Gefangene in Silivri treten aus Protest in einen Hungerstreik

Nach Angaben von Rechtsanwältin Yaprak Türkmen haben politische Gefangene in Silivri nach der Zwangseinweisung der hungerstreikenden Anwält*innen Timtik und Ünsal ins Krankenhaus ihre Zellen angezündet und sind selbst in Hungerstreik getreten.

Die Entscheidung eines Istanbuler Gerichts, dass die hungerstreikenden Rechtsanwält*innen Ebru Timtik und Aytaç Ünsal trotz festgestellter Haftunfähigkeit nicht aus dem Gefängnis entlassen werden, hat Entsetzen ausgelöst. Sie wurden mit Gewalt in verschiedene Krankenhäuser transportiert, wo ihnen jetzt eine Zwangsernährung droht. Der größte Protest kommt aus dem Hochsicherheitsgefängnis Silivri, in dem Timtik und Ünsal bisher inhaftiert waren. Im Gefängnis Nr. 9 des riesigen Vollzugskomplexes sind politische Gefangene in einen unbefristeten Hungerstreik getreten, einige sollen ihre Zellen angezündet haben.

Folter in der Gummizelle

Wie Rechtsanwältin Yaprak Türkmen gegenüber ANF mitteilte, sind mehrere ihrer Mandanten gewaltsam in eine Gummizelle geschafft worden, nachdem sie aus Protest ihre Zellen angezündet hatten. Dort wurden sie stundenlang festgehalten. Als sie zurück in ihre Zellen gebracht wurden, sollen sie alle dort befindlichen Nahrungs- und Reinigungsmittel auf den Boden geworfen haben.

Nach Angaben von Türkmen sind die politischen Gefangenen aus Protest gegen die rechtlose Behandlung von Timtik und Ünsal in einen unbefristeten Hungerstreik getreten.

Kein Kontakt zu Timtik und Ünsal

Rechtsanwältin Türkmen hält sich zurzeit im „Halkalı Kanuni Sultan Süleyman”-Krankenhaus auf, in das Aytaç Ünsal gegen seinen Willen eingewiesen worden ist. Erst nach 24 Stunden und intensiven Bemühungen ist der Forderung stattgegeben worden, dem geschwächten Anwalt einen Pfleger zur Seite zu stellen. Türkmen selbst hat ihn noch nicht sehen können.

Ebru Timtik liegt im Sadi-Konuk-Krankenhaus in Bakirköy und ist weiterhin auf sich allein gestellt. „Obwohl im gerichtsmedizinischen Gutachten ein sehr kritischer Gesundheitszustand und eine Haftunfähigkeit festgestellt wurden, ist die Forderung nach einer eigenen Pflegerin immer noch nicht akzeptiert worden. Wir haben sie im Krankenhaus noch nicht sehen können und machen uns größte Sorgen über ihren Gesundheitszustand“, so Rechtsanwältin Yaprak Türkmen.

Hungerstreik für ein gerechtes Gerichtsverfahren

Ebru Timtik, eine Anwältin der linken Vereinigung „Rechtsbüro des Volkes“ (türk. Halkın Hukuk Bürosu“), befindet sich seit mittlerweile 211 Tagen im sogenannten Todesfasten, ihr Kollege Aytaç Ünsal verweigert seit 180 Tagen jegliche Nahrungsaufnahme. Mit der Aktion fordern sie ein gerechtes Verfahren. Beide wurden aufgrund von widersprüchlichen Aussagen eines Kronzeugen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Anschuldigungen des Überläufers Berk Ercan haben zur Verhaftung von knapp 200 Menschen geführt. Unter ihnen waren auch mehrere Mitglieder der Musikgruppe Grup Yorum und Mustafa Koçak, der zu lebenslanger Haft verurteilt worden war und am 24. April nach 297 Tagen Hungerstreik verstarb. Sie alle wurden im Komplex der Verfahren gegen vermeintliche Angehörige der DHKP-C nach Terrorparagrafen verurteilt.

Grup Yorum-Mitglieder wurden ebenfalls zwangseingewiesen

Helin Bölek und Ibrahim Gökçek, zwei Mitglieder der linken Musikgruppe Grup Yorum, die dieses Jahr an den Folgen eines Hungerstreiks gestorben sind, waren ebenfalls zur Zwangsernährung in ein Krankenhaus eingewiesen worden. Bölek starb Anfang April, nachdem sie 288 Tage lang die Nahrungsaufnahme verweigert hatte. Gökçek kam im Mai ums Leben – nur zwei Tage, nachdem er seinen 323 Tage andauernden Hungerstreik beendet hatte.