Defend Kurdistan: Forderungen an Grüne und SPD in Göttingen überreicht

Aktivist:innen der Kampagne „Defend Kurdistan“ haben in Göttingen der SPD und den Grünen einen Forderungskatalog übergeben und fordern eine öffentliche Stellungnahme gegen die türkischen Angriffe in Rojava und im Nordirak.

Aktivist:innen der Kampagne „Defend Kurdistan“ haben am 23. November die Göttinger Büros der Grünen und der SPD besucht und einen Forderungskatalog überreicht. Die Kampagne setzt sich für ein Ende der türkischen Angriffe in Nordsyrien und im Nordirak ein und fordert von den beiden Ampel-Parteien eine öffentliche Stellungnahme.

Seit der Nacht vom 19. auf den 20. November führt das türkische Militär großflächige Luftangriffe auf die Autonomieregionen in Syrien und im Irak durch, parallel zum gewaltsamem Vorgehen des iranischen Regimes gegen die Menschen im Iran, die nach dem Mord an der jungen Kurdin Jina Amini die Straßen nicht mehr verlassen haben. Die Aktivist:innen von Defend Kurdistan fordern die Untersuchung des türkischen Einsatzes von verbotenen Chemiewaffen im Nordirak, die Einrichtung einer Flugverbotszone über Nord- und Ostsyrien, den Stopp aller Waffenlieferungen an die Türkei und den Iran und die Aufhebung des Verbots der PKK in Deutschland.

Maike von der Kampagne kommentiert hierzu: „Der grausame Angriff des russischen Militärs auf die Ukraine bestimmt seit Monaten die Schlagzeilen, sehr zu recht. Aber warum wird so viel weniger genau hingeschaut, wenn ein NATO-Staat einen mindestens genauso brutalen, mindestens genauso offen auf Eliminierung einer ganzen Menschengruppe ausgelegten Krieg führt, und zwar nicht erst seit Monaten, sondern seit Jahren? Wenn dieser selbe NATO-Staat nachweislich mit den Terroristen des IS zusammenarbeitet, um seinen Machtbereich auszudehnen und Minderheiten innerhalb der Staatsgrenzen zu unterdrücken? Das wäre für sich genommen schon furchtbar genug, aber dieser Krieg richtet sich außerdem gegen das vielleicht hoffnungsvollste demokratische und emanzipatorische Gesellschaftsprojekt in der gesamten Region, gegen die Autonomieregion Nord-und Ostsyrien und ihre maßgeblich von Frauen mitgeführte Revolution – die Revolution, die den Schlachtruf ‚Jin, Jiyan, Azadî' (‚Frauen, Leben, Freiheit') hervorgebracht hat, der nun auch im Iran ertönt. Wer eine freiheitliche Zukunft befürwortet und den Vormarsch der Autokratien aufhalten will, muss über diesen Krieg ebenso empört sein wie über den Ukraine-Krieg!"

Die Aktivistin Clara ergänzt: „Zu jedem ernsthaften Protest gegen das Vorgehen der Türkei gehört auch die Forderung nach Aufhebung des PKK-Verbots, denn die Einstufung der PKK als Terrororganisation ist ausschließlich ein Zugeständnis der Bundesregierung an ihre Militärbündnis-Partner in der türkischen Regierung. Wenn Erdogan die PKK als terroristisch bezeichnet, hat das keine andere Bedeutung als Putins Behauptung, die ukrainische Regierung sei faschistisch: Es ist eine Legitimationsstrategie für einen genozidalen Angriffskrieg!"


Folgend der Brief mit den Forderungen, der den Parteivertreter:innen überreicht wurde.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie Sie vielleicht schon aus den Nachrichten erfahren haben, greift das türkische Militär seit dem Abend des 19. November 2022 mit zahlreichen Luftangriffen Städte, Dörfer, Getreidesilos, Krankenhäuser und militärische Stellungen in Nordsyrien/Westkurdistan und im Nordirak/Südkurdistan an.

Das türkische Regime nutzt den Anschlag in Istanbul vom 13. November als Vorwand, um die seit Monaten geplante Offensive gegen die Autonome Administration Nord- und Ostsyrien (AANES, bekannt als ‚Rojava') umzusetzen und weiter gegen die Guerilla der kurdischen Freiheitsbewegung in Südkurdistan/Nordirak vorzugehen.

Nach beständigen Drohnenangriffen – wie wir sie z.B. am 22. Juli 2022 sehen mussten – und dem kontinuierlichen Einsatz verbotener chemischer Kampfstoffe in Südkurdistan/Nordirak, eskaliert die Türkei die Lage nun weiter. Der türkische Präsident Erdoğan hat bereits am 21. November angekündigt, dass es nicht bei Luftangriffen und den Kämpfen in Südkurdistan/Nordirak bleiben werde, sondern eine Bodeninvasion gegen die AANES bevorstehe.

Der türkische Staat beruft sich bei dieser erneuten Welle der Angriffe auf den 51. Artikel der UN-Charta – ohne die geringsten Beweise vorzulegen, dass es irgendeinen Zusammenhang zwischen der AANES oder der PKK und dem Anschlag in Istanbul gibt. Das Vorgehen der Türkei ist ein ganz offensichtlicher Bruch völkerrechtlicher Grundsätze, wie auch schon einzelne Mitglieder Ihrer Regierung richtig feststellten.

Trotz der fadenscheinigen und vorgeschobenen Begründungen Erdoğans ist es offensichtlich, dass es der Türkei um die Vernichtung der demokratischen, feministischen und ökologischen Kräfte in Nord- und Ostsyrien und in Südkurdistan/Nordirak geht. Die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), die in einem jahrelangen und blutigen Kampf den sogenannten ‚Islamischen Staat' (IS) besiegten, werden nun erneut von der Türkei angegriffen. Sollte die angekündigte Bodeninvasion durchgeführt werden, so ist damit zu rechnen, dass erneut Islamisten – unter anderem ehemalige IS-Mitglieder – als Teil des türkischen Angriffs zum Einsatz kommen werden.

Zeitgleich mit der türkischen Eskalation in Syrien und im Irak sehen wir auch im Iran ein Zuspitzen der Situation. Nach den nun mehr als zweimonatigen Protesten, die auf die Ermordung der Kurdin Jîna (Mahsa) Amînî folgten, rückt das iranische Regime seit einigen Tagen in Ostkurdistan mit Panzern, Hubschraubern, Drohnen und Artillerie vor und versucht die Frauenrevolution dort blutig niederzuschlagen. Der Iran geht dabei gegen die gleiche demokratische und feministische kurdische Bewegung vor, die von der Türkei bombardiert wird.

Es ist Zeit, dem Morden und der Unterdrückung, der Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen im Nahen Osten nicht länger zu zu sehen. Es ist Zeit, der Frauenrevolution und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker den Rücken zu stärken. Finden Sie klare Worte und werden Sie endlich aktiv – gegen das Mullah-Regime im Iran und gegen das nationalistisch-reaktionäre Regime in der Türkei!

Da von Seiten Ihrer Bundesregierung bisher nur sanfte Worte Richtung Türkei zu vernehmen waren und Deutschland weiterhin enge Beziehungen mit der Türkei pflegt fordern wir Sie hiermit auf, sich bis zum Abend des 24. Novembers 2022 öffentlich als Partei zu folgenden Punkten zu bekennen:

1) Setzen Sie sich öffentlich und in Ihrer Partei dafür ein, dass die Bundesrepublik Deutschland bei der OPCW (‚Organisation für das Verbot chemischer Waffen') eine Untersuchung der Chemiewaffenangriffe in Südkurdistan/Nordirak beantragt.
2) Unterstützen Sie öffentlich die Kampagne für eine Flugverbotszone über Nord- und Ostsyrien ‚noflyzone4rojava'.
3) Setzen Sie sich öffentlich und in Ihrer Partei dafür ein, dass Deutschland ein Embargo über die Lieferung von Waffen und Waffenteilen an die Türkei und den Iran verhängt.
4) Setzen Sie sich öffentlich und in Ihrer Partei dafür ein, dass das Verbot der ‚Arbeiterpartei Kurdistan' (PKK), dass immer wieder als Rechtfertigung für die Verfolgung und Unterdrückung kurdischer und demokratisch bewegter Menschen in Deutschland, der Türkei und ganz Kurdistan herhalten muss, aufgehoben wird.

Mit freundlichen Grüßen,

Defend Kurdistan Göttingen