Kaya: Harter Kampf für Verurteilung von Bauverbrechern nötig

Der Anwalt Mehmet Kaya berichtet über die Verfahren gegen Bauunternehmer nach den verheerenden Erdbeben im Februar. Er kritisiert die Anklagen auf der Grundlage von Fahrlässigkeit und fordert Anklagen auf der Grundlage des Vorsatzes.

Bei den Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet im Februar sind allein in Nordkurdistan und der Türkei nach offiziellen Angaben weit über 50.000 Menschen ums Leben gekommen. Die realen Zahlen dürften noch höher liegen. Viele Menschen starben aufgrund der katastrophalen Baupolitik, welche die Errichtung von einsturzgefährdeten Gebäuden immer wieder nachträglich legalisierte. Mittlerweile wird einigen Bauunternehmern in der Türkei der Prozess gemacht.

Rechtsanwalt Mehmet Kaya von der Anwaltskammer Diyarbakir (ku. Amed) berichtet gegenüber ANF über die Anklagen und Verfahren. Er sagt, dass bei den Anklagen vor allem drei Artikel zum Tragen kommen: Verbrechen gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit sowie gegen das Baurecht.

Im Paragrafen zum Thema Baurecht heißt es: „Wer ein Gebäude ohne Baugenehmigung oder unter Verstoß gegen die Baugenehmigung errichtet oder errichten lässt, wird mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.“ Kaya betont, dass für diese Anklage Personen in Frage kommen, die Gebäude ohne Baugenehmigung der Gemeinde errichten oder gegen die Genehmigung verstoßen, sowie alle Beamten in der Inspektions-, Kontroll-, Unterschrifts- und Genehmigungsphase solcher Projekte.

Es geht hier um Vorsatz, nicht um Fahrlässigkeit“

Kaya sagt, dass die Todesfälle nach dem Erdbeben als Verbrechen gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit betrachtet werden, erklärt aber: „Wie werden die Todesopfer und die Verletzten juristisch geahndet? Das muss primär diskutiert werden. Die Verfahren, die bisher nach dem Erdbeben laufen, berufen sich auf einfache Fahrlässigkeit und vorsätzliche Fahrlässigkeit. Bei einfacher Fahrlässigkeit hat die Person die erforderliche Sorgfalt im Hinblick auf die Folgen vermissen lassen und hätte vorhersehen müssen, was passieren würde, bei bewusster Fahrlässigkeit hofft die Person, dass die von ihr vorhergesehenen Folgen aufgrund der Lage oder von Glück nicht eintreten werden, und nimmt damit die Folgen indirekt in Kauf. Bei wahrscheinlichem Vorsatz hingegen hat die Person das Ergebnis vorhergesehen, ist sich des möglichen Ergebnisses bewusst und akzeptiert das Ergebnis ihrer Handlung, es ist ihr einfach egal, was passiert. Das ist Vorsatz. Das, was hier passiert ist, liegt genau in diesem Rahmen.“

Kaya weist darauf hin, dass die Kriterien der Fahrlässigkeit und des Vorsatzes einen gravierenden Unterschied im Strafmaß darstellen. Wenn eine Straftat als fahrlässig bewertet wurde, werden die Täter nach Artikel 85 des türkischen Strafgesetzbuchs verurteilt. Darin heißt es: „Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe von zwei bis zu sechs Jahren bestraft. Führt die Tat den Tod mehrerer Personen oder die Verletzung einer oder mehrerer Personen zusammen mit dem Tod einer oder mehrerer Personen herbei, wird die Person mit Freiheitsstrafe von zwei Jahren bis zu fünfzehn Jahren bestraft.“ Kaya führt aus: „Wird die Straftat jedoch im Rahmen als unter ‚wahrscheinlichem Vorsatzes‘ begangen betrachtet, werden die Verantwortlichen wegen ‚vorsätzlicher Tötung‘ gemäß Artikel 81 mit lebenslanger Haft bestraft. So sollte es auch sein.“

Beweissicherung ist der Kern der Justiz“

Neben der laxen Urteilspraxis sei auch die Vorbereitung der Verfahren so schlecht, dass Bauunternehmen immer wieder unbestraft davon kommen, sagt Kaya und erinnert an das verheerende Erbeben von Izmit im August 1999, bei dem nach offiziellen Angaben mehr als 17.000 Menschen getötet und mehr als 43.000 verletzt wurden: „Warum wurden die Verantwortlichen für illegale oder irreguläre Bauten nach dem Erdbeben vom 17. August 1999 freigesprochen? Weil die Beweise unvollständig oder nachlässig gesammelt wurden. An einigen Orten wurden gar keine Beweise erhoben. Wenn wir uns die Fallakten ansehen, sehen wir, dass die Täter mit Begründungen wie ‚Es wurden keine Messungen an Beton, Stahl, Fundament usw. am Erdbebenort vorgenommen, es gab keine Fotos oder Videoaufnahmen der Gebäude nach dem Erdbeben, es gab keine Aufzeichnungen, aus denen hervorging, dass die Toten oder Verletzten aus dem Gebäude gebracht wurden‘, freigesprochen wurden.

Die Spuren am Erdbebenort sind für die Vorermittlungen sehr wichtig, um sicherzustellen, dass die Straftat eingeordnet und die Täter festgenommen und strafrechtlich verfolgt werden können. Das ist entscheidend für den Gerichtsprozess, damit darin das Geschehen auf der Grundlage dieser Daten beleuchtet wird und die Täter bestraft werden. Wenn nicht festgestellt wird, wer in welchem Gebäude gegenüber welchem Opfer welche Straftat begangen hat, wird es im Prozess Probleme geben. Der Ort jedes Todesfalls und jeder Verletzung, die Berichte über den Vorfall und die Autopsieberichte müssen separat erfasst werden. Auch die Papiere der Gebäude, in denen die Todesfälle und Verletzungen aufgetreten sind, müssen gesammelt werden. Es sollte gesondert festgestellt werden, was die verantwortlichen Beamten im Verfahren der Bauüberwachung, Kontrolle, Unterzeichnung und Genehmigung getan haben und ob ihr Verhalten und das derjenigen, die das Gebäude gebaut haben oder bauen ließen, rechtswidrig war.“

Mit einem harten juristischen Kampf sind Verurteilungen möglich“

Kaya warnt, dass die Täter bereits nach dem Erdbeben von 1999 de facto nicht bestraft worden seien, da nicht die richtige Grundlage für Verfahren geschaffen wurde. Daher sei heute ein starker juristischer Kampf nötig: „Die während des Erdbebens vom 17. August 1999 begangenen Straftaten wurden als fahrlässige Körperverletzung und Tötung von der Justiz geahndet. Daher waren die meisten Fälle bereits verjährt. Obwohl in einigen wenigen Fällen Urteile verhängt wurden, kehrten die Täter nach kurzer Zeit durch Änderungen der Strafvollzugsgesetze und Strafmilderungen in ihr Leben zurück. Die Gesellschaft konnte in dieser Zeit keinen starken und kollektiven Willen für einen juristischen Kampf aufbringen. Es wurden ein paar Schauprozesse abgehalten, um die von Zeit zu Zeit erhobenen Klagen zum Schweigen zu bringen. Im Rahmen der jüngsten Erdbeben werden Tausende von Ermittlungs- und Strafverfahren eingeleitet werden müssen, wenn die Justizbehörden das Gesetz vollständig durchsetzen wollen.

Aber vor allem die Regierung wird nicht zulassen wollen, dass diese Ermittlungen ordnungsgemäß durchgeführt werden, und Druck auf die Justiz ausüben, um die strafrechtliche Verfolgung ihrer eigenen Bürokraten, Bürgermeister und sogar Bauunternehmer zu verhindern. Letzten Endes werden vielleicht einige wenige Personen verhaftet oder bestraft werden, um die gesellschaftlichen Proteste zum Verstummen zu bringen. Um dies zu verhindern, muss die Gesellschaft Entschlossenheit beweisen.“