Solidarität im und vorm Gericht
Gestern wurde der Prozess gegen die Antifaschistin Hanna vor dem OLG München eröffnet. Ihr wird vorgeworfen, im Februar 2023 an Angriffen auf Neonazis in Budapest beteiligt gewesen zu sein. Zum gestrigen Prozessauftakt waren rund hundertfünzig Unterstützende gekommen. Neben einer Solidaritäts-Kundgebung außerhalb, nahmen auch zahlreiche Menschen im Publikumsraum innerhalb des Gerichts ihren Platz ein. Die 30-Jährige wurde von ihnen mit anhaltendem Applaus begrüßt. Aufgrund der großen Andrangs und der strengen Sicherheitsvorkehrungen begann die Hauptverhandlung mit einer Stunde Verspätung.
Neonazi-Veranstaltung in Budapest dient europaweiter Vernetzung
Jedes Jahr um den 11. Februar versammeln sich tausende Neonazis in Budapest zum sogenannten „Tag der Ehre“, um an den gescheiterten Ausbruchsversuch von Verbänden der Wehrmacht und der Waffen-SS aus der belagerten Stadt zu erinnern. Die Veranstaltung hat sich zu einer der wichtigsten Zusammenkünfte für die Vernetzung militanter Neonazis aus ganz Europa entwickelt.
Tatvorwurf
Im Zuge der Proteste gegen den „Tag der Ehre“ kam es 2023 zu Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und Antifaschist:innen. Infolgedessen kam es zu Festnahmen in Ungarn und verschiedenen weitere europäischen Ländern. Im Mai 2024 wurde die Antifaschistin Hanna in Nürnberg festgenommen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, gefährliche Körperverletzung sowie versuchten Mord vor. Das Oberlandesgericht hat in einer Pressemitteilung im vergangenen Dezember bereits angedeutet, dass es eine Verurteilung für versuchten Mord für unwahrscheinlich halte. Der Münchner Solikreis für Hanna (eine Gruppe, die sich der Unterstützung der Antifaschistin widmet) wertet das Festhalten der Staatsanwaltschaft an diesem Vorwurf als Beleg dafür, dass die Ermittlungen der deutschen Behörden im Budapest-Komplex darauf ausgerichtet seien, die antifaschistische Bewegung als solche zu bekämpfen.
Ermittlungen und Fahndung
Die staatlichen Behörden suchten seit 2023 nach den Beschuldigten. Im Zuge der Ermittlungen seien laut Presseberichten Razzien in falschen Wohnungen durchgeführt und Angetroffene demütigend durch die Polizeikräfte behandelt worden. Außerdem griff der Staat zum Mittel der Öffentlichkeitsfahndung, um die Gesuchten ausfindig zu machen. Schließlich sorgte die rechtswidrige Auslieferung von Maja T., eine der gesuchten Personen, an Ungarn vor einem Jahr für mediale Aufmerksamkeit und Empörung.
„Entschlossener Antifaschismus soll kriminalisiert werden“
Alina Häusler, Sprecherin des Münchner Solikreis für Hanna, äußert sich zum staatlichen Vorgehen wie folgt: „Die öffentliche Hetzjagd auf die Beschuldigten im Budapest-Komplex soll alle, die sich entschlossen gegen Nazis stellen, einschüchtern und abschrecken. Die Öffentlichkeitsfahndung, der völlig überzogene Vorwurf des versuchten Mords und das Damoklesschwert der Auslieferung sollen ein Signal an alle senden, die militanten Antifaschismus für legitim und notwendig erachten. Dabei werden im Zweifelsfall auch rechtsstaatliche Prinzipien ausgesetzt, wie die illegale Auslieferung von Maja T. ans rechts-autoritäre Ungarn zeigt. Indem der Prozess gegen Hanna nicht in einem normalen Gerichtsgebäude, sondern im Hochsicherheits-Gerichtssaal der JVA Stadelheim stattfindet, wird sie in die Nähe von Terrorverdächtigen gerückt. Entschlossener Antifaschismus soll somit delegitimiert und kriminalisiert werden.“
Verteidiger hält Anklage für überzogen
Auch Peer Stolle, Verteidiger von Hanna, hält die Anklage für überzogen. Die Verletzungen des Opfers seien demnach eher gering gewesen und im Gesamtzusammenhang betrachtet, scheint dem Anwalt auch die unterstellte Tötungsabsicht unrealistisch. Die Statistiken zeigten, dass Rechtsextreme in den letzten 35 über 200 Menschen ermordet hätten, während die Zahl getöteter Neonazis durch Linke bei Null läge.
Mandantin werde vorverurteilt
Stolle bezeichnete zudem die Wahl des Gerichtssaals in der Münchner Justizvollzugsanstalt Stadelheim als eine Vorverurteilung seiner Mandantin. Sie werde künstlich zu einer gefährlichen Person hochstilisiert, was der Anwalt auch an der Fall-Übernahme durch die Bundesanwaltschaft festmacht. Eine staatsgefährdende Tat könne er nicht feststellen. Zum Gerichtssaal bemerkte er: „Es wird unter der Erde verhandelt, Wände und Decken sind explosionssicher und über dem Parkplatz sind Drahtseile gespannt, um Angriffe oder Befreiungsversuche mit Hubschraubern zu verhindern. Es gibt bundesweit nur wenige solcher Orte; einer davon ist berühmt, und berüchtigt und heißt Stammheim. Hochsicherheitssäle für Terrorismusverfahren - vor dieser Kulisse wirkt das Recht auf Privatkleidung während der Verhandlung wie Hohn. Es ist klar, welches Bild vermittelt werden soll. Unsere Mandantin ist so gefährlich, dass sie gegen sie im Gefängnis - und nicht wie in einem rechtsstaatlichen Verfahren - in einem Gerichtssaal verhandelt werden müsste. Die Vorverurteilung, die in einem Rechtsstaat eigentlich vermieden werden soll - sie ist schon da, bevor die Anklage verlesen wurde.“
Solidarität mit allen Betroffenen
Pressesprecherin Alina Häusler: „Wir haben uns heute vor der JVA Stadlheim versammelt, um Hanna unsere Solidarität zu zeigen. Im Kampf gegen Faschisten stehen wir gemeinsam! Wir fordern, dass die Kriminalisierung von Antifaschismus gestoppt wird. Wir stehen auch solidarisch an der Seite der anderen Beschuldigten im Budapest-Komplex und all derer, die wegen ihres Engagements gegen Nazis vom Staat verfolgt werden. Wir fordern, dass keiner der Beschuldigten an das rechts autoritäre Órban-Regime ausgeliefert wird. Insbesondere im Fall von Zaid, der in Köln in Auslieferungshaft sitzt, steht dies aktuell im Raum. Auch in Anbetracht seiner Fluchtgeschichte aus Syrien droht ihm in Ungarn eine menschenunwürdige Behandlung.“
Aufruf zu weiterer Unterstützung
Zu den kommenden Verhandlungstagen (im Sitzungssaalgebäude der JVA in der Stettnerstraße 10, München) wird es weiterhin Proteste vor Ort geben. Am Samstag, den 22.2., wird zudem um 14 Uhr zu einer überregionalen Demonstration in Solidarität mit Hanna und allen anderen Beschuldigten im Budapest-Komplex am Stachus in München starten. Dazu Häusler: „Am Samstag nach dem Prozessauftakt werden wir laut und entschlossen auf die Straße gehen. Eine starke antifaschistische Bewegung ist notwendiger als je zuvor. Deshalb ist es umso wichtiger, unseren Leuten im Knast und im Untergrund zu zeigen, dass wir sie niemals alleine lassen.“