„Ich glaube an die Idee des friedlichen Zusammenlebens“

„Selten haben wir einen Menschen erlebt, der das, was er sagte, so glaubwürdig verkörpert und gelebt hat“, erklärt die Volksbühne Basel zum Tod von Merwan Bedel.

„Wir sind sehr betroffen, traurig und wütend über die Ermordung von Merwan Bedel, auch Dijwar genannt“, erklärt die Volksbühne Basel mit dem Ensemble des Stückes „Shengal die Kraft der Frauen“ zum Tod von Merwan Bedel. Der Ko-Vorsitzende des Exekutivrats der Selbstverwaltung von Şengal ist am 7. Dezember von einer türkischen Killerdrohne gezielt ermordet worden. Er saß mit zwei seiner vier Kinder im Auto, als die Drohne ihn traf. Seine Kinder überlebten.

In dem Communiqué der Volksbühne heißt es weiter:

Als wir Anfang 2018 das erste Mal nach Shengal fuhren, hatte Merwan Bedel uns empfangen und uns den Zugang zur ezidischen Bevölkerung im Shengal ermöglicht. Seither haben wir ihn immer wieder getroffen und er nahm in unserem Theaterstück „Shengal die Kraft der Frauen" einen wesentlichen Part ein. Wir waren beeindruckt von seinem tiefen Humanismus, seiner Ernsthaftigkeit und Besonnenheit. Selten haben wir einen Menschen erlebt, der das, was er sagte, so glaubwürdig verkörpert und gelebt hat.

Der größte Wert, den wir besitzen ist ,Mensch zu sein’. Das kann man nicht kaufen und mit keinem Gold der Welt aufwiegen. Das Leben, die Sprache , unsere Gedanken, ein Bewusstsein zu entwickeln, sind die höchsten Güter. Das Gewissen ist die Stärke des Menschen und das muss geschützt, entwickelt und gestärkt werden – das gilt immer, egal, wo wir sind! (Alles Kursive sind Zitate von Merwan Bedel)


Dijwar ist Ezide – er wuchs im Shengal auf und als der IS (sog. Islamischer Staat) den Shengal am 3. August 2014 angriff mit dem Ziel, die ezidische Glaubensgemeinschaft zu vernichten, war er einer der Ersten, der sich der Selbstverteidigung anschloss. Er half wesentlich beim Aufbau der ezidischen Selbstverteidigung YBŞ mit, wechselte später in die Diplomatie, führte viele Gespräche mit den verschiedenen Kräften der Region und mit irakischen Vertreten und wurde vor einigen Monaten zum Ko-Vorsitzenden des Exekutivausschusses des Autonomierats Şengal gewählt. Sich dafür einzusetzen, dass die aus dem Shengal geflüchtete Bevölkerung zurückkehren kann, war ihm ein besonderes Anliegen. Von der ezidischen Gemeinschaft wurde ihm ein grosses Vertrauen entgegengebracht, denn er liess sich trotz der permanenten Bedrohung nicht einschüchtern, sondern setzte sich mit ganzer Kraft für ein würdiges und selbstbestimmtes Leben der Menschen ein.

Aber wir möchten eine Zukunft, in der die Unterschiedlichkeit der Kulturen, Glaubensrichtungen und Menschen – wie es der gesamten Region des Mittleren Ostens entspricht – zum Ausgangspunkt einer Lösung gemacht wird. Daran orientieren wir uns.


Seit einigen Jahren bringt die Türkei gezielt jene Menschen im Shengal um, die für den Friedensprozess in der Region von entscheidender Bedeutung sind. Menschen, die über viel Erfahrung verfügen, denen die Bevölkerung grosses Vertrauen entgegenbringt und die von den unterschiedlichen Kräften in der Region geachtet werden, wie Seîd Hesen , Zekî Şengalî (Ismail Özden), Zerdeşt Şengalî und jetzt Merwan Bedel. Die Türkei dringt bei den Angriffen etwa 200 Kilometer in den irakischen Luftraum ein. Vor einigen Monaten wurde so ein Krankenhaus im Shengal bombadiert, dabei kamen acht Menschen ums Leben. Der Irak schweigt dazu.

Die Türkei und ihre Verbündeten möchten mit ihrer aggressiven Politik das vollziehen, was der IS im August 2014 begonnen hatte – die Vernichtung der ezidischen Glaubensgemeinschaft im Shengal. Es geht ihr um die Destabilisierung der gesamten Region, um dadurch einen nachhaltigen und demokratischen Wiederaufbau zu verhindern.

Der Grund Shengal zu schützen ist auch, unsere Quelle, unsere Wurzel zu schützen. Denn wenn es für die ezidische Bevölkerung den Shengal nicht mehr gibt, wird es auch in einigen Generationen kein Ezidentum mehr geben. Die Herausforderung für Shengal ist, dass es von keiner offiziellen Seite eine Garantie für das Zurückkehren der Bevölkerung gibt.


Wie kann es angehen, dass die Verantwortlichen in Europa stillschweigend zusehen und schweigen? Was für eine Verlogenheit, was für ein Hohn von Demokratie zu sprechen, von Menschenrechten und Frieden – wenn jene, die verantwortlich sind für Elend, Vertreibung, Tod und die Verwüstung ganzer Regionen, ökonomisch, politisch und militärisch unterstützt werden! Und jene, die sich für ein Leben und eine Zukunft einsetzen, deren Grundlagen das gemeinsame gleichberechtigte Leben von Mann und Frau, der verschiedene Religionen und Ethnien ist, zum Angriffsziel für Verfolgung und Vernichtung erklärt werden?

Ich wollte für mein eigenes Volk einstehen; wir müssen lernen, für uns einzustehen, denn wenn du das anderen Mächten überlässt, dann können diese dich wieder im Stich lassen, dich benutzen, dann kann auch der IS wiederkommen. Wir müssen dafür sorgen, dass es nicht nochmals einen Ferman (Genozid) gibt. Dafür müssen wir uns einsetzen, darauf ausgerichtet müssen wir die Entwicklung in die Hand nehmen. Wir müssen uns selbst organisieren, uns selbst verteidigen können. Und wir müssen so verantwortungsvoll handeln, dass wir damit anderen keinen Schaden zufügen.


Wir sprechen der Familie von Merwan Bedel und den Menschen in Shengal unser tiefes Beileid aus – ihnen gilt unsere Solidarität und Achtung. Voller Dankbarkeit und Respekt gedenken wir Merwan Bedel.

Sofortiges Verbot aller Killerdrohnen! Stopp und Verbot der Zulieferung von Bestückung und Einzelteilen der Drohnen! Stopp der Waffenausfuhr und Waffenlieferungen! Aufbau einer Flugverbotszone! Anerkennung der ezidischen Selbstverwaltung im Shengal !

Aus unserem Theaterstück «Shengal die Kraft der Frauen»

Dijwar: Ohne Widerstand zu leisten, wären viele von uns, die den Ferman erlebten, verrückt geworden.

Der Plan des IS war uns, die Eziden im Mittleren Osten, auszulöschen. Wenn die Menschen nicht auf den Berg hätten fliehen können, dann wären Abertausende an einem Tag hingerichtet worden. Wie in den Dörfern, so wurden wir auch auf dem Berg eingekesselt, ohne die Verteidigung und den Schutz wäre das das Ende gewesen. Sie wollten uns auf dem Berg verhungern und verdursten lassen.

Später, nach der Befreiung, wurden wir immer wieder gefragt, ob wir an der arabischen Bevölkerung, den Nachbarn die mit dem IS zusammen gearbeitet hatten, Rache nehmen wollen. Das machen wir nicht. Andere Menschen anzugreifen, ist bei uns Sünde. Wenn jemand einen Fehler macht, hast du doch nicht das Recht ihn zu töten. Der Mensch kann sich verändern, daran glaube ich. In Shengalstadt wurde nach der Befreiung, von einer irakischen Miliz als erstes eine Moschee wiederaufgebaut. Die Kinder hören den Ruf – es ist der gleiche Ruf mit dem der IS uns angriff. Wir versuchen diesen Ruf nicht mehr mit dem Ferman in Verbindung zu bringen. Das ist nicht einfach – es braucht Zeit.

Aber wir möchten eine Zukunft in der die Unterschiedlichkeit der Kulturen, Glaubensrichtungen und Menschen – wie es der gesamten Region des mittleren Ostens entspricht – zum Ausgangspunkt einer Lösung gemacht wird - daran orientieren wir uns.

Der IS wurde von verschiedenen Mächten gebilligt und auch unterstützt. Viele wussten, dass wir angegriffen werden. Ich übertreibe nicht, ich erzähle nur, was passiert ist.

Gab es Momente, in denen du aufgeben wolltest?

Da war ein Kind, das hatte seine ganze Familie verloren – und das Kind stand an einer Wand – fand ein Stück Brot und weinte – aß und weinte – weinte ...