„Keine Distanzierung von der PKK zu erkennen“

Bundesweit finden seit Wochen Demonstrationen gegen die türkische Invasion in Nordsyrien statt. Überall solidarisieren sich Menschen mit Rojava und zeigen dabei Fahnen der Verteidigungseinheiten YPG/YPJ – was immer wieder zu Problemen führt.

Landauf, landab finden Proteste gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Türkei gegen Rojava statt. Meist mit dabei die Symbole der YPG/YPJ und PYD. Und landauf, landab das leidige Problem: Nach der Ausweitung des seit 1993 geltenden Verbots der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sind seit Frühjahr 2017 unter anderem die Symbole der YPG/YPJ/PYD dann verboten, wenn durch sie ein „PKK-Bezug“ vermutet werden kann. Es wird unterstellt, die PKK bediene sich „ersatzweise“ dieser Zeichen. Regelmäßig streiten sich Demonstranten, Anmelder und Juristen über diesen „PKK-Bezug“. Alle – außer vielleicht die Staatsanwaltschaften – sind genervt von dem Beschluss des Bundesinnenministeriums.

ANF war neugierig, was die Demonstrant*innen von diesem Symbolverbot halten und hat sich in verschiedenen Städten umgehört.

Dilan O. / Hamburg

„Das ganze Gezerre um die Fahnen ist lächerlich. Menschen protestieren gegen einen Krieg mit den Fahnen der Kämpfer und Kämpferinnen, die das Volk verteidigen. Viele hier auf der Straße fürchten um das Leben ihrer Angehörigen und Freunde. Und jetzt müssen sie sich gefallen lassen, dass man sie mit dem deutschen Vereinsgesetz behelligt und ihnen Vorladungen ins Haus schickt, weil sie Flaggen zeigen? Das ist schäbig. Das ist der beste Weg, die Wut auf die deutsche Regierung weiter zu schüren und – nebenbei – der PKK weiteren Zulauf zu garantieren.“

Mesut U. / Nürnberg

„Unser Auto wurde vor Beginn der Demo durchsucht. Es hieß, die YPG-Fahnen dürften wir nicht zeigen. Der Einsatzleiter meinte wortwörtlich: ‚Auf den Fahnen ist keine Distanzierung von der PKK zu erkennen.‘ Wir waren zunächst sprachlos. Ich meine, wie stellt sich der Polizeibeamte eine Distanzierung auf den Fahnen vor? Sollen wir vielleicht auf jede Fahne ‚No-PKK‘ schreiben?“

Holger D. / Saarbrücken

„Die Zusammenarbeit Deutschlands und der Türkei hat eine lange, blutige Geschichte. Deutschland hat die türkische Kolonialpolitik immer unterstützt – mit Waffen, politisch, wirtschaftlich. Es sind gemeinsame imperialistische Interessen mit gemeinsamen Feinden. Da ist doch logisch, dass Deutschland die Freiheitsbewegung, die in der Türkei ihren Ursprung hat, nicht dulden kann. Ich glaube nicht, dass das PKK-Verbot und seine Ausweitungen darauf zurückzuführen sind, dass man Erdoğan einen Gefallen tun will. Der Freiheitskampf der PKK verkörpert das Gegenteil dessen, wofür die kapitalistische Moderne steht. Wäre ich ein Vertreter dieses Systems, ich würde sie auch verbieten wollen.“

Hatice S. / Frankfurt

„Manchmal ist es schon lustig, Polizisten zu beobachten, wie sie in ihren Unterlagen blättern und eifrig die kurdischen Symbole studieren. Welche Farbe hat der Stern? Ist das Dreieck nun gleichschenklig? Dieser Schnurrbart … ist der nicht von Abdullah Öcalan? Gut, dass die Freiheitsbewegung recht kreativ ist und ganz, ganz viele Symbole hat.“

Ferhat T. / Magdeburg

„Nazis laufen in Deutschland durch die Städte und zeigen den faschistischen Hitlergruß oder den Wolfsgruß und nichts passiert. Kaum zeigt man eine YPG-Fahne, wird man gefilmt, die Personalien werden aufgenommen und wenn man Pech hat, bekommt man eine Anzeige wegen des Zeigens verbotener Symbole. Solidarität mit dem Freiheitskampf ist nicht erwünscht, aber Nazi-Propaganda wird geduldet. Ich sage: Deutschland hat nichts gelernt aus seiner Vergangenheit.“

Ruken H. / Karlsruhe

„Ich würde den deutschen Politikern gern ins Gesicht sagen: Wie könnt ihr es wagen, unsere Fahnen zu verbieten? Ihr wollt nicht, dass wir uns ‚emotionalisieren‘? Wir sind es längst. Aber nicht wegen unserer Fahnen, die zu uns gehören. Wir sind emotional, weil wir sehen, wie Deutschland sich auf die Seite der Kriegsverbrecher stellt. Tausendmal haben wir ‚Dialog statt Isolation‘ gefordert. Wir waren im Hungerstreik, damit unser Repräsentant Abdullah Öcalan eine neue Friedensinitiative starten kann. Die deutsche Politik, die Medien, alle haben das ignoriert. Wir werden angegriffen und jetzt heißt es, wir sollen uns beruhigen? Es reicht. Ich bin froh darüber, dass ich wütend sein kann. Und ich werde unsere Flaggen zeigen, auch wenn es dem deutschen Staat nicht passt."

Thomas R. / Köln

„Der Bundesinnenminister hat es fertig gebracht, durch diese Erweiterung des PKK-Verbots nicht nur die kurdische Bewegung zu kriminalisieren, sondern ein Heer von Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern mit einem absurden Gefeilsche um Symbole zu beschäftigen. Statt sich dem Rechtsterrorismus in diesem Land zu widmen, von dem eine wirkliche Bedrohung ausgeht, wie wir immer wieder sehen, wird hier im wahrsten Wortsinn Symbolpolitik betrieben und der zweitgrößten Migranten-Community signalisiert: Eure politische Meinungsäußerung ist nicht erwünscht.“

Timo A. / Hannover

„Es wird ja immer überlegt, womit man Erdoğan treffen könnte. Wirtschaftssanktionen, Waffenexporte stoppen, Hermesbürgschaften aussetzen…. Das ist alles schön und gut. Das sollte schon auch gemacht werden. Aber ich bin mir sicher, am härtesten würde es ihn treffen, das PKK-Verbot zu kippen. Und den Reichstag in kurdischen Fahnen leuchten lassen aus Solidarität mit Rojava – das wäre ein Zeichen.“

Welat M. / Stuttgart

„Das Herumgeeiere mit den kurdischen Fahnen ist absurd. Die ‚Mutter‘ all dieser Verbote ist das Verbot der PKK Anfang der 90er. Seitdem hat sich diese Partei doch weiter entwickelt. Ihr Gründer, Abdullah Öcalan, hat ein Gesellschaftsmodell entwickelt, das Vorbild für ein Zusammenleben verschiedener Völker ist. Der demokratische Konföderalismus, wie er in Rojava gelebt und von den YPG und YPJ verteidigt wird, geht natürlich auf die PKK zurück. Ohne deren neue Paradigmen wie Abkehr vom Patriarchat und Frauenbefreiung, ökologisches Handeln und demokratische Organisierung der Kommunen in Räten, gäbe es die Revolution von Rojava nicht. Deshalb ist es doch Quatsch, wenn man versucht, bei der Beurteilung von Symbolen die Frage nach einem sogenannten ‚PKK-Bezug' aufzuwerfen. Es ist EINE Bewegung. Und die wurde nun mal vor fast einem halben Jahrhundert unter dem Namen PKK von den Leuten um Öcalan gegründet. Dieses Konstrukt, hier die ‚böse PKK‘, dort die Helden, die den IS besiegt und die Eziden gerettet haben, ist im Grunde genommen der Versuch einer Spaltung. Fragt doch mal die Leute in Raqqa, die ihren Sieg über den IS unter einer riesigen Fahne von Öcalan gefeiert haben, nach dem ‚PKK-Bezug'. Erklärt ihnen, warum in Deutschland sein Bild nicht zusammen mit einer YPG-Fahne gezeigt werden darf. Niemand würde das verstehen.“

Berfin E. / Berlin

„Fahnenverbot? Deutschland kann noch so viele Fahnen verbieten, die Symbole sind in unseren Köpfen und in unseren Herzen. Wir sagen: ‚PKK halktır, halk burada – die PKK ist das Volk und das Volk ist hier‘.“

Ridvan C. / München

„Ganz ehrlich, ich kenne kein Land, das uns Kurden gegenüber so feindselig ist wie Deutschland. Bist du Kurde, bist du Terrorist. Das ist in der Türkei so und hier auch. Meistens gehen wir jetzt raus mit unseren drei Farben grün/rot/gelb. Diese Fahnen haben sie noch nicht verboten. Aber wer weiß, vielleicht kommt das noch. Aber dann müssen sie neue Ampeln anschaffen, denn die haben auch unsere Farben.“

Lukas L. / Marburg

„Dieser ganze Kleinkrieg um die Fahnen ist doch Blödsinn. Lasst uns endlich Klartext reden. Es gibt nur eine Lösung: Weg mit dem Verbot der PKK! Dass die PKK eine der größten linken Organisationen in Deutschland ist, sollte jedem bekannt sein. Ein Vierteljahrhundert Kriminalisierung haben ihr nicht geschadet. Im Gegenteil. Ich finde es viel zu zaghaft, wenn Azadî, der Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden, jetzt fordert, die Ausweitung des Symbolverbots von 2017 nach dem Angriff auf Efrîn zurückzunehmen. Das ist zu wenig. Es geht um den Versuch, eine emanzipatorische Bewegung mundtot und unsichtbar zu machen durch Aushöhlung verfassungsmäßiger Grundrechte, durch Einschüchterung und Spaltungsversuche. Das probieren sie ja auch in der deutschen Linken. Dagegen müssen wir uns gemeinsam wehren. Bei den Protesten gegen die neuen Polizeiaufgabengesetze waren auch viele Kurdinnen und Kurden dabei. Ein gutes Zeichen! Und die großen Demos gegen das Verbot der PKK im letzten Herbst haben viele Menschen aus der deutschen Linken mitgetragen. Meiner Meinung nach müssen wir viel mehr zusammenarbeiten und eine internationalistische Front aufbauen gegen die Repression.“

Max R. / Leipzig

„Jetzt haben alle Angst, dass der ‚Kurdenkonflikt importiert‘ und auf deutschen Straßen ausgetragen wird. Antikriegsproteste werden von den Medien hingestellt, als würden es nur Kurden sein, die halt wieder mit ihren Fahnen durch die Stadt ziehen. Das hat einen rassistischen Unterton und verkennt, dass es mittlerweile eine große Bewegung ist, die die Rolle der Bundesregierung als Kriegspartei anprangert. Wir sind eine Bewegung, die über bloße Solidarität hinausgeht. Die Flaggen der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten sind auch für uns Nicht-Kurden ein Symbol des Freiheitskampfes geworden. Wir sind Internationalisten und fühlen uns verbunden mit den Kämpferinnen und Kämpfern der YPG und YPJ, der Guerilla in den Bergen und dem Widerstand in Europa. Wenn wir heute sagen ‚Riseup4Rojava‘, dann heißt das nicht nur ‚Solidarität mit Rojava‘. Es heißt, dass sich unsere Kämpfe für eine bessere Welt verbinden. Dafür gehen wir auf die Straße – mit allen Fahnen, die diesen Kampf symbolisieren.“