Imrali-Delegation veröffentlicht Handlungsempfehlungen

Die internationale Imrali-Friedensdelegation hat den vollständigen Bericht zu ihrer Fact Finding Mission in der Türkei veröffentlicht. In dem Bericht enthalten sind Handlungsempfehlungen für eine Demokratisierung der Türkei.

Die Türkei-Reise der „Internationalen Friedensdelegation nach Imrali“ ist in diesem Jahr Pandemie-bedingt ausgefallen. Stattdessen fand eine zweitägige virtuelle Fact Finding Mission statt. Das Ziel der Delegation ist es, die Wiederaufnahme des 2015 abrupt beendeten Friedensprozesses zwischen der türkischen Regierung und der kurdischen Bewegung zu unterstützen. Die Delegation setzt sich aus international bekannten Akademiker*innen zusammen, darunter Baronin Christine Blower, Ögmundur Jónasson und Dr. Thomas Jeffrey Miley.

Als „absolute Vorbedingung“ für die Wiederaufnahme dieses Prozesses sieht die Delegation das Ende der Isolation von Abdullah Öcalan auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali. Das wurde bereits in dem im Februar veröffentlichten Vorabbericht zu dem virtuellen Türkei-Besuch hervorgehoben, in dessen Rahmen mit Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften, Anwaltsvereinigungen, Solidaritätsvereinen für politische Gefangene, verschiedenen politischen Parteien aus Nordkurdistan und der Türkei und dem Istanbuler Rechtsbüro Asrin, das Öcalan seit seiner Verschleppung in die Türkei vor 22 Jahren juristisch vertritt, gesprochen wurde.

Inzwischen hat die Friedensdelegation den vollständigen Bericht veröffentlicht. Darin wird betont: „Die internationale Gemeinschaft steht inzwischen größtenteils schweigend daneben. Und Schweigen ist Mittäterschaft. Das Komitee zur Verhütung von Folter (CPT) besuchte die Insel Imrali im Mai 2019 und veröffentlichte im August 2020 einen Bericht, in dem es die türkischen Behörden aufforderte, das Haftregime für Gefangene, die in türkischen Gefängnissen zu schwerer lebenslänglicher Haft verurteilt wurden, vollständig zu überarbeiten. Die türkischen Behörden sind nicht nur nicht auf die Forderung des CPT eingegangen, sondern haben in der Folge das Isolationsregime verschärft und den Kontakt von Herrn Öcalan zur Außenwelt weiter eingeschränkt. Seit dem 27. April 2020 hat es keinerlei Kontakt mehr zu Abdullah Öcalan gegeben. Und dennoch hat das CPT bei seinem letzten Besuch in der Türkei im Januar 2021 unerklärlicherweise weder auf einem weiteren Besuch auf Imrali bestanden noch irgendwelche Anzeichen von Empörung darüber gezeigt, dass seine Empfehlungen so verächtlich ignoriert wurden.“

Handlungsempfehlungen der Imrali-Delegation

Die Delegation spricht folgende Handlungsempfehlungen aus:

(1) Es ist wichtig, dass weiterhin Druck auf den türkischen Staat ausgeübt wird, um die Isolation von Abdullah Öcalan zu beenden. Es sollte Druck auf internationale Menschenrechtsmechanismen ausgeübt werden, insbesondere auf die des Europarates. Das Komitee zur Verhütung von Folter (CPT) sollte dazu gedrängt werden, seine Ermittlungsmöglichkeiten im Fall Imrali voll auszuschöpfen.

(2) Die internationale Gemeinschaft, Institutionen und Regierungen sollten ermutigt werden, gegen Öcalans Isolation und gegen das Isolationssystem, das auf die gesamte türkische Gesellschaft übergegriffen hat und massive Menschenrechtsverletzungen seitens der türkischen Regierung nach sich zieht, zu intervenieren.

(3) Es muss an internationale NGOs wie Amnesty International und Human Rights Watch appelliert werden, sofort gegen die Isolation Öcalans und die allgemeine Situation in der Türkei vorzugehen.

(4) Die Solidarität unter den Gewerkschaften muss international ausgebaut werden.

(5) Soziale Bewegungen in der ganzen Welt sollten ermutigt werden, Solidaritätsbeziehungen mit der kurdischen Freiheitsbewegung und anderen Oppositionsgruppen in der Türkei zu knüpfen. Internationale Frauenbewegungen sollten ermutigt werden, ihre Solidarität mit der kurdischen Frauenbewegung in Form von schriftlichen Erklärungen, Videobotschaften und Besuchen in der Türkei auszudrücken.

(6) Internationale Frauenorganisationen sollten den Europarat auffordern, die Situation in Bezug auf Gewalt gegen Frauen in der Türkei sorgfältig zu beobachten und Druck auf die türkische Regierung auszuüben, damit diese die Istanbuler Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die vom Europarat im Mai 2011 herausgegeben und von der Türkei unterzeichnet wurde, respektiert.

(7) Anwältinnen und Anwälte aus aller Welt sollten ermutigt werden, bei internationalen Gremien Appelle zur Situation einzureichen und die Unrechtmäßigkeit der Isolationspolitik und die Behandlung der kurdischen Bevölkerung zu verurteilen, um Druck auf den türkischen Staat auszuüben.

(8) Es sollten große Anstrengungen unternommen werden, um das weltweite Bewusstsein für die Situation in der Türkei zu erhöhen.

(9) Die Bevölkerung auf der ganzen Welt sollte ermutigt werden, aktiv zu werden.

(10) Es sollten mehr Delegationen organisiert werden, die die Türkei und die Region Kurdistan besuchen, bestehend aus allen möglichen Personen, einschließlich Politikern, Akademikern, Personen des öffentlichen Lebens und Gewerkschaftsmitgliedern.