Protest für verhaftete Studenten: „Wir holen sie zurück!“

Weil sie den Zwangsverwalter der Boğaziçi-Universität beleidigt und an seinem Dienstwagen einen Schaden von 50 Euro angerichtet haben sollen, sitzen zwei Studenten in Silivri in Haft. Mitstudierende stellten bei einem Protest klar: „Wir holen sie zurück.“

Seit inzwischen einem Jahr protestieren Studierende und Lehrende der Istanbuler Boğaziçi-Universität gegen die Zerschlagung der Hochschulautonomie durch Recep Tayyip Erdoğan. Die Proteste wenden sich hauptsächlich gegen die autoritäre Form der Einsetzung von kommissarischen Rektoren durch den Staatspräsidenten, die in Anspielung auf die linientreuen AKP-Beamten in den kurdischen Kommunen als „Zwangsverwalter“ bezeichnet werden. Zunächst war mit Melih Bulu ein wissenschaftlich ungeeigneter Parteigänger Erdoğans zum Rektor der renommierten Universität ernannt worden. Monatelang protestierten Studierende und der Lehrkörper, kämpften um eine der letzten Bastionen akademischer Freiheit. Statt einzulenken und akademische Argumente ernst zu nehmen, kriminalisierte Erdoğan die kritischen Stimmen als „Terroristen“ und ließ Protestaktionen in Istanbul und anderen Städten gewaltsam niederschlagen. Hunderte Menschen wurden festgenommen, viele wurden durch Gummigeschosse und Tränengas der Polizei verletzt. Einige Studierende berichteten über sexualisierte Gewalt in Polizeigewahrsam, andere landeten in Untersuchungshaft.

Im Juli wurde Melih Bulu schließlich durch ein Dekret des Präsidenten abgesetzt. Doch schon bald darauf setzte Erdoğan den Physiker Naci Inci als neuen Leiter der Boğaziçi-Universität ein, ebenfalls per Dekret. Am 6. Oktober wurden mit Enis Berke Gök und Caner Perit Özen zwei Studenten der Hochschule verhaftet. Sie sollen Inci bei einem Protest anlässlich des Semesterbeginns beleidigt und Schaden an seinem Dienstwagen angerichtet haben. Dieser beläuft sich laut Anklageschrift auf 742,64 Lira, umgerechnet etwa 50 Euro. Außerdem wird ihnen ein Verstoß gegen das türkische Versammlungsgesetz vorgeworfen. Die Festnahmen von Gök und Özen erfolgten nach einer Anzeige Incis, die sich insgesamt gegen vierzehn Studierende richtet. Das Verfahren gegen sie beginnt am kommenden Freitag an einem Gericht im Istanbuler Justizpalast Çağlayan.

Um auf den bevorstehenden Protest aufmerksam zu machen und sich solidarisch mit den Studierenden zu zeigen, brach die Kampagnengruppe „Freiheit für Berke und Pelit“ an diesem Sonntag nach Silivri etwa 70 Kilometer westlich von Istanbul auf, um vor dem dortigen Hochsicherheitsgefängnis Präsenz zu zeigen. Der Komplex in Silivri gilt eher als Internierungslager denn Gefängnis, da dort hauptsächlich Oppositionelle und Kritiker:innen von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan eingesperrt werden. Auch Gök und Özen sitzen dort ein. Die Militärpolizei untersagte die Zusammenkunft in direkter Nähe des Gefängnisses, daher musste die Gruppe ihre Erklärung am Rande einer Landstraße außerhalb der unmittelbaren Umgebung abgeben.

Im Namen der Kampagne erklärte Enes Gözüküçük, dass Behörden und die gelenkte Justiz des Landes mittels Festnahmen und Verhaftungen von Studierenden einen „Schleier der Angst“ auf den „Widerstand für die universitäre Autonomie“ legen wollten. „Seit einem Jahr kämpfen wir gegen die Beschneidung der akademischen Unabhängigkeit, die massive Repression gegen unseren legitimen Protest, die Polizeibelagerung unserer Campusse und verteidigen unseren Willen. Wir sind entschlossen an unserem Widerstand festzuhalten und unsere Ziele zu erreichen“, so Gözüküçük. An die Öffentlichkeit appellierte die Gruppe, den Prozess gegen Enis Berke Gök und Caner Perit Özen solidarisch zu begleiten. „Wir haben bereits elf unserer Freundinnen und Freunde aus der Haft geholt. Auch Berke und Perit werden wir zurückholen. Wir rufen alle Freundinnen und Freunde auf, den Kampf für unsere Freiheit und damit unsere Hoffnung auszuweiten. Gemeinsam wird es uns gelingen.“