Jean Ziegler, stellvertretender Vorsitzender des beratenden Ausschusses des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen, hat sich zusammen mit Schweizer Abgeordneten verschiedener Parteien in Sorge um die in Şengal im Nordirak festgenommenen Journalist:innen Marlene F. und Matej K. mit einem Brief an die konsularische Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Bagdad gewandt. Darin bitten sie die deutsche Botschaft, sie über die Situation der verhafteten Journalist:innen zu informieren und sich für ihre schnellstmögliche Freilassung einzusetzen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte garantiere jedem Menschen das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung sowie das Recht auf Presse- und Informationsfreiheit. Diese Rechte seien von größter Bedeutung, und unter keinen Umständen dürften Journalist:innen inhaftiert werden, so Jean Ziegler und die Schweizer Abgeordneten, die zudem auf die besondere Situation in der ezidischen Region Şengal nach dem IS-Genozid von 2014 hinweisen.
Der Soziologe Jean Ziegler saß lange für die Sozialdemokraten im Schweizer Parlament und setzte sich in verschiedenen UN-Gremien für humanitäre Hilfe ein. Bekannt ist Ziegler vor allem als Autor zahlreicher Bücher, in denen er die geheimen Konten der Schweizer Banken sowie den Hunger in der Dritten Welt anprangert.
„Journalist:innen dürfen nicht inhaftiert werden“
In dem Brief an die deutsche Botschaft in Bagdad heißt es: „Wir, die Unterzeichnenden, wenden uns an Sie, um uns über die Situation der beiden Journalisten Marlene F. und Matej K. - deutsche bzw. slowenische Staatsbürger - zu erkundigen, die am vergangenen Mittwoch, dem 20. April 2022, von der irakischen Armee in der jesidischen Stadt Sinjar im Nordirak festgenommen wurden.
Wir sind darüber informiert worden:
- Dass eine Person aus Ihrem Konsulat bereits in Kontakt mit den irakischen Behörden bezüglich dieses Falles steht.
- Aber es scheint, dass Sie bis jetzt keinen Kontakt zu Marlene und Matej hatten.
- Wir wissen auch, dass weder ihre Angehörigen noch ihr Rechtsbeistand in der Lage waren, mit ihnen Kontakt aufzunehmen.
- Schließlich scheint auch ihr genauer Aufenthaltsort noch nicht festzustehen oder zumindest nicht öffentlich bekannt zu sein.
Nach Aussagen von Zeug:innen, die zum Zeitpunkt der Verhaftung anwesend waren, wurden die beiden Journalist:innen ohne Angabe von Gründen verhaftet. Es scheint auch, dass ihre Telefone und ihre gesamte Ausrüstung beschlagnahmt und dass sie gegen ihren Willen einer Leibesvisitation unterzogen und von den Soldaten bedroht wurden.
Als Persönlichkeiten und Politiker:innen, die sich mit jesidischen und kurdischen Fragen im Irak und im Nahen Osten befasst haben und über die jüngsten politischen Entwicklungen in der Region informiert sind (Angriffe der türkischen Armee auf kurdische Gebiete im Norden des Landes, Konfrontationen zwischen der irakischen Armee und den jesidischen Verteidigungskräften von Sinjar ...), sind wir besonders besorgt über die Situation von Marlene und Matej und müssen wissen, dass sie in Sicherheit sind.
Darüber hinaus bitten wir Sie aber auch, sich für ihre schnellstmögliche Freilassung einzusetzen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte garantiert jedem Menschen das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung sowie das Recht auf Presse- und Informationsfreiheit. Diese Rechte sind von größter Bedeutung, und unter keinen Umständen dürfen Journalist:innen inhaftiert werden. Darüber hinaus recherchierten Marlene und Matej über die mehr als prekäre Lage der Jesiden im Irak. Es geht also auch um den Schutz der jesidischen Bevölkerung in der Region. Marlene und Matej setzen sich mit ihrer Arbeit für die Anerkennung der Rechte der Jesid:innen ein und engagieren sich für die Einhaltung der Menschenrechte in der Region. Durch ihre Arbeit fördern sie somit den Frieden zwischen den Völkern.
Aus all diesen Gründen bitten wir Sie:
1. Übermitteln Sie uns Nachrichten über die Situation von Marlene und Matej und versichern Sie uns, dass es ihnen gut geht.
2. Alles zu tun, damit ihre Anwälte und Verwandten Kontakt mit ihnen aufnehmen können.
3. Sich für ihre schnelle und vollständige Freilassung einzusetzen.“
Die Unterzeichnenden
Stéfanie Prezioso, Mitglied des Schweizer Nationalrats (SolidaritéS)
Jean Ziegler, Stellvertretender Vorsitzender des Beratenden Ausschusses des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen
Carlo Sommaruga, Mitglied des Schweizer Ständerats (SP)
Nicolas Walder, Mitglied des Schweizer Nationalrats (Grüne)
Pierre Vanek, ehemaliger Nationalrat, derzeit Mitglied des Genfer Stadtparlaments (SolidaritéS)
Jean Batou, Mitglied des Genfer Stadtparlaments (SolidaritéS)
Jean Burgermeister, Mitglied des Genfer Stadtparlaments (Ensemble à Gauche)