Wegen Porträts von Abdullah Öcalan beim Protestcamp gegen die Automesse IAA Mobility im vergangenen Jahr in München sind drei Klimaaktivist:innen am Montag zu Geldstrafen verurteilt worden. Die beiden Männer und eine Frau sollen am 3. September 2021 fünf Plakate mit dem Konterfei Öcalans an einem Bauzaun auf der Theresienwiese aufgehängt haben. Damit hätten sie gegen das Vereinsgesetz verstoßen, urteilte das Amtsgericht München. Gegen zwei Angeklagte wurden 30 Tagessätze in Höhe von 60 beziehungsweise 20 Euro verhängt. Der minderjährigen Aktivistin sind drei Beratungsgespräche als Strafe auferlegt worden.
Die drei IAA-Gegner:innen reagierten empört auf das Urteil. Die deutsche Justiz sei „Handlanger der türkischen Diktatur“, zitierte das Offene Antikapitalistische Klimatreffen München die Aktivist:innen in einer Pressemitteilung. Eine der verurteilten Personen kritisierte: „Obwohl die polizeilichen Zeug:innen große Erinnerungslücken aufweisen, ist für die Justiz ganz klar, dass wir schuldig sind. Nur weil wir neben vielen anderen Plakaten auch welche mit dem Konterfei Öcalans dabeigehabt haben sollen, werden wir kriminalisiert.“
Deutsche Justiz „Erfüllungsgehilfin“ des türkischen AKP-Regimes
Abdullah Öcalan gilt Millionen Kurdinnen und Kurden als legitimer Repräsentant, ist theoretischer Vordenker und Mitgründer der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Seit mehr als 23 Jahren wird er als politische Geisel des türkischen Regimes auf der Gefängnisinsel Imrali festgehalten – die meiste Zeit davon unter Totalisolation. „Mit diesem Urteil zeigt sich wieder einmal gut, dass die deutsche Justiz eine Erfüllungsgehilfin des türkischen AKP-Regimes ist. Öcalan gilt als Symbol der kurdischen Freiheitsbewegung, die sich gegen türkische Angriffskriege zur Wehr setzt. Erst kürzlich gab es in Kurdistan, aber auch in Deutschland zahlreiche Demonstrationen gegen die brutalen Angriffe des türkischen Staates auf kurdische Gebiete”, sagte einer der Aktivisten mit Blick auf die Invasion in Südkurdistan.
Forderung: Entkriminalisierung von Öcalan-Symbolen
Neben dem Gesicht von Abdullah Öcalan ist nur das von Adolf Hitler in Deutschland verboten. Das sei vollkommen absurd: „Hitler steht für menschenverachtenden Faschismus. Öcalan als Begründer des demokratischen Konföderalismus hat hingegen einen wichtigen Beitrag zum Aufbau einer demokratisch-ökologischen Alternativgesellschaft geleistet.“ Es liege in der Natur von Klimacamps, sich mit alternativen Gegenkonzepten „zu diesem klimazerstörerischen, kapitalistischen System“ auseinanderzusetzen. „Anstatt Aktivist:innen also für die Beschäftigung mit fortschrittlicher Veränderung zu kriminalisieren, wäre eine Entkriminalisierung von Öcalan-Symbolen angebracht“, fordern die Verurteilten.
Aktivist:innen kündigen Berufung an
Die drei IAA-Gegner:innen standen seit zwei Wochen vor Gericht. Es war das erste von drei Verfahren zu dem Komplex der IAA-Proteste, die bisher beim Amtsgericht München terminiert waren. „Dieses Strafmaß ist im Gegensatz zu anderen Straffällen absurd hoch. Zudem gibt es keine handfesten Beweise, dass wir tatsächlich gegen das Vereinsgesetz verstoßen haben. Wir und unser Verteidiger sind uns einig: Das lassen wir uns nicht gefallen, wir gehen in Berufung! Berxwedan Jiyan E! Widerstand heißt Leben!”, erklärten die Aktivist:innen abschließend.
Elf Monate Bewährung für „Widerstand“ mit einem Knirps
Die beiden anderen Prozesse wegen Protesten gegen die IAA gegen insgesamt sechs Beschuldigte fanden in der vergangenen Woche statt. Fünf von ihnen, darunter ein Journalist, wurden wegen einer Hausbesetzung im Rahmen der Proteste schuldig gesprochen. Der Richter entschied sich allerdings für eine sogenannte Verwarnung mit Strafvorbehalt. Das bedeutet, dass die festgelegte Geldstrafe von 30 Tagessätzen nur dann fällig wird, wenn die Angeklagten binnen eines Jahres eine weitere Straftat begehen. Lediglich einer der Angeklagten bekam aufgrund eines ähnlich gelagerten früheren Vergehens gleich eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen. Ein anderer Aktivist wurde zu elf Monaten auf Bewährung für „Widerstand gegen Vollzugsbeamte“ verurteilt – mit einem Knirps. Angeblich hätte er mit dem Schirm auf Polizisten eingeschlagen, so die Staatsanwaltschaft. Dagegen gab der Betroffene an, mit dem Schirm lediglich herumgefuchtelt zu haben, um Abstand zwischen den Demonstrierenden und der Polizei herzustellen – und zwar ohne jemanden zu verletzen. Doch die Staatsanwaltschaft argumentierte, dass dieses Rumfuchteln, egal ob es beabsichtigt war oder nicht, zu Verletzungen führen kann.
Ermittlungen gegen „eine niedrige zweistellige Zahl“
Insgesamt hatte die Staatsanwaltschaft München I bislang Ermittlungen gegen „eine niedrige zweistellige Zahl“ von Teilnehmenden an Protesten gegen die IAA eingeleitet. Die Vorwürfe reichen von Verstößen gegen das Versammlungsgesetz über Haus- und Landfriedensbruch bis hin zu tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte und vorsätzlicher Körperverletzung. Ein Ermittlungsverfahren wegen Nötigung gegen mehrere Beschuldigte, die sich von Autobahnbrücken abgeseilt hatten, ist nach Angaben der Staatsanwaltschaft noch nicht abgeschlossen.
Polizeigewalt und Repression bei Anti-IAA-Protesten
Am Rande der IAA hatte es im September vergangenen Jahres zahlreiche Protestaktionen gegeben. Die IAA-Gegner:innen führten Aktionen des zivilen Ungehorsams und Blockaden durch, veranstalteten ein Protestcamp, besetzten ein Haus, demonstrierten auf mehreren der „Open Spaces“ genannten Aktionsflächen in der Innenstadt und ließen sich von Brücken abseilen. An einer breiten Bündnisdemonstration gegen die Klimazerstörung der Autoindustrie beteiligten sich am Ende etwa 25.000 Menschen. Die Proteste wurden allerdings von Polizeigewalt und staatlicher Repression überschattet. Außerdem war es zu Festnahmen gekommen.