Mit einer Kundgebung unter der Losung „Beenden wir Krieg, Armut und Unterdrückung - Verändern wir gemeinsam“ ist in der westtürkischen Metropole Istanbul am Sonntag der Startschuss für den Wahlkampf des Bündnisses für Arbeit und Freiheit gefallen. Mit gut 20.000 Unterstützenden kamen die Vorsitzenden der Mitgliedsparteien im asiatischen Stadtteil Kartal zusammen, um einen schwungvollen Auftakt in den Wahlkampf zu geben. Der Systemwechsel bei den nächsten Wahlen gelte als sicher, betonte das Bündnis. Und: „Wir werden die amtierende Regierung auf den Müllhaufen der Geschichte befördern.“
Spätestens im Juni – kurz vor seinem 20-jährigen Machtjubiläum – will sich Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan zur Wiederwahl stellen. Es wird eng werden für den Möchtegern-Sultan, denn Umfragen deuten ein Patt an. Erdogans islamistische AKP und ihr rechtsextremer Koalitionspartner MHP kommen nach Stand der Dinge auf keine absolute Mehrheit. Dasselbe gilt auch für die Oppositionsallianz aus sechs Parteien um die republikanische CHP und die neofaschistische MHP-Abspaltung Iyi-Partei. Die Demokratische Partei der Völker (HDP) und mit ihr das Bündnis für Arbeit und Freiheit gelten daher als Königsmacher.
Die von AKP/MHP verursachte Zerstörung stoppen
Das Bündnis für Arbeit und Freiheit war im vergangenen August gegründet worden. Neben der HDP gehören der Allianz auch die Partei für Soziale Freiheit (TÖP), die Partei der Arbeiterbewegung (EHP), die Föderation der Sozialistischen Räte (SMF), die Arbeiterpartei der Türkei (TİP) und die Partei der Arbeit (EMEP) an. Das Bündnis hat sich nach eigener Darstellung auf den Weg gemacht, um die von der AKP/MHP-Koalition in allen Bereichen des Lebens verursachte Zerstörung zu stoppen, die Ein-Mann-Herrschaft zu beenden und einen demokratischen Wandel herbeizuführen. Ein neues Wirtschaftssystem, das menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen gewährleistet, eine Demokratie, die auf der Souveränität des Volkes beruht, eine friedliche und demokratische Lösung der kurdischen Frage, Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit für Frauen, Jugendliche, Behinderte und andere benachteiligte Gruppen sowie der Schutz der Natur, der Umwelt und des kulturellen Erbes werden als vorrangige Bereiche betrachtet.
TÖP: Existenz der Staat-Politik-Mafia-Triade ist bald vorbei
„Der heutige Tag wird in die Geschichte eingehen, als der Tag, an dem das türkische und kurdische Volk seine eigene Alternative erschaffen hat“, sagte die TÖP-Sprecherin Juliana Gözen, die die erste Rede auf der Kundgebung hielt. „Wir machen einen weiteren Schritt in Richtung der Tage, an denen Werktätige unter menschenwürdigen Verhältnissen arbeiten und ein würdevolles Leben führen können. Wir versprechen, diejenigen abzusetzen, die das Land in einen Sumpf gezogen haben, Rechenschaft von ihnen dafür zu fordern, dass sie das Volk bestohlen, es in die Armut getrieben und das Land ausgeplündert haben, uns unsere Rechte vorenthalten, uns den Krieg erklären, um ihr korruptes faschistisches Regime zu stützen. Mit der Existenz der Staat-Politik-Mafia-Triade und bandenartigen Cliquen innerhalb der regierenden Parteien ist es demnächst vorbei. Wir werden gewinnen, die Kriegstreiber werden verlieren.“
Juliana Gözen ist auch Mitbegründerin der Campus-Hexen
EHP: Dringlichstes Problem, das Lösung braucht: Die kurdische Frage
Der Ko-Vorsitzende der EHP, Hakan Öztürk, betonte, dass die bevorstehenden Wahlen darüber entscheiden würden, ob die Türkei ihre Chance auf eine Demokratie wahrnimmt oder endgültig in einen autoritären und islamistischen Staat abgleitet. Als dringlichstes Problem stufte Öztürk die kurdische Frage ein, die bei einem Machtwechsel als erstes gelöst werden müsste: „Dass sich die Türkei bis heute nicht demokratisiert hat, liegt an dem fehlenden Willen zur Lösung der kurdischen Frage. Es ist das strukturellste der Probleme dieses Landes.“ Aus diesem Grund habe die Türkei ihre Verfassung immer noch nicht demokratisiert und stattdessen ein Ein-Mann-Regime institutionalisiert. „Die Anerkennung des Willens der Kurdinnen und Kurden ist aber gleichbedeutend mit Frieden und Stabilität“, erklärte Öztürk. Mit Blick auf die Expansionskriege des türkischen Staates in den kurdischen Gebieten Syriens und des Iraks sagte Öztürk: „Wir fordern die Herrschenden auf, endgültig mit der Kriegspolitik abzuschließen und sich mit dem kurdischen Volk zu versöhnen.“
Hakan Öztürk
Buldan: An Azadî, an Azadî!
Die Ko-Vorsitzende der HDP, Pervin Buldan, erklärte, die nächsten Wahlen seien von historischer Bedeutung. „Es wird die Wahl zwischen Licht und Dunkelheit, zwischen Demokratie und Faschismus. Und es ist die Wahl, bei der die Glühbirne der AKP unwiederbringlich zerbrochen wird - und die Türkei wahrhaftig heller“, sagte Buldan. „Macht das Licht an, die Türkei soll heller werden“ lautet ein Werbeslogan von Erdogans AKP. Ihr Symbol ist die Glühbirne.
Pervin Buldan
Doch das genaue Gegenteil von Licht lähmt das Land seit der Machtübernahme vor 20 Jahren. Buldan betonte, das Bündnis für Arbeit und Freiheit habe sich auf die Fahne geschrieben, den „Weg für einen würdevollen Frieden“ zu ebnen. Dazu zähle, die Isolation in den Gefängnissen zu beenden und die Istanbul-Konvention zurückzuholen. „Wir alle – Kurden, Türken, Aleviten, Sunniten, Armenier und Suryoye – wir werden gemeinsam für die Verwirklichung unserer Ideale arbeiten. Ich bin überzeugt davon, dass wir gewinnen werden. Der Erfolg wird uns gehören, liebe Freundinnen und Freunde. Unsere Devise lautet: An azadî, an azadî!“