In der türkischen Metropole Istanbul hat Sonntagmorgen die Wiederholung der Bürgermeisterwahl begonnen. Am 31. März hatte Ekrem İmamoğlu, Kandidat der republikanischen Partei CHP, die Wahl gegen den ehemaligen türkischen Ministerpräsident Binali Yıldırım mit einem Vorsprung von knapp 14.000 Stimmen gewonnen. Die regierende AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan ordnete jedoch wegen angeblicher Regelwidrigkeiten eine Wiederholung der Wahl an.
Die international mit Spannung erwartete Neuwahl in Istanbul ist bisher im Vergleich zum 31. März weitgehend geordnet verlaufen. Das bestätigten Wahlbeobachter*innen an den Urnen, unter ihnen die Grünen-Abgeordnete Margit Stumpp. Wie erwartet, hat es allerdings in einzelnen Wahllokalen Unregelmäßigkeiten und Manipulationsversuche gegeben. So tauchten im Bezirk Beşiktaş vorgefertigte Stimmzettel auf, in Ümraniye forderten AKP-Anhänger Listen mit den Namen von Personen, die nicht an der Wahl teilgenommen haben. Die beiden Ko-Vorsitzenden der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Pervin Buldan und Sezai Temelli, waren bereits an der Wahlurne. Buldan stimmte in Begleitung von Mitgliedern aus dem HDP-Exekutivrat sowie ihrer Fraktionskollegin Züleyha Gülüm und den Friedensmüttern in Florya im Bezirk Bakirköy ab. Nach der Abstimmung erklärte die kurdische Politikerin, sie hoffe, dass die Kommunalwahl in Istanbul der Zukunft der gesamten Türkei zugute kommt. „Ich hoffe, dass jede Stimme, die heute abgegeben wird, nicht nur das Schicksal Istanbuls, sondern das des Landes verändern wird. Wir haben immer unsere Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass Wahlen alles verändern können. Mit diesem Glauben habe ich heute meine Stimme abgegeben. Ich hätte es allerdings vorgezogen, dass das Ergebnis der Wahl vom 31. März von allen angenommen und anerkannt worden wäre. Ich vertraue darauf, dass Demokratie, Frieden, Geschwisterlichkeit und Freiheit aus der wiederholten Wahl hervorgehen werden.“
Auch der Ko-Vorsitzende Sezai Temelli ging in Bakirköy an die Urne. Er stimmte in Yeşilli ab und kündigte an, dass seine Partei am „dritten Weg“ festhalten wird. Dieser ‚dritte Weg‘, wie ihn die HDP repräsentiert, ist der Weg der Demokratie, des Friedens. Es ist der Weg, auf dem sich alle Teile der Gesellschaft auf einer gemeinsamen Basis der Demokratie treffen. „Die Türkei durchläuft eine ernstzunehmende Phase totaler Gesetzlosigkeit und Ungerechtigkeit. Noch bis vor kurzer Zeit war das gesamte Land buchstäblich isoliert. Wir standen einem System gegenüber, das den monistischen Ausnahmezustand des autoritären Regimes als Normalzustand der Türkei zu legitimieren versuchte. Bei der Wahl am 31. März haben wir unseren Einwand dagegen geäußert. Als HDP haben wir eine Strategie vorgestellt, um einen neuen Weg zu beschreiten. Natürlich durchliefen wir vor dem 31. März eine Phase voller Rechtswidrigkeiten, die auch jetzt anhält. Dafür ist nicht nur die Regierung, sondern ebenso die Wahlbehörde YSK verantwortlich. Trotz ganz offensichtlicher Regelverstöße, Manipulationen und Unregelmäßigkeiten in Städten wie Muş, Malazgirt, Viranşehir oder Şırnak wurden die Wahlen dort nicht wiederholt. Stattdessen ist das legitime Wahlergebnis in Istanbul für nichtig erklärt worden und den Menschen wurde ein weiteres Mal auferlegt, zur Urne zu gehen. Die Regierung beabsichtigt, durch solche rechtswidrigen Methoden den Sieg in Istanbul für sich zu beanspruchen. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass die Bewohnerinnen und Bewohner dieser Stadt der Regierung erneut einen Denkzettel verpassen werden.“
Temelli unterstrich, dass die Wahl in Istanbul einen Kampf für Gerechtigkeit und Demokratie darstellt, der Schulter an Schulter ausgetragen werden müsse. „Aus diesem Grund haben wir unsere Strategie vom 31. März beibehalten und werden sie weiterhin verteidigen.“