Das geistliche und politische Oberhaupt des iranischen Regimes, Ayatollah Ali Chamenei, hat die Gewalt der Basidschmilizen gegen Demonstrierende gewürdigt. „Sie haben ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um die Bevölkerung vor Randalierern zu schützen“, sagte Chamenei am Samstag in einer Fernsehansprache. Die als inoffizielle Hilfspolizei eingesetzte paramilitärische Miliz geht besonders brutal gegen die Protestbewegung vor.
Angesichts der Demonstrationen hat Chamenei die Bevölkerung davor gewarnt, sich aus dem Ausland durch Propaganda verführen zu lassen. „Die wichtigste Methode des Feindes ist heute Fälschung und Lüge“, sagte der Greis, der auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, vor Basidschi: „Die Fernsehsender, die Sie kennen und sehen, gehören dem Feind, der versucht, die Gehirne zu beherrschen.“ Das sei viel wertvoller als die Beherrschung von Gebieten, so Chamenei. Ausdrücklich nannte er die USA. Präsident Ebrahim Raisi kündigte indes bei einem anderen Treffen mit Milizen an, dass die Anstrengungen zur „Verteidigung des islamischen Systems“ verdoppelt werden müssten. „Die Basidschi leisten gute Arbeit bei der Konfrontation mit den Randalierern“, lobte Raisi.
HRANA: Bisher mindestens 445 Demonstrierende getötet
Seit mehr als zwei Monaten demonstrieren in Iran Zehntausende gegen die autoritäre Politik des Regimes in Teheran und fordern einen Systemwechsel. Polizei und Militär gehen mit aller Härte vor. Nach Einschätzungen der Organisation Human Rights Activists News Agency (HRANA) mit Sitz in den USA sind bislang mindestens 445 Demonstrierende getötet worden, unter ihnen 63 Kinder. Die Basidsch-Milizen spielen dabei eine wesentliche Rolle. Mehr als 18.000 Menschen seien zudem festgenommen worden.
Die in London ansässige Menschenrechtsorganisation Baloch Activists Campaign (BAC) zählte allein am Freitag bei Protesten im Südosten des Landes „Dutzende Tote und Verletzte“. Sicherheitskräfte eröffneten demnach in Zahedan, der Provinzhauptstadt Sistan-Belutschistans, nach dem Freitagsgebet das Feuer auf Demonstrierende. Auch in den Städten Iranschar, Chasch und Sarawan gingen viele Menschen auf die Straße. Iranische Revolutionsgardisten setzten Maschinengewehre ein, um die Proteste niederzuschlagen.
Fotografiert in der kurdischen Stadt Pîranşar: „Die Soldaten von Hadschi Qasem kommen; wartet auf uns“ – Mit Hadschi Qasem ist Qasem Soleimani (auch Ghassem Soleimani) gemeint. Er war Kommandeur der Quds-Einheit, einer Unterabteilung der Revolutionsgarde, die Spezialeinsätze außerhalb Irans durchführt. Anfang 2020 wurde er bei einem US-Drohnenangriff im Irak getötet. | Bildquelle: Menschenrechtsorganisation Hengaw
Zuvor hatten Aktivist:innen zu landesweiten Solidaritätskundgebungen mit Kurdistan aufgerufen. „Kurdistan, Kurdistan, wir unterstützen dich“ und „Kurden und Belutschen sind Geschwister, die nach dem Blut des Führers dürsten“, skandierten die Protestierenden in Zahedan, wie Videos zeigten. Ostkurdistan und Sistan-Belutschistan haben seit Beginn der Proteste die meisten Opfer gezählt. In den kurdischen Regionen des iranischen Staates herrscht seit Tagen Ausnahmezustand, die Revolutionsgarde führt einen Krieg gegen die Bevölkerung. Seit Donnerstag läuft dort zudem wieder ein Generalstreik.
Revolutionsgarde: Verteidiger des politischen Systems
Die iranische Revolutionsgarde wurde 1979 per Dekret von Revolutionsführer Ruhollah Chomeini gegründet und gilt als Garant des politischen Systems. Die „Armee der Wächter der Islamischen Revolution“, wie der komplette Name lautet, zählt heute etwa 190.000 Mitglieder. Formell sind sie Teil der iranischen Streitkräfte, faktisch agieren sie aber unabhängig von Militär und Staat in ihren eigenen Strukturen. Die Basidschmilizen sind organisatorisch eine Abteilung der iranischen Revolutionsgarde.
Regime verstärkt Truppenpräsenz an Grenze zu Südkurdistan
Derweil wird aus der Kurdistan-Region Irak (KRI) berichtet, dass Iran seine Truppenpräsenz an der Grenze massiv aufgestockt hat. Den zweiten Tag in Folge werden zusätzliche Spezialkräfte und gepanzerte Einheiten nach Ostkurdistan (West- und Nordwestiran) verlegt. In Online-Netzwerken sind von Aktivistinnen und Aktivisten geteilte Videos von Truppenbewegungen mit Panzern auf dem Weg in die Grenzregion zu sehen. Das Kommando der Bodentruppen der Revolutionsgarden teilte am Freitag mit, dass damit „das Eindringen von Terroristen“ verhindert werden solle.
Iranische Angriffe auf ostkurdische Oppositionsparteien in KRI
In den vergangenen Wochen hatten die Revolutionsgarden immer wieder mit Raketen und Kamikazedrohnen in der KRI ansässige Oppositionsparteien aus Ostkurdistan angegriffen. Das iranische Regime begründet die Angriffe mit der Unterstützung dieser Gruppen für den Volksaufstand im Land, der Mitte September durch den gewaltsamen Tod der 22-jährigen Kurdin Jina Mahsa Amini in Gewahrsam der iranischen „Moralpolizei“ ausgelöst wurde. Im Grenzgebiet unterhalten Organisationen wie die PDK-I, Komala und PAK ihre Basislager und zivile Einrichtungen wie Schulen und Altenheime, wo sie Geflüchtete versorgen. Beobachter:innen sehen in den Angriffen aber auch ein innenpolitisches Kalkül, von der Aufstandsbewegung abzulenken.