Demirtaş: Widerstand gegen Unterdrückung ist legitim

Im Kobanê-Prozess in Ankara erklärte der ehemalige HDP-Vorsitzende Selahattin Demirtaş: „Wir leisten Widerstand, ob im Gefängnis oder im Parlament. Widerstand gegen Unterdrückung ist legitim. Als Kurdinnen und Kurden verweigern wir den Gehorsam.“

Das Kobanê-Verfahren in Ankara ist mit der Verteidigung des ehemaligen HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş fortgesetzt worden. In dem politischen Prozess sind im Zusammenhang mit den Protesten in der Türkei während der Schlacht um Kobanê 108 Personen angeklagt, darunter der gesamte damalige HDP-Vorstand. Von den Angeklagten sind 18 Politikerinnen und Politiker im Gefängnis.

Prozessbeobachter:innen vor dem Verhandlungssaal im Gefängniskomplex Sincan (@HDPonline)

Selahattin Demirtaş, der über eine Liveschaltung aus dem Hochsicherheitsgefängnis Edirne an der Verhandlung teilnahm, bedankte sich zunächst für die große Anteilnahme nach dem Tod seines Vaters Tahir Demirtaş. Sein Vater habe selbst nie lesen und schreiben gelernt, aber seinen sieben Kindern durch harte Arbeit eine Ausbildung ermöglicht. Seine Mutter habe dafür bis spät in die Nacht Bekleidung für andere Menschen genäht. Er widme seine Verteidigung daher seinem verstorbenen Vater und allen Müttern und Vätern, erklärte Demirtaş, der vor seiner politischen Karriere als Rechtsanwalt arbeitete und das Büro des Menschenrechtsvereins IHD in Amed (tr. Diyarbakir) leitete.

Selahattin Demirtaş mit seinem Vater Tahir und seiner Mutter Sadiye

In seiner Verteidigung sagte Demirtaş, dass der Einfluss der Politik in der Türkei und weltweit abnehme: „Wir werden die historischen Wahrheiten jedoch weder vergessen noch in Vergessenheit geraten lassen. Dieser Prozess ist für uns eine Gelegenheit, die Geschichte der Menschheit und unseres Volkes ein weiteres Mal ans Tageslicht zu holen. In der Natur überleben nur die Starken. Wir haben doch die Kultur erfunden, was ist daraus geworden? Was ist mit der Moral und Ethik geschehen? Aus kultureller Sicht sind wir im Recht. Der Staat, dem Sie und ich angehören, hat unser Mutterland gewaltsam besetzt. Es war der Staat, der die Vereinbarung der Tugend gebrochen hat. Wenn hier Schuldige gesucht werden, dann sind das nicht wir. Wir sind diejenigen, die davon betroffen sind.“

Im Verweis auf den allgemeinen Werteverlust und die Ausnutzung religiöser Glaubensvorstellungen erklärte Demirtaş: „Alle fallen im Namen von Religion und Glauben übereinander her. Wenn man IS-Leute fragen würde, könnte man sehen, wie viel sie vom Islam verstanden haben. Was wissen die Lynchmobs auf den Straßen oder Gruppen, die Leichensäcke vor unsere Parteizentrale werfen, wirklich über die Religion und Identität, für die sie sich angeblich bemühen? Wir haben lediglich die Würde und Identität unseres Volkes verteidigt. Wir haben das Recht auf ein menschenwürdiges Leben auf eigenem Boden verteidigt. Haben wir etwa Ankara besetzt? Sind wir gekommen und haben den Menschen dort ihre Sprache, ihre Kultur und ihren Glauben verboten?“

Die kurdische Frage könne nur gelöst werden, wenn das kurdische Volk mit seiner Identität anerkannt werde, sagte Demirtaş: „Wir leisten Widerstand, ob im Gefängnis oder im Parlament. Widerstand gegen Unterdrückung ist legitim. Als Kurdinnen und Kurden verweigern wir den Gehorsam. Wir sind zu einem Zusammenleben bereit, aber gegen diese Mentalität werden wir bis zuletzt Widerstand leisten.“

Die Verhandlung wurde auf Mittwoch vertagt, Selahattin Demirtaş wird seine Verteidigung um zehn Uhr fortsetzen.