GfbV warnt vor Racheakten an alawitischer Gemeinschaft

Die Gesellschaft für bedrohte Völker warnt vor drohender Gewalt gegen Angehörige der alawitischen Glaubensgemeinschaft in Syrien. Es fänden Razzien in alawitischen Ortschaften statt, tausende Angehörige seien ohne Gründe in Haft.

Tausende Alawiten in Haft

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) warnt vor drohender Gewalt gegen Angehörige der alawitischen Glaubensgemeinschaft in Syrien. Die neuen islamistischen Machthaber führen Razzien in alawitischen Ortschaften im Westen des Landes durch, berichtete GfbV-Nahostreferent Dr. Kamal Sido am Montag in Göttingen. Die Alawit:innen, zu denen auch der gestürzte Diktator Baschar al-Assad gehört, bilden in einem Landstreifen an der Mittelmeerküste die Bevölkerungsmehrheit. Von orthodoxen und extremistischen Muslimen werden sie oft der Ketzerei bezichtigt und verfolgt.

Zahlreiche Alawit:innen erschossen

Nach Angaben der in Großbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) sollen sunnitische Islamisten seit dem Sturz Assads Anfang Dezember mindestens 157 Menschen erschossen haben, die meisten davon Alawit:innen. Mehr als 9.000 Angehörige der Gemeinschaft sollen in einem Gefängnis in Hama und in einem weiteren bei Damaskus inhaftiert sein. Es handele sich um Angehörige der syrischen Armee, die ohne konkreten Grund festgehalten und möglicherweise gefoltert werden, erklärte Sido. „Racheakte der neuen islamistischen Machthaber beängstigen die alawitische Gemeinschaft. Sie können zu einem bewaffneten Aufstand führen, der das Land weiter destabilisieren würde“, ergänzte er.

„Kriegsverbrecher können keine Kriegsverbrechen aufklären“

Wegen Racheakten sunnitischer Islamisten, die vom NATO-Mitglied Türkei unterstützt werden, wollen Kurd:innen, Drus:innen und Angehörige anderer Volksgruppen ihre Waffen nicht abgeben. Viele Kommandeure der Milizen, die jetzt in Syrien an der Macht sind, kämpften jahrelang in den Reihen der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS). „Deshalb ist es gefährlich, die Aufarbeitung der Verbrechen an der syrischen Bevölkerung unter Assad in die Hände dieser Islamisten zu legen“, erklärte Sido. „Kriegsverbrecher können keine Kriegsverbrechen aufklären. Sie können sich nur rächen. Erfahrungen aus anderen Teilen der Welt zeigen, dass solche Racheakte in schlimmste Verbrechen bis hin zum Völkermord münden können.“ Nur eine unabhängige Justiz könne eine Aufarbeitung leisten, die auch die zahlreichen Kriegsverbrechen der Islamisten an den verschiedenen Bevölkerungsgruppen Syriens berücksichtigt.

Deutschland darf HTS nicht verharmlosen

Die deutsche Bundesregierung, die seit Jahren gute Kontakte zu Islamisten in Syrien pflegt, dürfe die seit Assads Sturz in Damaskus regierende Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) nicht verharmlosen und müsse sich für ein Ende ihrer Racheaktionen einsetzen, fordert die GfbV. Die alawitische Gemeinschaft müsse ihren Platz im zukünftigen Syrien haben. Gemeinsam mit Kurd:innen, Drus:innen und anderen Minderheiten bildeten sie „ein Gegengewicht zu konservativen Sunniten, die ein islamistisches Regime wollen“. „Die syrischen Alawit:innen teilen wie die Alevit:innen in der Türkei die universellen Werte der Menschenrechte, der Glaubensfreiheit und der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Konservative Machthaber wie Erdogan in der Türkei lehnen diese Werte ab.“

Auch wenn es Unterschiede in den Traditionen gebe, verbinde die alawitische Gemeinschaft in Syrien mit den Alevit:innen in der Türkei eine lange Leidensgeschichte, ergänzte Sido. „Immer wieder wurden sie von ihren sunnitischen Nachbarn verfolgt und massenhaft ermordet. Wenn sich das in Syrien fortsetzt, droht der Konflikt auch auf Deutschland überzugreifen. Mindestens 800.000 Aleviten leben hier. Die meisten stammen aus der Türkei, wo es im Übrigen etwa 20 Millionen Aleviten gibt.“

Foto: Kundgebung des Kulturvereins Pir Sultan Abdal und der Alevitisch-Bektaschitischen Föderation gegen Übergriffe auf Alawit:innen in Syrien am 29. Dezember 2024 in Istanbul © MA