Genau sechs Jahre nach dem Wahlerfolg der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in der Türkei ist ein neues Verbotsverfahren eingeleitet worden. Die HDP hatte bei den Parlamentswahlen am 7. Juni 2015 die Wahlhürde überwunden und damit die Alleinherrschaft der AKP beendet. In dem Verbotsantrag, den die Generalstaatsanwaltschaft am türkischen Kassationshof beim Verfassungsgericht in Ankara gestellt hat, wird außerdem ein Politikverbot für 500 Personen und das Einfrieren der Bankkonten gefordert. Die HDP-Vorsitzende Pervin Buldan bezeichnete das Verfahren als „schmutzige politische Operation“ und wies auf das für den Verbotsantrag gewählte Datum hin: „Seit sechs Jahren findet ein Putsch nach dem anderen statt, um die Auswirkungen der Wahlen vom 7. Juni 2015 zu brechen.“
„Die Völker haben Alternativen“
Auf der Fraktionssitzung ihrer Partei in Ankara sagte Buldan am Dienstag in Richtung Regierung: „Nicht euer Traum von einer Türkei ohne HDP wird wahr werden, sondern die Träume der Völker von einer Türkei ohne AKP, MHP, Mafia, Ausbeutung und Plünderung. Wir werden dieses Land nicht der Finsternis eines verbrecherischen Systems überlassen. Nicht wir sollten über den Ausgang des Verbotsverfahrens nachdenken, sondern die Regierung. Wir wissen recht gut, was wir tun werden. In der Vergangenheit haben wir viele Erfahrungen gesammelt. Die Völker haben Alternativen, und diese werden wir umsetzen.“
Die Ko-Vorsitzende der HDP erklärte, dass es in der Türkei keine Aussicht auf positive Entwicklungen gebe, solange die kurdische Frage nicht gelöst werde. „Wir müssen uns alle gemeinsam gegen Isolation, Ausbeutung, Plünderung, Raub, Ungerechtigkeit und Korruption wehren. Gegen die massiven Angriffe müssen wir einen geballten Kampf für Demokratie und Frieden organisieren und vergrößern.“
Prozedur des Parteiverbotsverfahrens am Verfassungsgerichtshof
Der Verfassungsgerichtspräsident Zühtü Arslan hat am Dienstag für die Untersuchung der Anklageschrift im Verbotsverfahren gegen die HDP denselben Berichterstatter ernannt, der bereits bei dem Ende März wegen Formfehlern zurückgewiesenen Antrag eingesetzt war. Bemängelt worden war vor gut zwei Monaten unter anderem, dass personenbezogene Daten und Berufsbezeichnungen in der Anklage fehlerhaft angegeben wurden und einige der HDP-Politiker:innen, für die ein Politikverbot gefordert wird, bereits gestorben sind. Zudem sei kein ausreichender Zusammenhang zwischen den tatsächlichen Aktivitäten der Parteiorgane und den Anschuldigungen hergestellt worden. Der Berichterstatter muss jetzt die neue Begründung für den Verbotsantrag untersuchen und sein Gutachten dem Verfassungsgericht vorlegen. Dann entscheidet das Gericht, ob die Klage angenommen wird. Dafür ist eine gesetzliche Frist von zwei Wochen festgelegt.
Nimmt das Verfassungsgericht die Klage an, sieht die weitere Prozedur vor, dass sie der HDP für eine vorläufige Verteidigung vorgelegt wird. Hierfür legt das Gericht die Dauer der Frist fest. Die beklagte Partei kann jedoch eine Fristverlängerung beantragen. Danach erfolgt eine Stellungnahme von Generalstaatsanwalt Bekir Şahin als Kläger. Im Anschluss legt das Verfassungsgericht einen Zeitpunkt für eine mündliche Anhörung von Kläger und Beklagter fest. Nach dieser Prozedur erfolgt anhand der gesammelten Beweismittel und Informationen ein weiteres Gutachten des Berichterstatters und schließlich die erste Sitzung der aus 15 Personen bestehenden Richterdelegation, die über das Verbot der HDP entscheiden wird. Dafür reicht eine Zweidrittelmehrheit aus.
Gegen das Urteil des Verfassungsgerichtshofs sind keine Rechtsmittel mit aufschiebender Wirkung möglich. Der HDP bleibt nur der Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der jedoch das Verbot nicht aufheben kann, sondern lediglich Rechtsverletzungen feststellen kann.