Der AKP-Chef und Staatspräsident Tayyip Erdoğan hat nach dem Freitagsgebet in Ankara seine Drohung gegenüber dem Autonomiegebiet Nord- und Ostsyrien wiederholt und auf die Frage von Journalisten geantwortet: „Unser Kampf wird in der kommenden Zeit in ganz anderer Form fortgesetzt werden.“ Auch Äußerungen von Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu und Verteidigungsminister Hulusi Akar deuten auf eine weitere grenzüberschreitende Militäroperation in Syrien hin. Die Ankündigungen sind nach einem Treffen zwischen Erdoğan und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Sotschi erfolgt. Wie es heißt, ist die türkische Regierung über eine mögliche Übereinkunft zwischen den USA und Russland zu Syrien beunruhigt.
„Erdoğan traut seinem engsten Umfeld nicht“
Hişyar Özsoy, der außenpolitische Ko-Sprecher der HDP, weist darauf hin, dass der russische Außenminister Sergej Lawrow noch während des Erdoğan-Besuchs erklärt hat, Russland bestehe auf der Einhaltung der von der Türkei gemachten Zusagen. „Soweit wir es nachvollziehen können, hat die Türkei Russland Versprechungen gemacht und nicht eingehalten. In der letzten Zeit finden in den unter türkischer Besatzung stehenden Gebieten in Syrien, einschließlich Efrîn, militärische Interventionen statt, sowohl von Russland als auch von syrischen Kräften. Erdoğan scheint in Todesangst nach Sotschi gefahren zu sein und wollte Zeit gewinnen. Um das zu verschleiern, wurden Erdgas und Handelsvereinbarungen als offizieller Grund genannt. Erdoğan war bei dem Gespräch jedoch allein, die türkische Delegation hat an dem Treffen nicht teilgenommen. Wir wissen nicht, worüber er verhandelt hat. Ganz offensichtlich traut er nicht einmal seinem engsten Umfeld mehr“, so der HDP-Abgeordnete.
In Syrien finden zum Thema Idlib ernsthafte Entwicklungen statt. Özsoy sieht Anzeichen dafür, dass sich eine Einigung zwischen den USA und Russland für ein Ende des Krieges in Syrien anbahnt. Die Türkei könne aufgrund ihrer Politik, mit der der Krieg verlängert und die Konflikte verschärft werden, in naher Zukunft diesen beiden Großmächten gegenüberstehen: „Syrische Verantwortliche fordern inzwischen mit lauter Stimme einen Abzug der Türkei ein. Es sieht so aus, als ob es zu einer Übereinkunft zwischen den Großmächten in Syrien kommt. Das engt den Bewegungsspielraum der Türkei extrem ein.“
„Wie ein kleines Kind, das um Aufmerksamkeit ringt“
Die Regierung in Damaskus mache Fortschritte in den Beziehungen zu den arabischen Ländern und die Türkei sitze mit ihrer nicht aufrecht zu erhaltenden Politik in Idlib fest, führt Özsoy aus. Obwohl sich die Türkei inzwischen „unterhalb des Nullpunktes in Syrien“ befinde, bestehe Erdoğan auf der weiteren Präsenz im Nachbarland. Die weiteren Entwicklungen seien zwar noch völlig offen, dennoch sieht Özsoy die Voraussetzungen für eine türkische Invasion momentan nicht gegeben: „Für die türkische Außenpolitik und Erdoğan ist es in den letzten fünf bis sechs Jahren charakteristisch, für Chaos zu sorgen und die Spannungen zu erhöhen. Das entspricht der psychischen Verfassung eines Kindes, das um Aufmerksamkeit ringt. Erdoğan will Aufmerksamkeit im östlichen Mittelmeer. Er will nicht ausgegrenzt werden und lässt seine Schiffe dort auffahren. Er will die Beziehungen zu den USA verbessern. Er erhöht die Tonlage und will die Anspannung verschärfen. Auf diese Weise will er Aufmerksamkeit bekommen.“