Erdoğan offen für Wiederannäherung an Assad

„Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, an dem wir, sobald Baschar al-Assad einen Schritt zur Verbesserung der Beziehungen zur Türkei unternimmt, ihm gegenüber die gleiche Haltung einnehmen werden.“

Neue Achse Ankara-Syrien?

Der türkische Autokrat Recep Tayyip Erdoğan hat sich offen für eine Wiederannäherung an Syriens Präsidenten Baschar al-Assad gezeigt. Seine Regierung könne Assad „jederzeit einladen“, sagte Erdoğan am Sonntag Presseleuten der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu auf dem Rückflug vom Viertelfinale der Fußball-Europameisterschaft in Berlin. Erdoğan deutete an, Staats- und Regierungschefs, darunter der mit Damaskus verbündete russische Machthaber Wladimir Putin, hätten ein Treffen zwischen ihm und Assad in der Türkei vorgeschlagen.

Von Bruder Assad zu Mörder Assad

„Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, an dem wir, sobald Baschar al-Assad einen Schritt zur Verbesserung der Beziehungen zur Türkei unternimmt, ihm gegenüber die gleiche Haltung einnehmen werden“, sagte Erdoğan weiter. Ankara hatte seine Beziehung zum Damaszener Regime nach Beginn des Syrien-Konflikts im Jahr 2011 unterbrochen. Dieser brach zunächst als Bürgerkrieg aus, nachdem Assad friedliche Proteste gegen seine Herrschaft gewaltsam niederschlagen ließ, und wandelte sich zu einem Stellvertreterkrieg mit mehreren involvierten Drittstaaten, in dem bisher mehr als 500.000 Menschen getötet und Millionen vertrieben worden sind.

Ankara nutzte die Gunst der Stunde, kurdisches Gebiet zu besetzen

Die Türkei nutzte den Krieg in ihrem Nachbarland, um unter dem Deckmantel der Bekämpfung islamistischer Gruppierungen in Syrien einzumarschieren. Tatsächlich wurde das Ziel verfolgt, die kurdisch dominierte Autonomieverwaltung im Nordosten, auch als Rojava bekannt, zu zerschlagen und weite Teile des Landes zu besetzen. Bei mehreren Invasionen und Angriffskriegen, darunter 2018 in Efrîn und 2019 in Serêkaniyê sowie Girê Spî, bediente sich Erdoğan von Ankara ausgerüsteten und finanzierten Dschihadistenmilizen, darunter den international als Terrororganisation eingestuften „Islamischen Staat“ (IS), um den „kurdischen Terrorkorridor“ an der türkischen Südgrenze zu verhindern. Bekämpft wurde einzig die kurdische Bevölkerung, in deren Siedlungsgebieten nun türkische NATO-Soldaten und islamistische Terroristen herrschen. Seit zwei Jahren droht Erdoğan zudem mit einer weiteren Invasion in Rojava.

Proteste in Besatzungszone

In der vergangenen Woche war es in Teilen der türkischen Besatzungszone in Nordsyrien zu gewaltsamen Protesten gegen die Regierung in Ankara gekommen, bei denen sieben Menschen getötet wurden. Auslöser waren pogromartige Angriffe gegen Geschäfte und Wohnhäuser syrischer Flüchtlinge in verschiedenen Städten der Türkei. In Efrîn, Bab, Azaz und anderen Orten waren daraufhin türkische Fahnen abgenommen und verbrannt worden, zudem wurden Fahrzeuge mit türkischen Kennzeichen angegriffen und zerstört. Erdoğan suchte die Schuld wie gewöhnlich bei der türkischen Opposition. Er warf ihr vor, die Unruhen angefacht zu haben, und sprach von „schmutzigen Händen“, die hinter den Protesten in Nordsyrien steckten - ohne nähere Angaben zu machen.

Syrische Geflüchtete Sündenböcke von Politik und Gesellschaft

Die Türkei hat seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs mehr als drei Millionen Syrerinnen und Syrer aufgenommen, für die hauptsächlich EU-Länder zahlen. Der Umgang mit ihnen bewegt sich jedoch jenseits der Menschenwürde: Syrische Geflüchtete sind Opfer eines alltäglichen Rassismus sowie ständiger Gewalt und dienen Gesellschaft und Regierung als Sündenbock. Ob die hohe Arbeitslosigkeit und fallende Löhne, steigende Mieten und die schlechte Wirtschaftslage im Land; nahezu alle Probleme werden den „ungebetenen Gästen“ angelastet, es kommt regelmäßig zu tödlichen Übergriffen, wie zuletzt auch in Kayseri.

Dauerthema Abschiebungen nach Syrien

Vor allem im Wahlkampf brechen aggressivere und aufgeheizte Stimmungen gegen Syrerinnen und Syrer aus, wenn Abschiebungen der „Gäste“ zentrales Thema sind. Erdoğan selbst hatte auch vor diesem Hintergrund zuletzt mehrfach einen möglichen Neustart der Beziehungen zu Machthaber Assad angedeutet. Seine Regierung arbeite an Möglichkeiten für eine freiwillige Rückkehr von Syrer:innen in ihr Heimatland, hieß es immer wieder. Tatsächlich finden seit Jahren gewaltsame Zwangsabschiebungen nach Syrien statt – in die von Terroristen kontrollierte Besatzungszone.