen Polizei durchsucht. Nach dreitätigen Durchsuchungen wurden mit mehreren Lastwagen die Bücher vom Buchverlag und die Musikalben, das Archiv und technisches Material von Mir Multimedia beschlagnahmt. Tausende Bücher, darunter das „Lehrbuch der kurdischen Sprache” sowie 4.500 Kassetten und CDs wurden von der Polizei beschlagnahmt.

Verfahren gegen Abgeordnete: Mit dem Vorwurf, eine Fotografie von Abdullah Öcalan auf dem Newroz-Fest am 17. März getragen zu haben, wurde gegen den Abgeordneten Dieter Dehm ein Verfahren eröffnet. Im selben Zeitraum wurde auch ein Verfahren gegen die Fraktionsvorsitzende der Linken in der Bürgerschaft, Cansu Özdemir, eingeleitet; mit dem Vorwurf eine PKK-Fahne auf Twitter geteilt zu haben.

Razzien gegen Kulturvereine: Während sich der türkische Außenminister Çavuşoğlu am 6. März auf dem Weg zum Besuch des ehemaligen Außenministers Gabriel nach Berlin befand, wurde der Startknopf für Razzien gegen kurdische Institutionen gedrückt. Als „Willkommensgeschenk“ für Çavuşoğlu wurden in Erfurt fünf Wohnungen von Mitgliedern des kurdischen Gesellschaftszentrums und das Büro der „Linksjugend solid” durchsucht. Dabei wurden Computer, Speichergeräte und Telefone beschlagnahmt.

Später wurden kurdische Vereine der Reihe nach von Razzien heimgesucht, nach der gleichen Vorgehensweise wie im Jahr 1993. Am 5. April wurde das Demokratische Gesellschaftszentrum in Hannover gestürmt. Dabei wurde eine Vielzahl von Bannern und Broschüren sowie Bilder gefallener Guerillakämpfer und Porträts von Abdullah Öcalan beschlagnahmt.

Am 13. Juni wurde der Verein NAV-DEM in Berlin durchsucht. Am selben Tag wurden auch die Türen des Vereins „Civaka Azad – Kurdisches Zentrums für Öffentlichkeitsarbeit e.V.“ zertrümmert und die Büroräume durchsucht. Während im Falle von NAV-DEM eine verbotene Solidaritätsveranstaltung mit Efrîn am 3. Dezember 2017 als Grund vorgeschoben wurde, fand die Durchsuchung bei Civaka Azad ohne Durchsuchungsbefehl statt und war somit verfassungswidrig.

Zuletzt wurde am 3. Juli das kurdische Gesellschaftszentrum in Bielefeld durchsucht. Die Polizei zertrümmerte Türen und durchsuchte die Räumlichkeiten vier Stunden lang. Auch hier wurden viele Bücher, Fotografien und Fahnen beschlagnahmt.

Repression gegen solidarische deutsche Kreise: Mit dem Beginn der Angriffe des türkischen Staates auf Efrîn solidarisierten sich verschiedene gesellschaftliche Kreise in Deutschland mit den Menschen in Efrîn. Selbst in Städten, in denen keine Kurden lebten, fanden Solidaritätsveranstaltungen statt. Der sächsische Verfassungsschutz hat in diesem Kontext einen Kurzreport veröffentlicht, in dem über Aktionen und Demonstrationen der deutschen Linken in Solidarität mit dem Widerstand in Efrîn berichtet wird. Der sächsische Verfassungsschutz scheint die Strahlkraft der demokratischen Strukturen in Rojava und Nordsyrien erkannt zu haben und macht auf Solidaritätsaktionen in Dresden, Leipzig, Görlitz, Bautzen und Chemnitz aufmerksam.

Die Polizei in Bayern hat es hingegen mehr auf Beiträge in den Sozialen Medien abgesehen. Dies geht so weit, dass die Sicherheitsbehörden in München in ihrem Jahresbeitrag Beiträge mit YPG/YPJ-Fahnen unter den politisch motivierten Straftaten nennen. Während die Zahl der Ermittlungsverfahren in diesem Kontext im Jahr 2016 noch 65 betrug, ist sie 2017 auf 114 gestiegen. 2018 dauert die Repression noch an.