Istanbul: Operation gegen CHP-geführte Bezirksverwaltungen

Die Generalstaatsanwaltschaft Istanbul hat zu einem weiteren Schlag gegen CHP-geführte Bezirksverwaltungen ausgeholt. Als Grundlage dient allerdings der kriminalisierungs- und stigmatisierungserfahrene HDK.

Stellvertretende Bürgermeister festgenommen

In Istanbul sind zehn Personen festgenommen worden, darunter zwei stellvertretende Bürgermeister und sieben Bezirksverordnete der Oppositionspartei CHP. Die Anweisung dazu kam von der Istanbuler Generalstaatsanwaltschaft. Was diese den Festgenommenen konkret zur Last legt, ist unklar, da die Ermittlungsakte einer Geheimhaltungsklausel unterliegt und gegen die Betroffenen ein 24-stündiges Anwaltsverbot verhängt wurde. In einer kurzen Mitteilung der Staatsanwaltschaft hieß es lediglich, das Verfahren richte sich gegen vermeintliche Mitglieder des HDK und sei eingeleitet worden, um „terroristische Aktivitäten des Konsensprinzips zu dechiffrieren“. Betroffen von dem Vorgehen sind unter anderem die stellvertretenden Bürgermeister von Ataşehir und Kartal. Oberbürgermeister Ekrem Imamoğlu (CHP) verurteilte die Operation gegen seine Parteimitglieder als politisch motiviert. Nach den Kommunalwahlen im März, in der die CHP einen überraschenden Erfolg eingefahren hatte, habe man diese Menschen „aus irgendeinem Grund plötzlich zu »Terroristen« erklärt“, so Imamoğlu.

Der HDK – Demokratischer Kongress der Völker – wurde 2011 als Organisationsgremium hunderter politischer Parteien, Gruppen und Einzelpersonen gegründet, aus dem ein Jahr später die Demokratische Partei der Völker (HDP) hervorging. Der Dachverband ist nicht als Partei aufgestellt, sondern hat eine Rätestruktur als Ausgangspunkt, durch die eine neue Form des Widerstandes entwickelt werden konnte, die den kurdischen Befreiungskampf mit dem Kampf linker, sozialistischer und feministischer Gruppen sowie der Ökologiebewegung in der Türkei vereint hat. Die Beschlüsse dieses Rates – etwa das Prinzip der demokratischen Selbstverwaltung, die Geschlechterparität, die Vertretung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intersexuellen und queeren Menschen (LGBTIQ), Basisdemokratie und Rätestrukturen als Organisationsform – sind für die HDP beziehungsweise ihre Nachfolgerin DEM bindend.

Bei der Kommunalwahl 2024 verzichtete die DEM in einigen westtürkischen Provinzen und Städten auf Grundlage eines vom HDP angestoßenen urbanen Konsenses in der Kommunalpolitik auf eigene Kandidierende zugunsten der CHP. Das nehmen die türkischen Justizbehörden nun offenbar zum Anlass, nach den Absetzungen mehrerer Bürgermeister der Partei in Istanbul und Dersim weitere Stadtverwaltungen der Kontrolle der Partei zu entzuziehen. Der HDK reagierte bestürzt auf die Festnahmen in Istanbul und warnte vor einer „Kriminalisierung des Konzepts ‚Urbaner Konsens‘“. „Die Generalstaatsanwaltschaft, die ihren eigenen unabhängigen Charakter ignoriert und den Willen der Völker um des Überlebens der politischen Macht willen kriminalisiert, schafft hier einen äußerst gefährlichen Boden“, erklärte der HDK in einer Mitteilung. Kritisiert wurde auch die andauernde Kriminalisierung des Gremiums selbst. Der HDK agiert in der Türkei als eingetragener Verein und ist legal. Dennoch wird die in Istanbul ansässige Organisation, deren Leitsatz „Demokratische Republik und gemeinsame Heimat“ lautet, von einigen Ordnungs- und Justizbehörden als „PKK-Struktur“ behandelt.