„22 Jahre Isolationshaft sind 22 Jahre zu viel“ – so lautete die zentrale Aussage zahlreicher Menschen, die sich am gestrigen Samstag weltweit am Aktionstag für die Freiheit von Abdullah Öcalan beteiligt haben. Nicht nur Kurdinnen und Kurden demonstrierten dagegen, dass der Vordenker der kurdischen Befreiungsbewegung am 15. Februar 1999 in einem völkerrechtswidrigen Akt aus Kenia verschleppt und seither auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali festgehalten wird – die meiste Zeit davon in totaler Isolation. Auch zahlreiche Menschen anderer Nationen, die sich dem kurdischen Volk verbunden fühlen, zeigten ihre Solidarität auf der Straße.
Über diverse Aktivitäten, die das gemeinsame Motto „Die Zeit ist reif: Freiheit für Abdullah Öcalan“ trugen, hatte ANF gestern bereits berichtet. Es folgt eine Übersicht weiterer Veranstaltungen, bei denen anlässlich der aktuellen Aggression der türkischen Armee in Südkurdistan auch gegen die Invasion in Gare protestiert wurde.
Wien: Es lebe der Gare-Widerstand
In Österreichs Hauptstadt Wien gab es eine Demonstration. Versammlungspunkt war der Westbahnhof, vor dem Auftakt wurde im Gedenken an die Gefallenen der kurdischen Befreiungsbewegung eine Schweigeminute abgehalten. Anschließend ging es unter Parolen wie „Es lebe der Gare-Widerstand“ und „Kurdistan wird zum Grab des Faschismus“ in das knapp zwei Kilometer entfernte Museumsquartier. Während der Demonstration verteilten Beteiligte Infozettel an Interessierte und klärten über die Hintergründe der Aktion auf. Im Museumsquartier fand eine abschließende Kundgebung statt.
München: Kritik an deutscher Unterstützung für türkische Angriffskriege
In München hatte das kurdisch-demokratische Gesellschaftszentrum (DTKM) zu einer Kundgebung in der Altstadt der bayerischen Landeshauptstadt aufgerufen. Ein wichtiges Thema war neben den Angriffskriegen der Türkei in ihren Nachbarländern auch die türkische Expansionspolitik in anderen Ländern des Mittleren Ostens. Die Kritik galt insbesondere der deutschen Bundesregierung, die trotz zahlreichen Brüchen des Völkerrechts und Verbrechen gegen die Menschlichkeit von Seiten Ankaras an ihrer Unterstützung für Staatschef Recep Tayyip Erdoğan und seine Regierung aufrechterhält.
Kassel: Aktion des zivilen Ungehorsams
In Kassel formierte sich eine Demonstration, in deren Rahmen es zu einer Aktion des zivilen Ungehorsams kam. Dabei blockierten Aktivistinnen und Aktivisten in der Nähe der Innenstadt kurzzeitig den Verkehr.
Kundgebung in Saarbrücken
In Saarbrücken wurde mit einer Kundgebung gegen die Verschleppung Abdullah Öcalans protestiert. Die Teilnehmenden hatten sich dazu vor der Europa-Galerie versammelt.
Frankfurt: Gemeinsame Demonstration von DGB und FCDK-KAWA
In Frankfurt am Main hatte das „Demokratische Kräftebündnis“ (tr. Demokratik Güç Birliği), in dem kurdische und Türkei-stämmige Organisationen zusammengeschlossen sind, gemeinsam mit der kurdischen Föderation FCDK-KAWA zu einer Demonstration aufgerufen. Dem Aufruf folgten auch Menschen aus Mannheim, Darmstadt, Gießen und Mainz.
Heilbronn: Unerträgliche deutsche Außenpolitik
Eine weitere Kundgebung gab es an der Harmonie in Heilbronn. Auch hier wurde im Zusammenhang mit dem Folterregime auf Imrali und den Kriegen des türkischen Staates die deutsche Außenpolitik angeprangert. Statt Diktatoren wie Erdogan zu unterstützen, sei die Zeit reif für die Anerkennung der kurdischen Freiheitsbewegung und dem Fall des PKK-Verbots in Deutschland. Öcalan gelte nicht nur für die Lösung der kurdischen Frage, welche die türkische Regierung ungelöst lassen will, als Schlüsselfigur, sondern für etliche Konflikte in den Nationalstaaten auf kurdischem Siedlungsgebiet. Um die Konflikte endgültig aus dem Weg zu räumen, müsse er freikommen, hieß es.
Regionalweite Demonstration in Bremen
An einer regionalweiten Demonstration in Bremen nahmen auch Menschen aus Hamburg, Kiel, Lübeck und Oldenburg teil, darunter viele Angehörige der ezidischen Gemeinschaft. Redebeiträge gab es von Vertreter*innen von FED-DEM, NAV-YEK und dem Şengal-Exilrat.
Proteste in der Schweiz
Auch in der Schweiz gab es Proteste anlässlich des 22. Jahrestags der Verschleppung von Öcalan. Initiiert wurden die Veranstaltungen vom Dachverband CDK-S. In Basel waren vor allem Aktivistinnen und Aktivisten internationalistischer Gruppen zahlreich am Bahnhofsplatz erschienen, um sich an einer kraftvollen Demonstration bis in die Innenstadt zu beteiligen. Vorab unterstrich der Politiker Serhat Agirî in einem Redebeitrag. dass das kurdische Volk nicht nur Widerstand für seine Existenz leistet, sondern zeitgleich gegen die Auswirkungen des Komplotts kämpfe. „Für die am Komplott beteiligten Kräfte erscheint allein schon die Vorstellung eines freien Öcalans und eines freien kurdischen Volkes als gewaltige Bedrohung.“ Denn sein Paradigma repräsentiere den Gegenentwurf zur nationalstaatlichen Lösung der kapitalistischen Moderne und werde von Millionen Menschen befürwortet. „Diese Kräfte wollen das Komplott gegen Rêber Apo aufrechterhalten. Aktuell signalisieren sie es mit der Invasion in Gare, die kurz vor dem Jahrestag der Entführung Öcalans in Südkurdistan begonnen wurde“, so Agirî. Nach weiteren Redebeiträgen von der Schweizer Sektion der „Vereinten Revolutionsbewegung der Völker“ (HBDH) und dem lokalen Rojava-Komitee wurde eine Botschaft des Internationalistischen Bataillons in Nordsyrien abgespielt.
Bellinzona
An einer Kundgebung in Bellinzona, der Hauptstadt des Kantons Tessin, nahmen auch Mitglieder des Fanclubs des Schweizer Eishockeyvereins HC Ambrì-Piotta (kurz HCAP) teil.
Genf
In Genf versammelten sich Kurdinnen und Kurden sowie solidarische Menschen vor dem Sitz der Vereinten Nationen, um gegen die Isolation auf Imrali und den Angriffskrieg auf Gare zu protestieren.
Demonstration in Kopenhagen
In der dänischen Hauptstadt Kopenhagen organisierte das örtliche DKTM zusammen mit Aktivistinnen des Frauenrats Sêvê eine Demonstration.
Frankreich
An einer stimmungsvollen Großdemonstration in der südfranzösischen Hafenstadt Marseille beteiligten sich auch Menschen aus Bordeaux, Toulouse, Montpellier und Draguignan. Viele Beteiligte trugen Masken mit dem Konterfei von Abdullah Öcalan, entlang des Zuges wurden Infozettel verteilt. Aus den Lautsprechern ertönten im Wechsel mit kurdischer Musik die Stimmen von Redner*innen, die Freiheit für den PKK-Begründer einforderten und die türkische Militäraggression in Südkurdistan anprangerten. Im Hafenviertel La Joliette mündete die Demonstration in eine Kundgebung mit kulturellem Programm. Aktivistinnen des Frauenrats Arîn Mîrkan stellten dabei die Kampagne „100 Gründe, um den Diktator zu verurteilen“ vor. Mit dieser Initiative will die kurdische Frauenbewegung in Europa (TJK-E) erreichen, dass Erdogan für seine Verbrechen vor Gericht gestellt wird. Für die internationale Anerkennung von Femiziden als Verbrechen an der Menschlichkeit hat die TJK-E eine Petition gestartet, mit der bis zum 8. März 100.000 Unterschriften gesammelt werden sollen.
Regionale Demonstration in Nantes
In Nantes in der östlichen Bretagne gab es ebenfalls eine regionale Demonstration für Menschen aus Regionen wie Rennes, Lorient und Vannes.
Paris
In Paris riefen Kurdinnen und Kurden im Rahmen eines Marschs durch die französische Hauptstadt dazu auf, die von der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) vergangenen September unter dem Motto „Schluss mit Isolation, Faschismus und Besatzung – Zeit für Freiheit“ gestartete Offensive gegen das Regime in der Türkei auszuweiten.
Kundgebung in Brüssel
An einer Kundgebung am Porte de Namur in der belgischen Hauptstadt Brüssel beteiligte sich auch der kurdische Politiker Remzi Kartal, der zugleich Ko-Vorsitzender von Kongra-Gel ist.
Großbritannien
In Großbritannien gab es Aktionen in London, Doncaster und Leeds.
Norwegen
In Norwegens Hauptstadt Oslo fanden sich am Vormittag kurdische Aktivist*innen vor dem Sitz des Dachverbands NCDK ein. Nach einer Ansprache startete ein Marsch bis zum Stadtteil Hauketo und wieder zurück.
Italien
In Italien fand gestern etwa zeitgleich zu einer Aktion in Rom auch in Mailand eine Kundgebung aus Protest gegen das Februar-Komplott statt, an der sich auffallend viele Italiener*innen beteiligten. In Italien existiert ein breiter Unterstützerkreis für die „kurdische Sache“. Öcalan hatte sich im Verlauf des internationalen Komplotts rund zwei Monate lang in Rom aufgehalten. Zehntausende Kurdinnen und Kurden strömten im Winter 1998/1999 scharenweise trotz der schlechten Wetterverhältnisse in die Hauptstadt Italiens und belagerten den Platz am Kolosseum. Dort befindet sich das Militärkrankenhaus Caelius (Celio), der erste lange Aufenthaltsort Öcalans. Später wurde der Platz in „Piazza Kurdistan“ umbenannt. Darüber hinaus ist Öcalan in zahlreichen italienischen Städten und Gemeinden, darunter Berceto, Tufara, Campobasso, Castelbottaccio, Palermo, Napoli, Palagonia, Reggio Emilia, Riace, Martano und Pinerolo die Ehrenbürgerwürde verliehen worden.