Dürfen Flugblätter fliegen?

Im sogenannten „Papierflieger-Prozess“ wurde die Anmelderin einer Kundgebung vor dem Nürnberger BAMF wegen eines Verstoßes gegen das bayrische Versammlungsgesetz verurteilt.

Im Sommer 2018 fand eine Kundgebung unter dem Motto „women breaking borders“ vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg statt. Etwa 40 Frauen und Kinder der Initiative „Women in Exile" und des „Bündnis 8. März  Nürnberg" protestierten gegen die menschenunwürdigen Zustände in den Ankerzentren, in denen Frauen oft Gewalt ausgesetzt sind. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, beschrifteten die Teilnehmerinnen bunte Papierflieger mit Forderungen wie „Bleiberecht für alle“, „Alle Lager abschaffen“ oder „No border – no nation“ und warfen diese über den hohen Zaun der Migrationsbehörde.

Die Polizeibeamten forderten daraufhin die Versammlungsleiterin – eine Aktivistin des Bündnisses 8. März – auf, dies zu unterbinden, da eine „unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit" drohe. Als sie dem nicht nachkam und den Transport der Botschaften der Frauen auf dem Luftweg zum BAMF nicht verhinderte, erhielt sie eine Anzeige wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz.

Bei einer ersten Verhandlung wurde der Anmelderin angeboten, gegen eine Geldstrafe das Verfahren einzustellen. Dem wollte sie nicht zustimmen, deshalb kam es gestern zu einer erneuten Verhandlung, in dem sie letztlich, wie von der Staatsanwaltschaft beantragt, schuldig gesprochen wurde. Die Geldstrafe von 300 Euro wurde zur Bewährung ausgesetzt und ist dann zu entrichten, wenn die Auflagen nicht erfüllt werden. Dazu gehören neben einer Zahlung von 350 Euro an ein Frauenhaus auch, dass sie nicht mehr gegen das bayrische Versammlungsgesetz verstößt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und die Aktivistin überlegt noch, in Revision zu gehen.

Begleitet wurde der Prozess von zahlreichen Beobachter*innen, die aufmerksam verfolgten, wie die deutsche Justiz erneut zivilgesellschaftliches Engagement kriminalisiert. Während jetzt auch aus Nürnberg Abschiebeflieger starten, die Geflüchtete gegen ihren Willen deportieren, wird gegen Menschen vorgegangen, die mit legitimen Forderungen den rassistischen Umgang mit Flucht und Migration anprangern.

Dass der Prozess auch in die Rubrik Justizposse passen könnte, wurde in den Ausführungen über die Definition „Papierflieger“ deutlich. Diskutiert wurde darüber, ob fliegende Flyer eine „unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit" darstellen, wie es die Staatsanwaltschaft sieht. Die Verteidigung wandte dagegen ein, Papierflieger seien als erlaubte Kundgebungsmittel in Form von „Flug-Blättern“ zu werten, deren Bestimmung es ist, zu fliegen.

In einer Pressemitteilung äußerte eine Vertreterin von „Women in Exile“: „Offensichtlich sind die Flieger angekommen, sonst gäbe es kein Gerichtsverfahren. Jedoch wundern wir uns, dass nun im Gericht über einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz diskutiert wird und nicht über die Verstöße gegen Grund-und Menschenrechte, die wir als Flüchtlinge tagtäglich erfahren müssen.“