Türkei: Ein Viertel des Haushalts fließt in den Krieg

Der türkische Staat hat im Jahr 2021 ein Viertel seines Budgets für Militärausgaben ausgegeben. Der HDP-Abgeordnete Erol Katırcıoğlu sagt, auch im nächsten Jahr sei der Haushalt vor allem ein Kriegshaushalt.

Ein Viertel des Haushaltes des türkischen Staats floss 2021 in den Krieg. Der Abgeordnete der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Erol Katırcıoğlu, sagt, dass der Haushalt für 2022 ähnlich aussehen wird, und kündigt eine starke Opposition der HDP für ein öffentliches Budget im Interesse der Bevölkerung an.


Erol Katırcıoğlu ist Mitglied der Parlamentarischen Haushaltskommission und hat sich gegenüber ANF zu dem am 26. Oktober bevorstehenden Beginn der Haushaltsdebatte für das Jahr 2022 geäußert. In diesem Zusammenhang ging er auch auf die rapide Abwertung der türkischen Lira (TL) ein.

Katırcıoğlu führt aus, dass die Zahlen für das Jahr 2022 noch nicht feststehen: „Wir werden 2022 mit einem größeren Haushalt als 2021 zu rechnen haben. Damals erreichten die Ausgaben eine Höhe von einer Billion und 400 Milliarden TL. Der Haushalt spiegelt die Präferenzen der Regierung wider, zugunsten welcher Segmente die Steuereinnahmen verwendet werden sollen.“

Ein Viertel des Budgets für den Krieg

HDP-Politiker:innen sind in den vergangenen Monaten durch die Türkei und Nordkurdistan gereist und haben Volksversammlungen durchgeführt, auf denen der Bedarf für einen Haushalt im Sinne der Bevölkerung festgestellt werden sollte. Katırcıoğlu führt aus: „In der Zeit nach 2015 nahmen die Sicherheitsausgaben in allen Haushalten einen größeren Anteil ein. Ich meine damit nicht nur Militärausgaben, es geht auch um Ausgaben für die Polizei, Militärpolizei und Küstenwache. Im vergangenen Jahr erreichte dies fast ein Viertel des Budgets. Das Geld, das für Sicherheitsaktivitäten bereitgestellt wurde, ist letztlich Geld, das im öffentlichen Interesse hätte verwendet werden können. Da dies offensichtlich nicht im Interesse der Regierung ist, glaube ich, dass der Haushalt für 2022 ähnlich wie im vergangenen Jahr ausfallen wird. Die allgemeine ökonomische Herangehensweise der Regierung hat sich nicht geändert. Es ist wieder von S400-Raketen die Rede und es wird darüber nachgedacht, F16-Kampfflugzeuge zu kaufen. Der Staat sieht sich wieder als Teil des Wettrüstens. Wirtschaftlicher Wohlstand wird nicht erreicht, weil die Türkei ihre Ressourcen nicht klug einsetzen kann. Als HDP haben für uns die Menschen Priorität. Wir denken nicht an Sicherheitsausgaben, sondern an Ausgaben, die die Gesellschaft entlasten und es ihr ermöglichen, sich auf friedlichere Aktivitäten zu konzentrieren. Das Budget geht in erster Linie an die Haushaltskommission. Wir sind zu dritt von der HDP in der Kommission und werden, wie wir es in den letzten Jahren getan haben, eine starke Opposition bilden. Wir haben bereits damit begonnen, bei den Volksversammlungen zum Haushalt eine Art Vorstudie durchzuführen. Wir treffen uns mit verschiedenen Teilen der Gesellschaft, um zu verstehen, was sie vom Haushalt erwarten.“

Das Land braucht Frieden“

Das durchschnittliche Pro-Kopf-Jahreseinkommen in der Türkei ist offiziellen Angaben zufolge von 13.000–12.000 Dollar auf 8.000 bis 7.000 Dollar gesunken. Real dürfte das Einkommen noch weitaus niedriger liegen, so der HDP-Politiker: „Es gibt einen deutlichen Verlust an Realeinkommen. Die polarisierende, kriegerische und identitäre Politik hat uns dorthin gebracht. Politische Spannungen spiegeln sich immer in der Wirtschaft wider. Zum Beispiel wird unter solchen Bedingungen nicht investiert. Stattdessen wird im Ausland investiert. Was das Land vor allem braucht, ist Frieden. Wenn Frieden entsteht, werden wir die Länder um uns herum beeinflussen. Wir werden Syrien, den Irak und den Iran beeinflussen und der Grund für einen friedlichen Nahen Osten sein. Die Zerstörung des Autonomiegebiets in Nordsyrien wird nichts in dieser Richtung bewirken. Wir werden diese Punkte in die Haushaltsverhandlungen einbringen.“

Die Lira fällt weiter

Katırcıoğlu geht auch auf den rapiden Verlust der Lira ein: „Während die Zinsen auf der ganzen Welt steigen, wird hier der Zinssatz gesenkt. Die Inflation steigt und man setzt der Gesellschaft Negativzinsen vor. Warum sollte jemand bei Negativzinsen in TL investieren? Deshalb haben viele den Markt verlassen. Nachdem die Regierung so viel mit der Zentralbank herumgespielt hat, hat sie nun drei wichtige Mitglieder der Organisation für Geldpolitik (PPK) entlassen und ersetzt. Das war ein Faktor, der den Wert der TL verringert hat. Wenn die TL abgewertet wird, steigen die Exporte, aber steigende Exporte führen zu einem Rückgang der Exporte anderer und werden entsprechende Reaktionen hervorrufen. Die Statistiken der letzten 15 Jahre zeigen, dass das Verhältnis zwischen Kursen und Exporten nicht dem entsprechen, was beabsichtigt wurde. In den kommenden Tagen wird die Zentralbank eine Entscheidung über die Zinssätze treffen. Wenn sie erneut eine Zinssenkung beschließt, werden wir sehen, was passiert. Der Dollar kann sogar auf über zehn TL steigen.“