Ein „Informant“ erzählt seine Geschichte

Emre Aydın berichtet, wie er vom türkischen Geheimdienst zu einem Informanten gemacht wurde. Er wandte sich an den Menschenrechtsverein IHD und machte seine Situation öffentlich.

Der Student Emre Aydın ist vor etwa zweieinhalb Jahren von Personen, die sich als Geheimdienstmitglieder auswiesen, in der Haft angesprochen worden. Die Agenten nutzten seine persönliche Notlage aus und machten ihn zu einem Informanten. Da Aydın diese Situation nicht mehr ertrug, wandte er sich trotz Todesdrohungen an den Menschenrechtsverein IHD und bat um juristischen Beistand.

Aydın berichtete detailliert auf einer einberufenen Pressekonferenz, wie er zum Agenten gemacht wurde, auf welche Weise er mit dem Geheimdienst zusammenarbeitete und was ihm passierte, als er nicht mehr weitermachen wollte. Aus Sicherheitsgründen wurde die Pressekonferenz nicht in Ankara, sondern im Büro des IHD in Istanbul durchgeführt. An ihr nahm auch die Istanbuler IHD-Vorsitzende, Rechtsanwältin Gülseren Yoleri, teil.

Wie Aydın zum Informanten gemacht wurde

Aydın erzählt von seinen Erlebnissen: „2012 habe ich mich an der Universität von Ankara eingeschrieben. Zwischen 2012 und 2016 war ich zu verschiedenen Zeitpunkten im Gefängnis Sincan inhaftiert. Am Ende meiner Haftzeit wurde ich von Personen, die sich als Geheimdienstmitarbeiter vorstellten, zu einem Gespräch eingeladen. Ich hatte dieses Gesprächsangebot akzeptiert. Sie kommunizierten am Anfang kumpelhaft und informell mit mir, aber später begann sich ihre Haltung zu ändern. Ich habe das bemerkt, aber mir war klar, dass ich die Kontrolle verloren hatte. Diese Personen waren zunächst mit mir in Verbindung getreten, weil sie mir bei meinen finanziellen Problemen, den Problemen draußen und im Gefängnis sowie bei meinem Prozess behilflich sein wollten. Das war dann auch so. In der ersten Zeit, als ich mit ihnen in Austausch trat, wurde mein Verfahren, wie sie es angekündigt hatten, beschleunigt und zwei Ermittlungsverfahren und Prozesse wurden eingestellt. Es war offensichtlich, dass diese Personen, wie es auch immer wieder gesagt wird, befugt sind, in Strafverfahren einzugreifen. Ich persönlich habe es erlebt.

Auch wenn es schnell ging, eine intensive Beziehung mit ihnen aufzubauen, war es ab dem Moment, als ich den Kontakt nicht weiter wollte, praktisch nicht möglich diesen wieder zu beenden. Sie haben jedes Treffen von Beginn an dokumentiert, sie haben Tonbandaufnahmen angefertigt, und haben alles zur Erpressung, wie Daten aus meinem Privatleben und ähnliche Dinge, gegen mich verwendet. Außerdem machen sie es den Menschen, die sie benutzen, mit ihren Kommunikationsfähigkeiten und den Techniken praktisch unmöglich, die Beziehungen zu ihnen abzubrechen. Zuerst begann unsere Beziehung mit Gesprächen und Diskussionen, dann kamen allgemeine Fragen, später Fragen nach Personen und zuletzt ging es darum, technische Möglichkeiten zu nutzen, um Ton- und Bildaufnahmen anzufertigen.

Anwendung von Entführung und Gewalt

Nachdem ich mich dem verweigerte, wurde ich am 10. Oktober beim Verlassen meiner Wohnung entführt und misshandelt. Auch wenn der Kontakt innerhalb der zweieinhalb Jahre einige Male unterbrochen war, so war ich überzeugt davon, dass ich mich sowohl psychisch als auch physisch nur durch den Tod aus ihren Händen retten könnte. Daher war ich nie in der Lage, den Kontakt vollständig abzubrechen.

Wir schreiben deinen Abschiedsbrief mit unseren eigenen Händen

Nach der Entführung wollte ich die ganze Angelegenheit veröffentlichen. Ich wurde mit meiner siebenjährigen Schwester, meiner Familie und meinen Freunden bedroht. Zuletzt drohten sie: ‚Wir schreiben mit unseren eigenen Händen den Abschiedsbrief für deinen Selbstmord im Gefängnis‘.“

Aydın berichtet, dass die Beziehung auf materieller Basis aufgebaut wurde: „Es war eine Beziehung, in der ich zu einem Angestellten geworden bin.“

Sie wollten Informationen über HDP-Mitglieder

Aydın erzählt weiter, dass die Treffen sich entsprechend der täglichen Entwicklungen geändert haben: „Es begann mit Diskussionen und einem Meinungsaustausch, schließlich ging es um Parteien und dann im Besonderen um die HDP. Danach begannen sie, Informationen über HDP-Mitglieder zu verlangen. Auch wenn ich hier Widerstandsgeist zeigen wollte, habe ich mich ihnen ergeben und mich feige verhalten.“

Schließlich wandte sich Aydın an den IHD. Nach dieser Anzeige beim Menschenrechtsverein habe sich niemand mehr bei ihm gemeldet, erklärt er.

Aufruf an Menschen in ähnlicher Lage

Aydın richtete sich an Menschen in ähnlicher Lage: „Außer den Personen, die sich mit mir trafen, wusste niemand von mir. Ich allein kenne die Personen, die mich getroffen und zum Agenten gemacht haben. Im Nachhinein kennt niemand niemanden. Ich habe am 25. Oktober einen Prozess. Mir wurde gesagt, dass ich nach dem Prozess inhaftiert werde. Mein Hauptziel ist, für die Sicherheit meines Lebens zu sorgen. Ich erkläre, dass ich mich vor den Drohungen mit Haft und Tod nicht fürchte und gegenüber diesen Drohungen aufrecht bleiben werde.“ Aydın entschuldigte sich bei allen, denen er Schaden zugefügt hat und rief alle, die wie er selbst zu Agenten gemacht worden sind, auf, sich aus diesem Sumpf zu retten.

Anzeige gestellt

Aydın erklärte, er habe Anzeige bei der Generalstaatsanwaltschaft von Gölbaşı gestellt und die Kennzeichen der Autos der Agenten, die Telefonnummern, Bilder und Videos dort eingereicht.