Boğaziçi-Studierende aus Untersuchungshaft entlassen

Die wegen Protesten gegen den Zwangsverwalter der Istanbuler Boğaziçi-Universität angeklagten Studenten Enis Berke Gök und Caner Perit Özen werden aus der Untersuchungshaft entlassen.

Die wegen Protesten gegen den Zwangsverwalter der Istanbuler Boğaziçi-Universität angeklagten Studenten Enis Berke Gök und Caner Perit Özen werden aus der Untersuchungshaft entlassen. Beim heutigen Prozessauftakt vor der 22. Strafkammer des Landgerichts Istanbul wurden die Haftbefehle gegen die beiden Studierenden gegen die Verhängung von polizeilichen Meldeauflagen aufgehoben. Ein Termin für den nächsten Prozesstag wurde vom Gericht noch nicht bekannt gegeben. Während der Verhandlung fand vor dem Justizpalast Çağlayan eine solidarische Kundgebung für die Angeklagten statt, an der sich Studierende, Mitglieder des Lehrköprers, Politikerinnen und Politiker sowie Aktive der Zivilgesellschaft beteiligten. Es wurde dazu aufgerufen, den Widerstand für die universitäre Autonomie auszuweiten.

Enis Berke Gök und Caner Perit Özen saßen seit drei Monaten in Untersuchungshaft. Die Anklage wirft ihnen und zwölf mitangeklagten Studierenden einen Verstoß gegen das türkische Versammlungsgesetz Nummer 2911, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Beleidigung und Sachschaden an einem Dienstfahrzeug der Hochschule vor, der sich laut Anklage auf umgerechnet etwa 50 Euro beläuft. Die Studierenden sollen sich am 5. Oktober 2021 an einem Protest gegen die Ernennung von Naci Inci als Rektor der renommierten Universität durch Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan beteiligt haben. Inci war im August nach der Absetzung des ebenfalls ernannten Rektors Melih Bulu zum Leiter der Boğaziçi-Universität ernannt worden. Als „Zwangsverwalter des Regimes“ wird er nicht nur von den Studierenden, sondern auch von 95 Prozent des Lehrkörpers abgelehnt. Die Verhaftung von Gök und Özen waren nach einer Beleidigungsanzeige Incis erfolgt, die sich gegen alle vierzehn Angeklagten richtet.

Persönlich im Gerichtssaal anwesend waren Gök und Özen beim Prozessauftakt nicht. Stattdessen wurden sie über das Videoliveschaltungssystem SEGBIS in die Verhandlung eingebunden. Beide Studenten wiesen die Vorwürfe gegen sie vehement zurück. Als erstes ergriff Enis Berke Gök das Wort und beschrieb ausführlich die Umstände seiner Festnahme. „Kurz bevor ich an jenem Tag das Unterrichtsgebäude verlassen habe, ist mir ein Link an mein Handy geschickt worden. Der Link führte zu einer Meldung der amtlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Inhaltlich ging es um unsere Diffamierung durch Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, der uns auf eine Abschussliste gesetzt hatte. Unmittelbar danach bin ich angerufen und auf meine vermutete bevorstehende Verhaftung hingewiesen worden. Die auf dem Universitätsgelände angesiedelten Polizeibeamten in Zivil folgten mir zu dem Zeitpunkt. Als ich das Gebäude verließ wurde ich bereits von der wartenden Bereitschaftspolizei angesprungen und festgesetzt.“

Gök erwähnte im weiteren Verlauf seiner Verteidigungsrede, in Polizeigewahrsam Opfer von Gewalt und Misshandlungen geworden zu sein. „In Haft haben wir es mit einer weiteren Facette des Faschismus zu tun. Diese wird durch Handlungen wie Handgreiflichkeiten, Gehorsamsbefehle, die verweigerte Ausgabe von Nahrungsmitteln und warmen Wasser, den Einzug von Büchern, die verspätete Freigabe von Vorlesungsnotizen, die unterbundene Teilnahme an Vorlesungen, unbeachteten Anträgen und beschlagnahmen Briefen verkörpert“, hob der Student hervor.

Caner Perit Özen erklärte vor Gericht, dass die beiden einzig wegen ihrer Unterstützung für den Widerstand an der Boğaziçi-Universität hinter Gittern gelandet seien. Die Repression gegen die Studierendenschaft beschrieb er als einen „Zustand, in dem das Böse alltäglich geworden“ sei und erinnerte in diesem Zusammenhang an eine Äußerung des Rektors Naci Inci, der die Studierenden in einem TV-Programm als „Vandalen“ bezeichnet hatte. „Der wahre Vandale ist Inci höchstpersönlich. Es wäre aber fatal uns lediglich als eine Gruppe armer Studierender zu bezeichnen, denen man ihr Recht auf Bildung geraubt hat. Denn wir sind kämpfende Studierende, die einen Widerstand führen. Niemand soll glauben, dass wir wie die Zwangsverwalter vor irgendwem buckeln und Rechenschaft ablegen. So jemanden gibt es nicht.“

Özen und Gök müssen sich nun regelmäßig in einem Polizeirevier melden. Grundlage der als „Präventivmaßnahme“ bezeichneten Maßnahme ist das 2013 in Kraft getretene Gesetz zur „Freilassung unter Kontrolle“. Der Mechanismus gilt als Alternative zur Haft und wird von der türkischen Justiz exzessiv ausgeschöpft, um unliebsame Personen unter Kontrolle zu halten. Besonders betroffen sind Menschen aus dem Umfeld der HDP und der Zivilgesellschaft.