Großer Andrang bei Urteilsverkündung im Kobanê-Prozess

Unter hohen Sicherheitsvorkehrungen soll heute in Ankara das Urteil in dem als Kobanê-Verfahren bekannten Mammutprozess gegen den ehemaligen HDP-Vorstand und weitere Angeklagte verkündet werden.

Politischer Schauprozess in der Türkei

In dem seit April 2021 andauernden Kobanê-Verfahren in Ankara soll heute das Urteil gegen insgesamt 108 Persönlichkeiten aus Politik, Zivilgesellschaft und der kurdischen Befreiungsbewegung verkündet werden. Die Angeklagten werden im Zusammenhang mit den Protesten während des IS-Angriffs auf Kobanê im Oktober 2014 terroristischer Straftaten und des Mordes in dutzenden Fällen beschuldigt. Unter ihnen sind die ehemaligen HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ und der gesamte damalige Parteivorstand. 18 der Angeklagten befinden sich in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft fordert verschärfte lebenslängliche Freiheitsstrafen ohne Aussicht auf Entlassung.

Zur Urteilsverkündung sind Menschen aus der ganzen Türkei nach Ankara gekommen. Die DEM-Vorsitzenden Tülay Hatimoğulları und Tuncer Bakırhan haben vor Verhandlungsbeginn erneut die Freilassung der inhaftierten Politikerinnen und Politiker gefordert und das Verfahren als politischen Schauprozess bezeichnet.


Die Verhandlung findet in einem Gerichtssaal im Gefängniskomplex Sincan statt. Das Gelände wird von einem militärischen Großaufgebot überwacht. Auf der Zufahrtsstraße wurden vier Kontrollstellen errichtet. Durchgelassen wurden nur Verteidiger:innen und Journalist:innen. Prozessbeobachter:innen mussten ihre Autos auf einem Parkplatz abstellen und wurden in Transportern zum Gericht gebracht. Im Verhandlungsraum sind keine Zuschauer:innen zugelassen, die Urteilsverkündung wird in zwei gesonderten Sälen über Video übertragen. An der Verhandlung nehmen über 200 Anwältinnen und Anwälte teil, darunter auch die Vorsitzenden von zehn Anwaltskammern aus der Türkei.

Verurteilung in Abwesenheit der Angeklagten

Von den inhaftierten Angeklagten nehmen nur die Politiker Alp Altınörs und İsmail Şengül an der Urteilsverkündung teil. Ein Großteil der Angeklagten befindet sich nicht einmal in der Türkei. Viele der angeklagten HDP-Politiker:innen sind seit November 2016 im Gefängnis. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stuft ihre Verhaftung als politisch motiviert ein und hat mehrmals ihre Freilassung angeordnet. Das Ministerkomitee des Europarates hat zuletzt im März die Freilassung der ehemaligen HDP-Abgeordneten gefordert. Die Türkei ignoriert diese Entscheidungen.

Bei den inhaftierten Angeklagten handelt es sich um die ehemaligen HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ sowie um Gültan Kışanak, Sebahat Tuncel, Alp Altınörs, Ayka Akat Ata, Ali Ürküt, Ayşe Yağcı, Bülent Barmaksız, Dilek Yağcı, Günay Kubilay, İsmail Şengül, Meryem Adıbelli, Nazmi Gür, Pervin Oduncu, Zeynep Karaman, Aynur Aşan und Zeynep Ölbeci.