Im Fall der verhinderten Ausreise der Hamburger Linksfraktionsvorsitzenden Cansu Özdemir nach Südkurdistan verstrickt sich die Bundesregierung in Widersprüche. In der Antwort auf eine schriftliche Frage des Bundestagsabgeordneten Niema Movassat (DIE LINKE), auf welcher Grundlage Özdemir am vorletzten Samstag die Reise nach Hewlêr (Erbil) verweigert und damit ihre Bewegungsfreiheit aufhoben wurde, stellt das Bundesinnenministerium den Fall anders dar als die Bundespolizei.
Am 12. Juni hatte die Bundespolizei 15 Mitgliedern der international aufgestellten „Delegation für Frieden und Freiheit in Kurdistan“ am Flughafen Düsseldorf untersagt, in die Kurdistan-Region Irak (KRI) auszureisen. Vier weiteren Mitgliedern der Delegation wurde dies zwar nicht verboten, allerdings verpassten sie wegen der Kontrolle den Flug. Darunter war auch Özdemir, Ko-Vorsitzende der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft.
Bundespolizei: 19 Personen befragt und überprüft
Die Bundespolizei gab noch am selben Tag eine Pressemitteilung heraus und erklärte, dass am Flughafen Düsseldorf eine Gruppe von 19 Personen kontrolliert worden ist, die in den Irak ausreisen wollten. In der Gruppe hätten sich deutsche, türkische und Schweizer Staatsangehörige befunden. „Auch eine Landtagsabgeordnete aus Hamburg war Teil der Gruppe. Die Mandatsträgerin hatte sich zunächst nicht als Abgeordnete zu erkennen gegeben. Ihr wurde die Weiterreise gestattet. Im Ergebnis der Befragungen und Überprüfungen wurde 15 Personen die Ausreise in den Irak für einen Monat untersagt. Vier Personen wurde die Ausreise gestattet. Rechtsgrundlage der Maßnahmen waren Vorschriften nach dem Passgesetz (§10), dem Aufenthaltsgesetz (§46) und dem Freizügigkeitsgesetz. Bei dem beschriebenen Vorgang hat es sich ausdrücklich nicht um Festnahmen gehandelt, sondern um Maßnahmen im Rahmen der grenzpolizeilichen Befragung.“
Innenministerium: Özdemir nicht befragt
In der Version des Innenministeriums klingt es anders. Obwohl die Bundespolizei von 19 kontrollierten und befragten Personen spricht, heißt es in der Antwort, Özdemir sei „nicht befragt, in Gewahrsam oder gar festgenommen“ worden. „Auf eigenen Wunsch“ sei ihr „bis zum Ende der Befragung der anderen Personen der Verbleib in der Dienststelle der Bundespolizei ermöglicht“ worden. Özdemir selbst widerspricht beiden Darstellungen. „Die Beamten haben mir nicht geglaubt, dass ich Abgeordnete bin, was ich ihnen zu Beginn mitteilte“, sagte Özdemir am Montag dem Spiegel. „Wenn die Bundespolizei mich nicht festgehalten haben will, wieso musste mich dann ein Beamter bis zur Toilette begleiten oder zum Rauchen nach draußen? Das ist völlig absurd.“ Ebenso sei ihr der Reisepass abgenommen worden, sie hätte also überhaupt nicht ausreisen können.
Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung und Nötigung angekündigt
Gegenüber ANF erklärte Özdemir zuvor, dass sie sich sofort als Abgeordnete vorstellte, als die Gruppe von der Bundespolizei eingekesselt wurde. „Das hat die Beamten nicht interessiert. Ich habe mit ihnen mehrfach darüber diskutiert. In der Diskussion sagten sie, ich hätte ja keine Sonderrechte. Ich habe den Beamten gesagt, dass ich natürlich nicht höher gestellt bin als andere, aber sie meine Arbeit als Parlamentarierin behindern würden. Darüber haben sie nur gelacht.“. Özdemir will Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung und Nötigung erstatten. Die Polizeiaktion sei eindeutig rechtswidrig gewesen.
Parlamentspräsidentin: Handeln der Bundespolizei rechts- und verfassungswidrig
Hamburgs Parlamentspräsidentin Carola Veit (SPD) hatte zuvor geäußert, dass das Handeln der Sicherheitsbehörden des Düsseldorfer Flughafens nicht nur rechtswidrig, sondern auch verfassungswidrig war. Laut Grundgesetz sowie der Verfassung der Hansestadt dürfen Abgeordnete während der Dauer ihres Mandats weder verhaftet noch in sonstiger Weise in ihrer Freiheit und in der Ausübung ihres Mandats behindert werden. Veit hatte angekündigt, dass sich „mit Sicherheit” auch das parlamentarische Kontrollgremium in Hamburg mit dem Vorgang beschäftigen werde.